EAT LOCAL(s) - Rate, wer zum Essen kommt. Danny King

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EAT LOCAL(s) - Rate, wer zum Essen kommt - Danny King

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Sebastian wusste, fingen alle großen Abenteuer mit einer Reise an, und das Abenteuer dieses Wochenendes hatte da keine Ausnahme gebildet.

      Er hatte am Freitagabend den Pendlerzug ab London Bridge genommen, war zuerst in East Croydon umgestiegen, danach in Three Bridges und dann noch einmal in Horsham, bevor er sich eingestehen musste, dass er keine Ahnung hatte, wo er sich befand.

      An der vereinbarten Stelle stieg er aus dem Zug und nahm sich kurz Zeit, das Schild zu betrachten. Christ’s Hospital stand darauf. Sebastian hatte nie von diesem Ort gehört, aber es musste schon ein ziemlich gutes Hospital sein, wenn sie es geschafft hatten, Jesus wieder auf die Beine zu bringen, nach allem, was er durchgemacht hatte. Außer ihm waren keine Passagiere aus dem überfüllten Pendlerzug ausgestiegen – ein sicheres Anzeichen für eine blühende Metropole – und nach dem schrillen Pfiff des Bahnhofsvorstehers sowie dem Biep-biep-biep der Türen rollte der Zug langsam aus dem Bahnhof und ließ Sebastian im tiefsten, dunkelsten Sussex zurück.

      »Kann man hier irgendwo was zu trinken bekommen?«, fragte Sebastian den Stationsvorsteher.

      »Nur ich«, antwortete der und nahm einen Schluck aus seinem Flachmann, bevor er sich wieder in sein warmes Kontrollhäuschen zurückzog.

      Genau, wie er befürchtet hatte. Sebastian war kein Fan ländlicher Gegenden. Auf Postkarten störten sie ihn nicht weiter, aber in natura war man auf dem Land immer etwas zu weit vom nächsten Wetherspoons-Pub entfernt.

      Glücklicherweise war Sebastian ein vorausschauender Mensch. Er hatte in London Bridge ein Viererpack Dosenbier gekauft und mit einer Weitsicht, die Churchills würdig war, die letzte Dose für genau diese Art Notfall aufgehoben. Beim Verlassen des Bahnhofs entdeckte er eine gemütliche Bordsteinkante, auf der er sich niederlassen und seine Tasche durchwühlen konnte. Die Dose war noch da, zwischen seinen Wechselsocken und der Ersatzunterhose, und ihre laue Temperatur lag noch im genießbaren Bereich.

      Er riss die Dose auf, bespritzte seine Hand mit Schaum und gab ihr einen liebevollen Kuss. So. Das wäre geschafft.

      Sebastian warf einen Blick auf die Bahnhofsuhr. Kurz vor neun. Bald würde sie hier sein. Und er konnte es kaum abwarten.

      Vanessa war eine tolle Frau, daran gab es keinen Zweifel. Was sie allerdings ihrerseits in einem schmächtigen Kerl wie Sebastian sah, konnte er nur mutmaßen. Späte Dreißiger, geschieden, attraktiv und offensichtlich reich, war Vanessa die personifizierte Femme fatale oder, wie die Jungs in Sebastians Putzkolonne zu sagen pflegten, eine »echt heiße Milf«.

      Da er eine Waise war, hatte Sebastian keine Mutter, mit der er sie hätte vergleichen können, sei es inzestuös oder auf welche Art auch immer, also hatten die Jungs vielleicht im Grunde recht, wenn sie behaupteten, Vanessa würde ihn im freudschen Sinne interessieren, weil sie eine Leere füllte, die er seit seiner Kindheit in sich trug. Oder vielleicht war es auch nur, weil sie reich war. Hm, je mehr Sebastian darüber nachdachte, desto mehr kam er zu dem Schluss, dass das wohl die Antwort sein musste.

      Sebastian hatte sein ganzes verflixtes Leben lang nur Not und Elend gekannt. Aufgewachsen in einem Waisenhaus, mit niemandem, der sich um ihn gekümmert hätte, waren seine gelegentlichen Weihnachtsgeschenke freundlicherweise von diversen Wohltätigkeitsorganisationen gekommen (wenn die es sich leisten konnten) und nun lag eine Zukunft vor ihm, die darin bestand, die Toiletten einer Maklerfirma in der City zu reinigen. Sebastian hatte daher nichts gegen die Aussicht auf einen Wochenendurlaub mit einer Sugarmama einzuwenden. Und niemand sollte behaupten, er habe das nicht verdient. Sogar den Niedrigsten in Londons Unterschicht stand ab und an eine Erholungspause zu.

      Sebastian arbeitete in der Nachtschicht. Wenn sich die Börsenhändler zu den Champagnerbars von Bishopsgate aufgemacht hatten, kamen Sebastian und seine Mitbeauftragten, um den »Champagner« aufzuwischen, den sie über die Fußböden der Vorstandstoiletten verspritzt hatten. Es war eine Drecksarbeit, aber irgendjemand musste sie schließlich machen – und das, wie es aussah, unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns. Doch wie Sebastian und seine Kollegen nur zu oft von ihrem Vorarbeiter zu hören bekamen: »Wenn ihr den Job nicht wollt, dann weiß ich zehn Kerle, die heute Nacht in Dover ankommen und ihn sofort nehmen würden.« Mr. Kelseys Motivationsmethoden mochten einiges zu wünschen übrig lassen, aber er hatte nicht ganz unrecht. Bettler können nicht wählerisch sein, jedenfalls nicht in diesem Leben, und Sebastian machte sich keine Illusionen über seine zukünftigen Karriereaussichten. Mit sechzehn war er aus der Schule geflogen (verdammte Grammatik), mit achtzehn aus der Army (verdammte Tauglichkeitsuntersuchung), mit einundzwanzig aus dem Prince’s Trust (verdammtes Nulltoleranzprinzip Drogen gegenüber) und mit dreiundzwanzig aus der Musikszene (verdammte Talentfreiheit).

      Inzwischen war Sebastian sechsundzwanzig. Die meisten Typen in seinem Alter hinterließen längst ihre Spuren in der Geschäftswelt – und offensichtlich an den Wänden und Klobrillen, damit Sebastian sie wegwischen konnte – nur er selbst ging nirgendwohin. Und er wusste es.

      Dabei war Sebastian das Arbeiten in einer Maklerfirma zuerst tatsächlich reizvoll erschienen. Er hatte gedacht, er könnte ein paar nützliche Kenntnisse aufschnappen, aber bis jetzt hatte er bloß die Erkenntnis gewonnen, dass sein Leben sogar noch beschissener war, als er vermutet hatte. Das Geld, das die Typen in den Anzügen verdienten, trieb einem die Tränen in die Augen; es waren unanständige, geradezu ekelhafte Summen, und doch fand nichts davon seinen Weg zu Sebastian. Man sollte meinen, ein Manager mit einem Monatsgehalt von 25.000 Pfund plus einem halbjährlichen Bonus von 250.000 Pfund könnte dem Kerl, der jeden Abend seine Pisse wegwischt, vielleicht mal einen Zwanziger Trinkgeld für seine Mühe dalassen, aber nein: Alles, was die jemals daließen, war noch mehr Pisse. Und Scheiße. Und mit Klopapier verstopfte Abflüsse. Es konnte selbst den Besonnensten dazu treiben, Jeremy Corbyn zu wählen.

      Aber dann traf er Vanessa. Er wusste nicht, was genau ihr Job war, aber sie arbeitete ebenfalls nachts. Um sich die asiatischen Märkte zunutze zu machen, wie sie sagte. Nie sah er sie vor einem Computerbildschirm sitzen oder in einem der Büros. Er begegnete ihr nur auf dem Flur oder fuhr ab und zu mit ihr im Fahrstuhl. Sie war eine der Wenigen, die Sebastian überhaupt zur Kenntnis nahmen, und das nicht nur, um ihn auf eine vergessene Bremsspur an der Kloschüssel aufmerksam zu machen. Sie war freundlich, liebenswürdig und sehr, sehr verführerisch. Sie hatte unglaubliche Augen von geradezu hypnotischer Schönheit. Die Art Augen, die einem direkt in die Seele blickten. So kam es Sebastian wenigstens vor.

      Natürlich spielte er bei Weitem nicht in ihrer Liga. Sebastian war sich noch nicht einmal sicher, ob sie überhaupt beide dieselbe Sportart ausübten. Vanessa war stilvoll, kultiviert und strotzte vor Selbstvertrauen. Sebastian … nicht.

      Für sie war er bloß ein Hündchen. Eine niedliche kleine Promenadenmischung, die sie im Vorübergehen streichelte; das war alles, was er ihr je bedeuten würde. Wie konnte es auch anders sein, wenn die Gehälter aller anderen Typen im Gebäude sechs Ziffern hatten, ihre Autos Summen mit fünf Ziffern kosteten, ihre Anzüge vier, und sie selbst die Ziffer Acht quer über die Kacheln pissten, die Sebastian dann abwischen musste?

      Und Vanessa hatte es durchaus auch auf die großen Tiere abgesehen, vor allem auf ausländische Broker, die mit kurzfristigen Verträgen herkamen, für ein oder zwei Firmenfusionen blieben und sich dann mit den Früchten ihrer Mausklicks in sonnige Gefilde zurückzogen. Mit wie vielen Typen hatte Sebastian sie während seiner Zeit in der Firma schon aus dem Gebäude gehen sehen? Er hatte nicht nachgezählt, aber es waren genug, um anzunehmen, dass Vanessa wohl Teil des Bonussystems sein musste.

      Doch dann hatte sie eines Nachts angefangen, mit Sebastian zu reden, und zwar nicht nur irgendwelchen Small Talk, sondern echte Gespräche: über das Leben, die Liebe und die Lasten der Vergangenheit. Es war, als ob sie ihn aushorchte, abschätzte, ihm vielleicht sogar ihr Vertrauen schenkte. Sebastian fühlte sich gleichzeitig geschmeichelt und

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