Lebenssplitter. Dietmar Wolfgang Pritzlaff

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Lebenssplitter - Dietmar Wolfgang Pritzlaff

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"normalerweise" sein muss. (Muss?)

      Die Mädchen freuten sich immer auf Dieter, da konnten sie endlich Vater-Mutter-Kind spielen. Dieter jedenfalls spielte wie zuhause mit seinen Schwestern das Spiel in der Puppenecke mit. Stundenlang, ganz lieb und zurückgezogen, mit den Puppen und mit den (anderen) Mädchen. Die Kindergärtnerin wunderte sich zwar darüber, ließ es aber zu.

      Dieter liebte die Freiheit und spielte am allerliebsten mit den Mädchen auf der Straße oder in nahegelegenen Wäldern. Häuser standen damals nur wenige links und rechts der Straße. Was heißt Straße, eigentlich war es mehr ein Feldweg, holprig und übersät mit Schlaglöchern. Bürgersteige gab es anfangs noch nicht. Wozu auch? Höchstens ein, zwei Autos am Tag befuhren den Weg. Nicht jeder konnte sich damals in den sechziger Jahren ein Auto leisten.

      Es gab Schrebergärten die (wie sollte es anders sein) natürlich mit Zäunen abgesperrt waren, die die Kinder aber immer zu überklettern oder zu durchbrechen wussten. Eine Wiese, die Schäfchenwiese, sogenannt, weil auf ihr im Sommer immer Schafe angepflockt weideten und wie gesagt, die frischen Wälder ringsumher luden zum Spielen und Verweilen ein.

      Die Kiefer-, Buchen-, Tannen- und Fichtenwälder waren nahe und ließen sich auf abenteuerliche Weise durchstreifen und erforschen.

      Heute sieht dort alles ganz anders aus. Es gibt keine Schäfchenwiese und auch keine Schrebergärten mehr. Dafür aber Bürgersteige und eine echte Straße mit Asphalt gedeckt. Parkplätze, Einstellplätze und hohe Zäune um die kleinen Vorgärten der erbauten Häuser. Dafür musste der Wald weichen und weicht Jahr für Jahr noch immer weiteren Hausbauten.

      Zurück zu Dieter. Dieter hatte mit seinem Geschrei und Geplärr seine Mutter davon überzeugt, dass das Gefängnis des Kindergartens wirklich nicht der richtige Ort zum Spielen war und so nahm sie den armen Kleinen wieder aus dem Kindergartendasein heraus und gab ihn der freien Welt zurück.

      Nach dieser abscheulichen Kindergartenzeit spielte also Dieter wieder in freier Wildbahn und wieder mit - Mädchen. Das kam daher, dass es fast nur Mädchen in dieser Straße gab. Seine allerliebste Sandkastenfreundin war Claudia. Sie brauchte nicht in irgendeinen Kindergarten, sei er katholischer oder evangelischer Art. Claudias Eltern waren neuapostolisch und für neuapostolische Kinder gab es keine neuapostolischen Kindergärten. Sie spielte in ihrem eigenen Garten hinter dem Haus.

      Dieters Eltern wohnten (und wohnen noch heute) in einem Mietshaus. Claudias Eltern hingegen besaßen ihr eigenes Haus, direkt gegenüber Dieters Kinderstube, mit zwei Einliegerwohnungen, die sie vermieteten. Zu dem Haus gehörte noch ein Garten mit Rosenbeet, Wiese und Terrasse. Obstbäume, Johannisbeer- und Stachelbeersträucher rundeten das Bild des kleinen aber feinen Paradieses ab, in dem Claudia und Dieter spielten. Natürlich durfte Dieter nur ins Paradies kommen, wenn er auch ganz lieb zu Claudia war und keinen Streit vom Zaun brach. Denn manchmal ging es mit Dieter durch und dann kehrte er plötzlich die winzig kleine Männlichkeit, die auch irgendwo in ihm steckte, heraus. Aber nur vor Mädchen. Wenn Dieter aber ganz brav, lieb und nett war, gab es hin und wieder sogar selbstgemachten Johannisbeersaft von Claudias Mutter zu trinken. Das waren für Dieter die schönsten Augenblicke in seinem noch so jungen Leben. Es war ihm fast wie Weihnachten und Ostern an einem Tag, weil es diesen besonderen, köstlichen Fruchtsaft nicht alle Tage gab. Und Dieters Eltern mussten ja auch mangels Geldmasse an vielem sparen und hatten gar nicht die Möglichkeiten den kleinen Dieter mit solchen Köstlichkeiten zu verwöhnen.

      Claudia hatte einen Bruder der, zwar nur zwei Jahre älter als Claudia und Dieter, sich aber meist zu älteren Jungen auf anderen Straßen hingezogen fühlte und nur selten die Spiele der "Kleinen" mit seiner Anwesenheit bereicherte. Noch dazu war er sehr sportlich und in einem Schwimmverein begeistertes Mitglied. Heute ist er Trainer dieses Vereins.

      Nach und nach zogen weitere Familien in die Häuser auf unserer Straße und bereicherten, aber störten auch die kleine Spielgruppe von Claudia und Dieter. Da waren noch Regina und deren Schwester Kerstin. Beate, Reginas Cousine, ihre Schwester Sabine und ihr kleiner Bruder Martin, mit dem man noch so gar nichts anfangen konnte. Später gesellten sich noch eine Annette und eine Sandra dazu.

      Du siehst also, Dieter blieb gar nichts anderes übrig als sich mit den Mädchen gut zu stehen. Sie waren immerhin in der Überzahl.

      Wann begann Dieters Feigheit? War er schon immer feige?

      Aus der Vorschulzeit ist eine Begebenheit zu berichten, die Dieter als erstes großes Feigheits-Ereignis in sein Feigheitsregister, aufgenommen hat. Die Geschichte spielte sich in einem kalten Winter ab. Die Schäfchenwiese lag unter einer dicken Schneedecke begraben. Claudia und Dieter hatten sich eines schönen Morgens, gleich nach dem Frühstück zusammengefunden, um gemeinsam Schneemänner und Schneehäuser zu bauen. Der Schnee nicht zu feucht, nicht zu pulvrig, schrie geradezu nach der Verbauung, und schon standen die beiden Kinder mitten in den Schneemassen und rollten kleine Schneebälle zu riesigen Schneekugeln, um diese aufeinanderzutürmen und schneemenschlich zu verzieren. Dann kam eine neue Idee ins Spiel und es wurden noch mehr Kugeln gerollt, zu einem großen Kreis angeordnet und die Kugelschichten nacheinander aufeinander gebaut, sollten mal ein Haus, eine Art Iglu werden. Aber kurz vor der Vollendung sahen die beiden Kinder plötzlich zwei viel ältere Jungen über die Wiese auf sich zukommen. Schon von Weitem verhöhnten die großen Jungen die Bauwerke der Kleinen mit sichtlichem Vergnügen. In Dieter stieg eine innere Unruhe auf. Wo waren seine Eltern die sich jetzt schützend vor ihn stellen konnten? Wo waren seine älteren Schwestern die helfen konnten?

      Hier war nur Claudia, und die war genauso klein wie Dieter. Aber sie bewies Mut. Sie ging in Abwehrstellung, Dieter wollte es ihr gleichtun, jedoch: Es ging einfach nicht. Er konnte nicht aus sich heraus, konnte nicht über seinen eigenen Schatten springen, hatte keinen Mut. Dachte auch, einem Mädchen werden die Lümmels schon nichts tun. Sie taten dem Mädchen auch nichts, nichts Körperliches. Die beiden Bösewichte zerstörten die großen Schneekugeln, hauten dem Schneemann eins auf die Nase, stürzten ihn unter lautem Gejohle um und zertrampelten ihn anschließend mit Genuss. Claudia versuchte die großen Jungen wegzudrängen. Sie versuchte es jedenfalls, wurde aber immer ärgerlicher, zorniger, wütender und hatte alsbald schon Tränen im Gesicht. Dieter stand nur da und sah verängstigt zu wie die ganze Kinderarbeit zunichte gemacht wurde. Er starrte wie angewurzelt, mit großen Augen in die weißen Massen, und dachte nur daran, dass ihm nichts geschehen möge. Als Claudia merkte, dass sie nichts gegen die Zerstörungswut der beiden Großen tun konnte, kullerten unaufhörlich die Tränen an ihren, trotz der Eiseskälte, glühenden Wangen herunter und tropften in den Schnee. Claudia weinte und weinte, dann lief sie von der Wiese. Dieter neben ihr her, nicht imstande ein Wort herauszubringen. Claudia sagte auch nichts als Dieter ihr den Weg zu dem elterlichen Haus folgte. Sie schellte, ihre Mutter machte die Tür auf und Claudia stürmte ins Haus. Dieter traute sich nicht ihr zu folgen und blieb stehen. Die Mutter fragte ihn, was denn geschehen sei, aber er bekam den Kloß aus dem Hals einfach nicht heraus und blieb stumm. Claudias Mutter bestimmte hierauf ein Warten vor der Tür für ihn. Dieter stand in der Kälte und schlich lautlos durch den Garten. Dieter ahnte schon die kommende, fürchterliche Blamage und spürte wie der Kloß in seinem Hals noch weiter anschwoll. Dieter verstand die Welt nicht mehr. Konnten denn zwei ältere, stärkere und größere Jungen einfach so, nur so aus Spaß, alles kaputt machen? Und wie hätte denn Dieter auch helfen können, der arme kleine Wurm? Nur weil er ein Junge war musste er mutig sein?

      Claudias Mutter öffnete irgendwann später die Eingangstür und rief Dieter zu sich. Nervös und Fingernägel kauend stand er vor ihr und sie fragte warum er Claudia nicht geholfen habe. Das musste ja kommen. Genau die richtige Frage, dachte Dieter. Dieter konnte jedoch nicht antworten, nichts erwidern, starrte nur vor sich auf den Boden und da stiegen auch ihm die Tränen in die Augen. Claudias Mutter blieb hart und stellte fest, dass Dieter doch ein Junge sei. Was auch immer das bedeuten sollte, in dieser Situation. Erhobenen Hauptes offenbarte sie Dieters Strafe: Er sollte nach Hause gehen, Claudia würde jetzt nicht mehr mit ihm spielen und über das "warum" sollte er

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