Über die Dichtkunst beim Aristoteles. Aristoteles

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Über die Dichtkunst beim Aristoteles - Aristoteles

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Weise wieder, doch hat man die Empfindung, daß in diesem Briefwechsel Schiller durchaus der Gebende ist. Noch wenige Jahre (1826) vor seinem Tode ist Goethe in seiner ganz kurzen "Nachlese zur Poetik" nochmals auf den Gegenstand zurückgekommen, worin er, wohl durch seine künstlerische Weltanschauung verleitet, eine ganz falsche Übersetzung des Schlusses der Tragödiendefinition gibt.

      Im 19. Jahrh. ist es, von der mächtigen Wirkung der bereits erwähnten Abhandlung von Bernays abgesehen, vor allem die Ästhetik, die sich allenthalben mit unserer Poetik auseinandersetzt, so E. Müller, Vischer, Volkelt, Günther, Walter, W. Dilthey, Lippe, Bosanquet, Nietzsche, Baumgart und Carrière, um nur diese zu nennen. In den Hauptfragen wie über den Ursprung der Poesie, den Begriff des Kunstschönen, den Endzweck der Dichtung, sind manche dieser Forscher zwar zu neuen und eigenartigen aber im großen und ganzen keineswegs einwandfreieren oder sichereren Ergebnissen gelangt, als sie schon in den kurzen, fast ohne Begründung hingeworfenen Lehrsätzen des Aristoteles uns vorliegen.

      5. Die Quellen der Poetik.

      Originalität ist ein rein relativer Begriff, ja in einem gewissen Sinne gibt es eine solche überhaupt nicht, ist doch jeder Denker ein Erbe der Vergangenheit[5] und irgendwie von Vorgängern, wenn nicht direkt abhängig, so doch, und zwar oft unbewußt, beeinflußt. Andrerseits steckt nicht minder häufig in der Art, wie ein Forscher den ihm vorliegenden Stoff verarbeitet, in der Beleuchtung, in die er ihn rückt, in dem Zusammenhang in den er ihn einreiht oder, falls er sich mit ihm im Widerspruch befindet, in der Begründung seines entgegengesetzten Standpunkts ein ebenso hoher Grad von Selbständigkeit und Originalität als in dem ganz Neuen, das er im übrigen bringen mag. So ist denn zweifellos auch die Poetik des Aristoteles nicht wie Athene in voller Rüstung aus dem Haupte des Zeus entsprungen, auch er hat, und zwar nachweisbar, eine umfangreiche Literatur über seinen Gegenstand, vor allem in den Schriften der Sophisten, schon vorgefunden und so weit zweckdienlich verwertet oder auch zu widerlegen sich veranlaßt gefühlt. Gegen das Verdammungsurteil, das Platon gegen das Epos und Drama geschleudert hat, bildet die Poetik als Ganzes gleichsam einen stillschweigenden Protest, der in einer Anzahl Stellen sogar deutlich und greifbar hervortritt, obwohl er den Namen seines Lehrers niemals nennt. Daß einzelne Gedankengänge Platons über die Dichtkunst auf Aristoteles eingewirkt, seinen Theorien eine gewisse Richtung gegeben und ihn bewogen haben zu ihm seinerseits Stellung zu nehmen, ist fast selbstverständlich und allgemein anerkannt.

      Wenn aber neuerdings in einem geistvollen und formvollendeten Buche,[6] das sich nicht nur an fachkundige Leser wendet, der Versuch gemacht worden ist, dem Verfasser der Poetik jede Originalität abzusprechen und sie zu einem bloßen Echo platonischer Gedanken herabzusetzen, so muß gegen diese tendenziöse Entstellung des wirklichen Tatbestandes der schärfste Einspruch erhoben werden. Die Widerlegung dieser Verirrung eines sonst trefflichen Gelehrten im Einzelnen kann hier nicht unternommen werden, ich muß mich damit bescheiden, auf einige wenige Punkte aufmerksam zu machen, die aber allein schon genügen dürften, die angewandte Beweisführung in ein grelles Licht zu setzen und den Versuch selbst ad absurdum zu führen. Angesichts seiner unten[5b] zitierten, durch nichts gemilderten Behauptungen ist die Beobachtung geradezu verblüffend, daß diese sich, soweit das Verhältnis des Aristoteles zu Platon überhaupt in Frage kommen könnte, so gut wie ausschließlich auf eine Anzahl Lehrsätze und Gedanken der ersten sechs Kapitel beschränken! Sodann ist zu bemerken, daß Platon sich zwar mehr oder minder ausführlich über Zweck, Wirkung, Charakter und Ursprung der Dichtung ausgesprochen hat, daß aber von einer Technik der Dichtkunst—und das ist doch wohl unsere Poetik—sich schlechterdings nichts findet, was dem Aristoteles als Grundlage oder Quelle der Erkenntnis hätte dienen können. Selbst die platonische Auffassung der nachahmenden Tätigkeit des Künstlers (Mimesis) weicht durch ihre Verknüpfung mit der Ideenlehre von der des Aristoteles sehr erheblich ab. Und dasselbe gilt von einer großen Anzahl gelegentlicher Äußerungen, wie über die furcht- und mitleiderregende Wirkung der Tragödie, über den Unterschied zwischen dem Drama und dem Epos, über die der Dichtung zugrundeliegenden Ursachen und über den Dithyrambus als nicht mimetische Darstellung. Und selbst bei diesen Fragen ergibt oft die Art der Betrachtung, daß Platon sie nicht zuerst aufgeworfen, sondern zu anderweitig bereits erörterten literarischen Problemen seinerseits, sei es zustimmend, sei es ablehnend, Stellung nimmt. Mit welchen Gewaltmitteln die Abhängigkeit des Aristoteles von Platon glaubhaft gemacht werden soll, dafür sei wenigstens ein besonders krasses Beispiel angeführt. Mit der dem Aristoteles eigenen analytischen Schärfe werden die Unterschiede In der nachahmenden Darstellung aller musischen Künste festgestellt, nämlich in den Mitteln, den Gegenständen und der Art und Weise (c. 1), eine Einteilung, die sich auch für die sechs Teile einer kunstgerechten Tragödie bewährt (c. 6). Diese tief durchdachte Unterscheidung soll nun nicht nur sachlich, sondern sogar im Wortlaut dem Platon entnommen sein. In der Rep. III 392c schließt nämlich Sokrates eine längere Erörterung darüber, daß in seinem Idealstaate nur Spezialisten als Lehrer Zulaß haben sollten, mit folgenden Worten: "Wir sind nun, was die musische Bildung anbelangt, völlig zu Ende gekommen und haben angegeben, was ausgesprochen werden soll und wie." Inhaltlich haben, wie man sieht, diese Worte, wie auch der ganze Zusammenhang mit der aristotelischen Betrachtung auch nicht das mindeste gemein und auch abgesehen davon, fehlt noch fatalerweise das dritte Glied—die Mittel! Aber durch solche Kleinigkeiten läßt sich Finsler seine Kreise nicht stören. Aristoteles wird wiederholt beschuldigt auch die einfachsten Redewendungen, wo der Gedanke sich griechisch kaum anders hätte ausdrücken lassen, dem Platon entlehnt zu haben. So z.B. daß die Dichter Handelnde nachahmen (Rep. 10, 603°), obwohl gerade dieser Gedanke gar nicht einmal platonischen Ursprungs sein dürfte, denn Aristoteles sagt ausdrücklich, daß bei der Ableitung des Wortes "Drama", von der bei Platon nirgends die Rede ist, "einige" auf eben jene Tatsache sich berufen hätten.

      Die Behauptung einer durchgängigen, fast sklavischen Abhängigkeit des Aristoteles von Platon hält demnach vor einer unbefangenen und vorurteilslosen Prüfung nicht Stand. Ein Einfluß des Lehrers auf seinen Schüler in dem oben angedeuteten Sinne soll darum keineswegs in Abrede gestellt werden, aber soweit die uns vorliegenden Lehren der Poetik in Betracht kommen, hätte ihr Verfasser keinerlei Veranlassung gehabt, einem "Pereant qui ante nos nostra dixerunt" Ausdruck zu geben.

      Während uns Platons Werke vollständig zum Vergleich vorliegen, sind die sonstigen Vorgänger des Aristoteles gänzlich verschollen und selbst Schriften wie die eines Demokrites "Über die Dichtung" und "Über Rhythmen und Harmonie" oder des Sophisten Hippias "Über Musik" und "Über Rhythmen und Harmonien", die auf ähnliche Erörterungen allenfalls schließen ließen, sind für uns nur leere Titel. Daß aber eine reiche fachmännische Literatur, die, wie gesagt hauptsächlich aus sophistischen Kreisen stammte, dem Aristoteles zur Verfügung stand, beweisen allein die Frösche des Aristophanes (405), die bereits eine staunenswerte, allgemeine Kenntnis über die Technik des Dramas von Seiten des athenischen Theaterpublikums zur notwendigen Voraussetzung haben.

      Glücklicherweise gibt unsere Poetik selbst uns noch wertvolle Andeutungen über frühere Schriftsteller auf diesem Gebiete, denn an nicht weniger als 12 bezw. 13 Stellen beruft sich Aristoteles ausdrücklich auf Vorgänger und zwar fünfmal mit Namennennung (Protagoras, Hippias von Thasos, Eukleides, Glaukon und Ariphrades). Bei vier von diesen handelt es sich meist um Einzelheiten in betreff des Versbaues und des Sprachgebrauchs, bei Glaukon dagegen um eine von ihm unter Zustimmung des Verfassers gegeißelte falsche Methode zahlreicher, literarischer Kritiker, die für uns zwar namenlos sind, deren Existenz aber eben durch jenen Ausfall erwiesen wird. Wichtiger für die Quellenfrage sind die übrigen Stellen, aus denen man seltsamerweise bisher nicht die Konsequenzen gezogen hat, sondern sich damit begnügte, sie als gleichsam isolierte Äußerungen zu betrachten, die Aristoteles nur erwähnt, um sie abzuweisen. Mit dem Motiv mag es seine Richtigkeit haben, entspricht es doch durchaus der antiken Zitiermethode, auf einen

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