Gesammelte Werke. Aristoteles
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Das Zugleich wird einfach und hauptsächlich von denjenigen Dingen ausgesagt, deren Entstehung in demselben Zeitpunkt erfolgt; hier ist keines früher oder später als das andere. Dergleichen wird also als »zugleich der Zeit nach« bezeichnet; dagegen gilt dasjenige als »von Natur zugleich«, was zwar in Bezug auf die Folge des Seins des Einen aus dem Sein des Andern die Umkehrung gestattet, aber wo doch keins die Ursache von dem Sein des andern ist; dieser Art ist z.B. das Doppelte und das Halbe; denn sie lassen sich umkehren (denn wenn das Doppelte ist, so ist auch das Halbe und wenn das Halbe ist, so ist auch das Doppelte), keins von beiden ist aber die Ursache von dem Sein des andern. Auch die verschiedenen durch Theilung entstandenen gegenseitigen Arten derselben Gattung gelten als von Natur zugleich vorhanden. Als solche Arten gelten die, welche aus derselben Theilung hervorgehn; z.B. die Vögel gegenüber den Landthieren und Wasserthieren; denn diese gegensätzlichen Arten sind aus derselben Gattung durch eine Theilung entstanden, da die Thiere in diese Arten eingetheilt werden, nämlich in Vögel, Landthiere und Wasserthiere, und keine dieser Arten ist früher als die andere, vielmehr gelten sie sämmtlich als von Natur zugleich vorhanden. Jede dieser Arten kann wieder in Unterarten eingetheilt werden, sowohl die Landthiere, wie die Vögel und die Wasserthiere. Sonach sind also alle diejenigen Gegenstände von Natur zugleich, welche aus derselben Gattung durch dieselbe Eintheilung derselben gewonnen worden sind Dagegen sind die Gattungen immer früher als ihre Arten; denn hier lässt sich der Satz, wonach aus dem Sein des Einen das Sein des Andern folgt, nicht umkehren; so ist z.B. wenn ein Wasserthier da ist, auch ein Thier da; aber wenn ein Thier da ist, so ist nicht nothwendig ein Wasserthier vorhanden.
Von Natur zugleich gilt also alles, wo zwar der Satz von der Folge des Seins des Einen aus dem Sein des Andern sich umkehren lässt, aber keines die Ursache von dem Sein des andern ist; ferner gelten als solche alle Arten, welche aus derselben Gattung durch dieselbe Eintheilung einander gegenüberstehen; als einfach zugleich gilt aber Alles, was in demselben Zeitpunkt entstanden ist.
Vierzehntes Kapitel
Von der Bewegung giebt es sechs Arten; die Entstehung, den Untergang, die Vermehrung, die Verminderung, die Veränderung und den Ortswechsel. Alle diese Arten, mit Ausnahme der Veränderung, sind offenbar von einander verschieden; denn die Entstehung ist kein Untergang und die Vermehrung ist keine Verminderung und auch kein Ortswechsel und dasselbe gilt von den anderen; nur bei der Veränderung entsteht der Zweifel, ob es nicht nothwendig sei, dass die Veränderung in einer der übrigen Arten erfolgen müsse. Indess ist dies nicht richtig, denn wir erfahren beinahe bei allen Affekten oder wenigstens bei den meisten eine Veränderung, ohne dass wir dabei an einer von den andern Arten der Bewegung Theil nehmen; denn der vom Affekt Ergriffene braucht deshalb weder grösser noch kleiner zu werden und eben so wenig eine andere der übrigen Arten von Bewegung zu erleiden und deshalb ist die Veränderung eine besondere Art der Bewegung neben den übrigen. Denn wäre dies nicht der Fall, so müsste das Veränderte entweder auch gleichzeitig grösser oder kleiner werden oder eine andere Art von Bewegung erleiden, was doch nicht nothwendig ist. Ebenso müsste auch das, was grösser geworden oder sonst eine Art von Bewegung erlitten hat, sich verändert haben; allein es kann etwas grösser werden, was sich doch deshalb nicht verändert. So nimmt ein Viereck, wenn man die Diagonale um dessen Ecken herumlegt, zwar zu, aber es ist kein Anderes geworden und dasselbe gilt für andere Fälle dieser Art. Sonach sind die angegebenen Bewegungen sämmtlich von einander verschieden.
Das Gegentheil schlechthin von der Bewegung ist die Ruhe und von den einzelnen Arten derselben sind die einzelnen Arten der Ruhe das Gegentheil; so ist das Gegentheil von der Entstehung der Untergang, und von der Vermehrung die Verminderung und von dem Ortswechsel die Ruhe an demselben Ort. Am meisten ist aber wohl der Wechsel der entgegengesetzten Orte einander entgegengesetzt; z.B. der von Oben nach Unten und der von Unten nach Oben. Bei den übrigen genannten Arten der Bewegung lässt sich nicht leicht das angeben, was ihr Gegentheil ist; vielmehr scheint hier kein Gegentheil vorhanden zu sein, wenn man nicht bei ihnen das Verharren in derselben Beschaffenheit und den Uebergang in die entgegengesetzte Beschaffenheit als Gegensatz aufstellen will, wie dies in Bezug auf den Ortswechsel mit der Ruhe an demselben Ort oder mit dem Uebergang in den entgegengesetzten Ort geschieht; denn die Veränderung ist ein Wechsel in der Beschaffenheit. Deshalb steht dem Wechsel in der Beschaffenheit die Ruhe in dieser Beschaffenheit oder der Wechsel in die entgegengesetzte Beschaffenheit gegenüber, wie das letztere z.B. bei dem Weiss geschieht, wenn es schwarz wird; denn bei einem solchen Wechsel verändert es sich in die entgegengesetzte Beschaffenheit.
Fünfzehntes Kapitel
Das Haben wird in verschiedenem Sinne gebraucht; theils bezeichnet es eine Eigenschaft oder einen Zustand, oder irgend eine andere Beschaffenheit; denn man sagt, dass Jemand eine Wissenschaft oder Tugend besitze; theils gebraucht man das Wort bei der Grosse, z.B. wenn Jemand eine bestimmte Grosse hat; denn man sagt dann von ihm, dass er eine Grosse von drei oder vier Ellen habe; theils gebraucht man das Wort bei der Bekleidung des Körpers z.B. bei einem Mantel oder Rock; theils bei dem, was man an einem Theile hat, z.B. bei dem Fingerringe an der Hand; theils bei dem, was man als Glieder hat, z.B. die Hand und den Fuss; theils bei dem was in einem Gefässe ist; so hat z.B. der Scheffel den Weitzen oder der Krug den Wein; denn man sagt, dass der Krug den Wein habe (enthalte) und der Scheffel den Weitzen; man gebraucht von alle dem das Haben wie bei dem Gefässe. Auch wird das Haben in Bezug auf das Vermögen gebraucht; denn man sagt, dass Jemand ein Haus oder ein Ackerstück habe.
Auch sagt man: eine Frau haben und dass die Frau einen Mann habe; diese Bedeutung von Haben ist die allerentfernteste, denn man versteht unter »ein Frauenzimmer haben« nichts anderes, als ihr beiwohnen.
Vielleicht lassen sich noch andere Bedeutungen von Haben aufzeigen; indess werden die hier genannten wohl die gebräuchlichsten sämmtlich befassen.
Ende.
Hermeneutika oder Lehre vom Urtheil
(Peri hermêneias)
Erstes Kapitel
Zunächst habe ich festzustellen, was Hauptwort und was Zeitwort ist; dann was Bejahung und Verneinung und was Aussage und was Rede ist.
Die gesprochenen Worte sind die Zeichen von Vorstellungen in der Seele und die geschriebenen Worte sind die Zeichen von gesprochenen Worten. So wie nun die Schriftzeichen nicht bei allen Menschen die nämlichen sind, so sind auch die Worte nicht bei allen Menschen die nämlichen; aber die Vorstellungen in der Rede, deren unmittelbare Zeichen die Worte sind, sind bei allen Menschen dieselben und eben so sind die Gegenstände überall dieselben, von welchen diese Vorstellungen die Abbilder sind. Hierüber habe ich früher in meiner Schrift über die Seele mich ausgesprochen; es gehört nämlich zu einer andern Untersuchung.
So wie nun das einemal ein Gedanke auftritt, ohne wahr oder falsch zu sein, und das anderemal in der Weise, dass er nothwendig das eine oder das andere ist, so ist es auch mit den Worten;