Gesammelte Werke. Aristoteles

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Gesammelte Werke - Aristoteles

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nicht, weil wir nicht wegen der Affekte tugendhaft oder lasterhaft genannt werden, wohl aber wegen der Tugenden und Laster, und weil wir nicht wegen der Affekte gelobt und getadelt werden – denn man wird nicht gelobt; wenn man sich fürchtet oder wenn man zornig wird, und nicht getadelt, wenn man einfach zornig wird, sondern wenn es (1106a) auf bestimmte Weise geschieht –, wohl aber wird uns wegen der Tugenden und der Laster Lob oder Tadel zu teil. Ferner werden wir zornig und geraten wir in Furcht ohne vorausgegangene Selbstbestimmung, die Tugenden aber sind Akte der Selbstbestimmung oder können doch von diesem Akte nicht getrennt werden. Überdies sagen wir, daß wir durch die Affekte bewegt, durch die Tugenden und Laster aber nicht bewegt, sondern in eine bestimmte bleibende Disposition gebracht werden.

      Aus diesen Gründen sind die Tugenden auch keine Vermögen. Denn wir heißen nicht darum gut oder böse, weil wir das bloße Vermögen der Affekte besitzen, noch werden wir darum gelobt oder getadelt. Überdies sind die Vermögen Naturgabe, gut oder böse aber sind wir nicht von Natur, wie wir schon oben ausgeführt haben.

      Wenn nun die Tugenden keine Affekte und auch keine Vermögen sind, so bleibt nur übrig, daß sie ein Habitus sind.

      So hätten wir denn erklärt, was die Tugend der Gattung nach ist.

      Fünftes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Aber diese Bestimmung, daß die Tugend ein Habitus ist, reicht nicht hin; wir müssen auch angeben, welcher Art derselbe ist.

      Hier ist zu sagen, daß jede Tugend oder Tüchtigkeit einerseits dasjenige selbst, woran sie sich findet, vollkommen macht andererseits seiner Leistung die Vollkommenheit verleiht. Die Tüchtigkeit des Auges macht z. B. das Auge selbst und seine Leistung gut, da sie bewirkt, daß wir gut sehen. Desgleichen macht die Tüchtigkeit des Pferdes, daß es selbst gut ist, und daß es gut läuft, den Reiter gut trägt und vor dem Feinde gut stand hält. Wenn sich dieses nun bei allem so verhält, so muß auch die Tugend des Menschen ein Habitus sein, vermöge dessen er selbst gut ist und sein Werk gut verrichtet.

      Sechstes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Es ist mithin die Tugend ein Habitus des Wählens, der (1107a) die nach uns bemessene Mitte hält und durch die Vernunft bestimmt wird und zwar so, wie ein kluger Mann ihn zu bestimmen pflegt. Die Mitte ist die zwischen einem doppelten fehlerhaften Habitus, dem Fehler des Übermaßes und des Mangels; sie ist aber auch noch insofern Mitte, als sie in den Affekten und Handlungen das Mittlere findet und wählt, während die Fehler in dieser Beziehung darin bestehen, daß das rechte Maß nicht erreicht oder überschritten wird.

      Deshalb ist die Tugend nach ihrer Substanz und ihrem Wesensbegriff Mitte; insofern sie aber das Beste ist und alles gut ausführt, ist sie Äußerstes und Ende.

      Doch faßt nicht jede Handlung oder jeder Affekt eine Mitte, da sowohl manche Affekte, wie Schadenfreude, Schamlosigkeit und Neid, als auch manche Handlungen, wie Ehebruch, Diebstahl und Mord, schon ihrem Namen nach die Schlechtigkeit in sich schließen. Denn alles dieses und ähnliches wird darum getadelt, weil es selbst schlecht ist, nicht sein Zuviel und Zuwenig. Demnach gibt es hier nie ein richtiges Verhalten, sondern immer lediglich ein verkehrtes, und das Gute und Schlechte liegt bei solchen Dingen nicht in den Umständen, wie wenn es sich z. B. beim Ehebruch darum fragte, mit wem und wann und wie er erlaubt sei, sondern es ist überhaupt gefehlt, irgend etwas derartiges zu tun. Ebensowenig nun darf man bei der Ungerechtigkeit, Feigheit und Zuchtlosigkeit nach einer Mitte oder nach einem Zuviel oder Zuwenig fragen. Denn so bekämen wir eine Mitte des Zuviel und Zuwenig und ein Zuviel des Zuviel und ein Zuwenig des Zuwenig. Wie es vielmehr bei der Mäßigkeit und dem Starkmut kein Zuviel und Zuwenig gibt, weil die Mitte gewissermaßen Ende und Äußerstes ist, so gibt es auch in jenen Dingen keine Mitte und kein Zuviel und Zuwenig, sondern wie man sie auch tun mag, immer ist es gefehlt. Denn es gibt beim Zuviel und Zuwenig überhaupt keine Mitte, wie bei der Mitte kein Zuviel und Zuwenig.

      Siebentes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

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