Mami Staffel 2 – Familienroman. Gisela Reutling
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»Du mußtest Deutsch lernen, obwohl du Deutscher bist?« fragte Kati ungläubig.
Er rührte mit einem Strohhalm in seinem Glas, nahm das Brötchen entgegen und schenkte ihr ein dankbares Lächeln.
»Das wird mir guttun. Nun, ich mußte es nicht eigentlich lernen, dafür sorgten meine Mutter und die Lehrer in der deutschen Schule. Aber ich mußte höllisch aufpassen, daß ich es nicht gleich wieder verlerne. So was geht schneller, als man denkt, wenn man hier zu Hause ist und Deutschland nur vom Hörensagen kennt. Verstehst du?«
Ja, das verstand Kati durchaus.
Sie füllte sich ein Glas Zitronenlimonade aus dem großen Krug, den Serafina bereitet hatte, und setzte sich zu Christof an den Tisch. »Hör mal«, begann sie mit verhaltener Stimme und schob ihm die aufgeschlagene Zeitung zu, »da du dich hier so gut auskennst – kannst du mir sagen, was das soll?«
Er trank seinen Tomatensaft aus, kniff die Augen zusammen, schüttelte sich und beugte sich über das Blatt.
Das Brötchen knabbernd studierte er die vier verschwommenen Kinderfotos und die dazugehörigen Textspalten, während Kati an ihrer Limonade nippte.
»Das sind die ausgesetzten Kinder dieser Woche«, sagte er langsam, »sie wurden auf den Stufen der Kolonialkirche gefunden, gleich da drüben.«
»Ich weiß, wo sie liegt, ich war heute morgen dort in der Messe! Aber Christof, das ist doch erschütternd! Darüber kann ich doch nicht einfach hinwegblättern! Sieh dir doch mal dieses Gesichtchen an! Diese Verzweiflung! Bei einem sechs Monate alten Kind! Das ist ja nicht auszuhalten!«
Christof seufzte, warf sein feuchtes, frischgewaschenes Blondhaar zurück und beugte sich wieder über die Zeitung.
»Miguel Lesanto«, las er halblaut. »Tatsächlich, da steht, daß er ein halbes Jahr alt ist.«
»Aber woher wissen sie, wie er heißt?«
»Sie wissen es nicht. Sie geben jedem Kind einen Namen, sobald es im Waisenhaus aufgenommen wird. Irgendwie müssen sie es schließlich nennen.«
»Ja, natürlich, das sehe ich ein. Mit der Veröffentlichung werden Familien für diese Kinder gesucht, nicht wahr?«
»Genau.«
»Und wie stehen die Chancen?«
»Keine Ahnung.«
»Na hör mal, so was mußt du doch wissen, wo du hier aufgewachsen bist. Da gibt es doch bestimmt irgendwelche Erfahrungswerte.«
Christof lehnte sich zurück und sah angestrengt vor sich hin.
»Kati«, sagte er schließlich, »frag mich, wieviel Hubraum ein Landrover hat, frag mich, wieviel Sprit ein Motorroller pro Kilometer verbraucht, aber frag mich nicht, welche Chancen dieses Kerlchen hat!«
Er trommelte mit dem Zeigefinger auf das verschwommene Foto des Kleinkinds namens Miguel Lesanto.
»Na gut«, gab Kati unwirsch zurück, »dann werde ich es eben anderswo herausfinden.«
»Warum denn nur?«
»Weil es mich interessiert. Weil es mir keine Ruhe läßt. Weil es mir wichtiger ist als dein Motorroller und dein Spritverbrauch.«
Sie zog die Zeitung unter seiner Hand weg und nahm sie an sich.
»Jeder hat seinen Tick«, murmelte Christof gedehnt, »schon mal was von Toleranz gehört, hm?«
Kati schwieg.
»Irgendwie«, sinnierte Christof, »bist du anders als die Mädchen, die ich kenne.«
»Ach wirklich?«
»Ja.«
»Inwiefern?«
»Du bist schwierig.«
»Jetzt hör aber auf! Ich bin der unkomplizierteste Mensch, den man sich vorstellen kann!«
»Hahaha!«
»Doch, das bin ich. Unkompliziert, jawohl. Aber nicht oberflächlich. Das sind zwei ganz verschiedene Begriffe! Die kann man nicht einfach verwechseln!«
»Entschuldige bitte, Professora«, sagte Christof belustigt, verwirrt und etwas verunsichert, »Ich bin nur ein ungeschliffener Auslandsdeutscher. Die Feinheiten hat mir niemand beigebracht, oder besser gesagt: ich war nicht besonders erpicht darauf. Meine Mutter hat sich wahrhaftig alle Mühe gegeben«, er lachte, griff nach seinem leeren Glas und stand auf, »aber mein Widerstand war stärker! Na dann, schönen Sonntag! Hast du was Bestimmtes vor?«
»Nein, nichts Besonderes. Morgen ist mein erster Arbeitstag, da will ich frisch und ausgeruht sein.«
»Viel Spaß«, lächelte Christof im Hinausgehen, »und laß dich nicht unterkriegen von den Kids!«
Kati schloß die Tür hinter ihm, legte die Zeitung wieder auf den Tisch, strich sie glatt und vertiefte sich in die Seite mit den Kinderbildern. Miguel war nicht einmal der Jüngste. Aber sein Anblick schnitt ihr besonders ins Herz. Den runden, kleinen Kopf zurückgeworfen, weinte er hemmungslos. Ein Bild der Verlassenheit. Es ging ihr so nahe, daß sie sein verzweifeltes Stimmchen zu hören glaubte.
Statt mich dermaßen niederdrücken zu lassen, sollte ich etwas unternehmen, dachte Kati, faltete die Zeitung zusammen und packte sie in die bunte Stofftasche, die sie am nächsten Morgen mit in die Schule zu nehmen gedachte.
*
Im Vergleich zu den Erstkläßlern, die Kati während ihrer Ausbildung kennengelernt hatte, waren die Sechsjährigen in der Deutschen Schule von Montelindo diszipliniert, aufmerksam und leicht zu lenken. Fremd und scheu fühlte sich keines, denn sie alle hatten bereits den Kindergarten besucht, die Umgebung war ihnen vertraut. Die neue junge Lehrerin erregte Neugier, aber keine Befangenheit.
Die Lehrpläne schienen keine nennenswerten Problemen zu bieten. Eher schon die Eltern, denen eine fremde junge Person suspekt erschien und die vertraute Erscheinung Angelika Knobels lieber gewesen wäre.
Aber darüber machte sich Kati kein Kopfzerbrechen. Mit den Kindern würde sie zurechtkommen, davon war sie überzeugt. Sie hatte schon nach den ersten Stunden ein gutes Gefühl, und ihr ausgezeichnetes Namensgedächtnis kam ihr zur Hilfe.
Mittags, beim gemeinsamen Imbiß, wurde sie von den Knobels einem halben Dutzend Kollegen und Kolleginnen vorgestellt, die nur zum kleinen Teil aus Deutschland stammten, sich jedoch brennend dafür interessierten. Am späten Nachmittag, als Kati ihre bunte Tasche schulterte, um nach Hause zu gehen, hatte sie bereits drei Einladungen zum Abendessen und eine weitere für ein Konzert.
Um nicht unhöflich zu erscheine, hatte sie überall zugesagt und sich vorgenommen, einen Terminkalender zu führen.
Die Zeitung knisterte in der Tasche, aber es sollte noch eine Weile dauern, bis Kati eingehend mit jemandem darauf zu sprechen kommen konnte.
Serafina, bei der sie es am selben Tag versuchte, nickte nur bekümmert vor sich hin und meinte, es sei eine Schande,