Der Landdoktor Staffel 3 – Arztroman. Christine von Bergen
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Und wieder verfingen sich ihre Blicke. Thomas lächelte zurück. Warm und weich. Und während sich ihre Blicke berührten, begann die Energie zwischen ihnen zu fließen, Schwingungen erfüllten die laue Luft, ein Knistern wie von Elektrizität. Ein Wunder.
Wie lange diese Augenblicke anhielten, hätten beide später nicht mehr sagen können. Augenblicke, die sie einander näher brachten, in denen etwas zwischen ihnen wuchs, dem sie noch keinen Namen hätten geben können.
»Magst du Himbeeren?«, fragte Thomas in diese unglaublich aufgeladene Atmosphäre hinein.
Sie nickte, dankbar dafür, dass er sie gerade davor bewahrt hatte, etwas ganz Dummes zu tun: Einfach die Hand auszustrecken und sein Gesicht zu berühren.
»Gern.«
Er stand auf, pflückte eine Handvoll von den Sträuchern am Rande der Lichtung und ließ sich wieder neben ihr nieder.
»Hier.« Beere für Beere gab er ihr zu essen.
Mit geschlossenen Augen kostete sie deren süßen Geschmack. Und dann, ja dann spürte sie Thomas’ Lippen auf ihren, die die Tür zu ihrem Herzen für ihn endgültig öffneten.
Sie küssten sich immer und immer wieder, voller Hingabe, voller Zärtlichkeit. Ihre Lippen spielten miteinander, liebkosten sich. Niemals zuvor war sie so geküsst worden, aber niemals zuvor hatte sie auch einen solchen Mann getroffen. Ihren Traummann.
Später saßen sie Hand in Hand aneinander geschmiegt im Moos und nahmen die Geräusche und Düfte des Waldsommers mit allen Sinnen auf, das Brummen der Bienen, das Fächeln des Windes in den Baumwipfeln, den Ruf eines Kuckucks in der Ferne. Mit jeder Minute, die sie hier gemeinsam verbrachten, wuchs das gegenseitige Bedürfnis nach noch mehr Nähe zueinander.
Wo sollte das nur hinführen?, fragte sich Claudia mit seligem Lächeln.
*
Über dem Ruhweiler Tal hing ein Sternenhimmel, wie ihn Claudia noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte. Hoch über dem Tannenwald wachte der Mond, bleichgolden und still, ein stummer Zuschauer, der den beiden jungen Menschen nachsah, wie sie über den Wiesenweg zurückgingen. Aus dem feuchten Gras am Ufer der Steinache entstieg ein würziger Duft. Die Zweige der Weiden tanzten über dem gurgelnden Wasser, auf dem die Himmelslichter wie ausgestreutes Silber reflektierten.
Eng umschlungen gingen die beiden. Schweigend, die Nähe des anderen ganz intensiv in sich aufnehmend. Bewegungen, Atem, Geruch, Wärme. Irgendwann blieben sie stehen und schauten hoch zu den Sternen, als könnten sie in den funkelnden Punkten lesen, wie es mit ihnen weitergehen würde.
»Ich möchte dich morgen wiedersehen«, sagte Thomas.
»Ich dich auch.« Claudia spürte eine berauschende Leichtigkeit in sich. Niemals zuvor hatte sie sich einem Mann, den sie kaum kannte, so nah gefühlt. Und als er sie jetzt küsste, erwiderte sie diesen Kuss mit einer Leidenschaft, die sie selbst überraschte.
*
Wiesen, Wälder und Hügel verschmolzen mit der Dunkelheit, als sie an ihrem Haus ankamen. Die Sternenbilder hingen wie filigraner Schmuck aus glitzernden Kristallen am Himmel.
Ein Abend wie für die Liebe geschaffen, dachte Claudia, aber sie wollte nichts beschleunigen. Zu viele Eindrücke, zu viele neue Einsichten hatte dieser Tag gebracht, der jetzt der Nacht Platz machte.
Sie blieben vor ihrem Gartenzaun stehen.
»Danke«, sagte sie. Dabei nahm sie Thomas’ Gesicht in beide Hände. Sie wusste, dass er in ihren Augen all die Zärtlichkeit lesen konnte, die sie für ihn empfand.
Noch einmal hielten ihre Blicke einander fest.
»Wofür bedankst du dich?«, fragte er mit hochgezogenen Brauen.
»Für das Gespräch, für dein Zuhören, deine für mich einsichtigen Argumente, für …, für deine Küsse.«
Mit gleichermaßen ungläubigem wie begeistertem Ausdruck schüttelte er den Kopf.
»Du bist eine unglaubliche Frau«, sagte er dann. »Du bist eine ganz besondere Frau, ein ganz besonderer Mensch. Und ich hatte gedacht, du würdest mich zukünftig als Feind sehen und keinen Kontakt mehr zu mir haben wollen.«
Sie lachte. »Dein rosaroter Luftballon hat Wunder vollbracht.«
Er zwinkerte ihr zu. »So leicht zu bestechen?«
»Nein.« Sie wurde ernst. »Deine Worte haben mich überzeugt.«
»Ich glaube, die Diagnose von Dr. Brunner heute Morgen war der Anfang einer einsetzenden Entwicklung«, korrigierte Thomas sie. Dabei streichelte er ihr sanft über die Wange.
»Mag sein«, gab sie ihm recht. »Dass ich jedoch danach mit dir darüber reden konnte, hat mir sehr geholfen und mich auch in meinen Gedanken weitergebracht.«
»Zu zweit kommt man immer weiter als allein. Falls man sich ergänzt und nicht behindert.« Er gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen. »Und ich bin sicher, wir beide könnten uns gegenseitig weiterbringen, statt uns wie viele Paare gegenseitig zu behindern. Obwohl es zu Anfang anders ausgesehen hat.«
Sie lachte. »Wie gut, dass es Krankheiten gibt«, scherzte sie. »Offene Wunden, Schilddrüse, Herz …«
Da stimmte er in ihr Lachen ein, umarmte sie und drückte sie an sich, als würde er für immer mit ihr verschmelzen wollen. Sie schlang die Arme um ihn, schmiegte sich an ihn.
Verschmelzen, Einswerden für immer und ewig, dachte sie mit geschlossenen Augen und seligem Lächeln, während sie die Geborgenheit in Thomas’ Armen genoss.
*
Ja, Maja war zur Stalkerin geworden. Ihr Instinkt hatte ihr schon beim Auftauchen der Kräuterhexe in der Apotheke gesagt, dass sie in dieser Frau ein Rivalin haben würde. Und Maja war sich sicher, dass ihr Chef sie niemals so harsch behandeln würde, wenn er nicht dieser Person begegnet wäre.
Was tat sie nicht alles für Dr. Thomas Brandler! Sie sorgte für Kundschaft, machte Reklame für ihn, arbeitete sich die Finger wund, machte Überstunden, ohne jemals von Geld zu reden. Er war der Mann, den sie wollte. Immer schon war ihr Ziel gewesen, einen Apotheker als Ehemann zu bekommen. Nicht umsonst hatte sie ihren alten Onkel überredet, den Verkauf der Apotheke an die Bedingung zu knüpfen, dass Dr. Brandler sie übernehmen würde. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sie hätte auch einen weit unattraktiven, älteren Apotheker als Mann akzeptiert, aber Thomas Brandler? Ein Zuckerstückchen, nach dem sich die Frauen in Ruhweiler die Augen aussahen. Und nun war diese Freiburgerin schneller gewesen. Nein, das konnte sie nicht zulassen.
Mit Tränen der Wut und Enttäuschung in den Augen schwang sich Maja aufs Fahrrad und fuhr davon. Lange hatte sie die beiden beobachtet. Thomas’ Zärtlichkeiten dieser Frau gegenüber hatten ihr wie Dolche ins Herz geschnitten. Nun gut, sie musste jetzt kämpfen. Sie würde ihr Ziel nicht aufgeben. Sie musste nur eine andere Taktik wählen. Bevor deren Beziehung zu fest wurde, musste sie handeln, musste in ihrem Chef Zweifel säen. Misstrauen, damit er letztendlich einsah, dass sie, Maja Hölderlein, die bessere Wahl war. Die sehr viel bessere Wahl.
*
Claudia war den ganzen Tag über nervös