Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 133
Der Märt steht auf und nimmt den Spaten. Er schleicht sich hinaus in die Nacht auf die Wiese, wo die zerknickten Blumen trauern und die Käuze in Scharen fliegen ... Der Nachtwind heult, und ein gelber halber Mond scheint... wie es sich regt und rührt in dem Walde. Da klopft etwas wie ein banges Herz, da huscht's und raschelt's, und die Zweige bewegen sich, als winke jemand mit ihnen. Wenn es nur hilft! Aber es muß helfen. Und wenn die Unterirdischen sich auf ihn stürzten, daß er selber laufen müßte bis ans Ende der Welt, wenn er nur den Höllenbann loskriegt. Es ist das stärkste Zeichen zwischen Himmel und Erde. Von dem Haselnußbusch schneidet er Zweige und verbindet die in der Mitte, daß es ein kleines Kreuz wird. Da ist die Stelle am Rain, wo er das blutbefleckte Bündel vergraben hat. Moos hat er darauf gelegt, daß man's nicht sieht. Der Mond hilft ihm. Er kniet nieder und steckt das Kreuzlein tief in den Boden hinein. Und dann überwältigt ihn wieder der Schmerz. Sie muß sterben, die Frau Gräfin. Die mögen's anders sagen, er hat's ihr angesehen an ihren Augen. Er, der für alles Lernen einen so verzweiflungsvollen harten Schädel gehabt hat, er hat die Worte behalten: »Ich wandre meine Straße, die zu der Heimat führt.« Ja, da wird sie hingehen, die Frau, die liebe Frau ... und sie werden ihr nachsehen, der große und der kleine Herr... Er kniet schon auf ihrem Grabe, der Märt... Ach, und da muß ja aller Zorn und das Wilde und Böse schwinden. Und der letzte Rest vom Höllenbann muß hinweg ... Vater unser im Himmel... vergib uns unsere Schulden, wie wir vergeben unseren Schuldigern. Laut und rauh hallt es über die blutbefleckte Römerwiese, auf die der gelbe Mond scheint, wo die zerknickten Blumen trauern und die Käuze ihre zackigen Flüge ziehen.
Vierzigstes Kapitel.
Zwiesprache
Nach stürmischen, kühlen Regentagen, die in der Thorsteiner Höhe sehr empfindlich sind, ist endlich wieder schöne Sonne hervorgebrochen. Die milden Rosen blühen an allen Hecken, und die Holundersträuche halten ihre weißen offenen Dolden so lieblich an alle Winkel und Mauern. In Rosmaries Garten blühen die schönsten Rosen, die weißen Schlingrosen in Bogen und Gehängen, die vielen niederen Rosen fassen den leuchtenden Rasen ein, den sie alle Morgen mit ihren feinen Blättern bestreuen.
Heute liegt Rosmarie nun zum erstenmal den ganzen Morgen im Garten. Man hat ihr die Chaiselongue hinausgetragen mitten in den Rebengang, an dem nach der Sonnenseite zu die Schlingrosen hinaufranken. Die Goldflecken der Sonne liegen auf dem feinen Sand des Ganges, der sich die ganze Länge des Gartens entlang zieht. Hier kann man im Schatten auf und ab gehen, und es ist doch nicht dumpfig wie in einer Laube. Und die lachenden Farben des Gartens scheinen noch einmal so freundlich durch die offenen grünen Bogen, die von Zeit zu Zeit den Gang unterbrechen. So schön still ist's, nur hie und da hört man den kleinen Heinz von ferne lachen oder kreischen, und der Wald rauscht herauf zu der lichten Blumenwelt.
Rosmarie hat ein wenig geschlafen, ist nun aufgewacht und hat sich nach ihrer getreuen Wächterin umgesehen. Aber die ist nicht da, statt dessen ein leichter Schritt hinter ihr... Harro... Ach, wenn nur das Herz nicht an jeder Freude etwas auszusetzen hätte.
»Du bist ganz allein? Ist das ein Glück. Wo ist dein liebenswürdiger Drache?«
»Ich weiß nicht. O Harro, wie schön, daß du kommst.«
Er kniet neben ihr und umarmt ihren Stuhl. Sie selbst darf er ja noch nicht in seine starken Arme nehmen.
»Liebste... Endlich einmal sind wir allein! Ich bin verschmachtet, ich bin ganz verschmachtet. Was ich in mir seit jener Nacht wälzen mußte!« Sie fährt ihm mit der zarten, blassen Hand über sein Haar und sagt traurig: »Meine lieben Braunlocken... jeden Tag sind ihrer weniger...«
»Ein alter Herr, nicht wahr... Ich hab's dir immer gesagt, Rose, einen alten Herrn willst du haben, und nun hast du ihn.«
»Daran bin ich schuld...« und sie sah ihm in die Augen mit ihrem großen, ernsten, sanften Blick.
Ach, so schön war's, wieder beisammen zu sein, wieviel hatte ihm auf dem Herzen gebrannt, und nun schwiegen sie beide und hatten an ihrer Nähe genug.
Dann sagte Harro: »Heute werde ich dich malen, ich habe doch dem Herrn Professor eine Skizze versprochen, und heute, es ist ja später als er meinte... aber nun ist's auch recht, und das Licht durch die Blätter ist wunderschön gebrochen und dein Kleid ist vollkommen und ein anderes Kissen hole ich dir noch. Und dabei kann ich dich dann immerfort ansehen, und stillhalten darfst du nicht.«
»O Harro, für Stillhalten ist gesorgt. Ich halte schon nur zu still.«
Er strich liebkosend über ihre Hände... »Es ist besser, Rose, immer besser...«
Aber die Rose schwieg... Und Harro ging nicht seine Geräte zu holen.
Dann klagte er: »Rose, befiehl, daß ich etwas tun soll. Ich gehe herum, reiße an meinen Siebensachen und lasse alles wieder liegen. Ich habe die Unruhe, die große Unruhe. Die Kastanienecke mit den weißen Blütengehängen, an denen du solche Freude hattest, habe ich gänzlich verpatzt. Nun wage ich mich an nichts mehr. Sie fremden, alle meine angefangenen Sachen. Wenn ich deine Skizze nun auch verdürbe. Ich trau auch noch nicht. Ich bin unruhig, als ob's der Märt mir angetan hätte. Hast du mit dem schon gesprochen? Dem hat der Kummer und die Sorge um dich den armen Dickschädel so verdreht, daß er überall Gespenster sieht. Gespenster scheußlichster Sorte. Wahre Lemuren. Und beinahe hätte er mich angesteckt. So ein Wahnsinn muß ansteckend sein. Ich fing auch an, Gespenster zu sehen. Märt geht es wieder besser.«
»Harro,« sagte sie, »er hat ein schönes Lied gefunden in seinem Gesangbuch, das sei ihm ein Tröster gewesen. Und es sei für ihn und uns gemacht, das Lied. So viel hat er noch nie mit mir gesprochen, der Märt. Es quoll nur so aus ihm heraus. Er holte dann seiner Mutter Gesangbuch – sein eigenes sei zu ›wüst‹ für mich... – und zeigte es mir...«
»Daß sich Märt mit Poesie abgibt, ist das allermerkwürdigste, was ich an ihm erlebe! Der Märt und ein Gedicht! Das Lesen machte ihm schon Not. Wenn er als Soldat lesen mußte, brüllte die ganze Kompagnie, es waren seine entsetzlichsten Stunden, die Instruktionsstunden. Der Arme... Ausgelacht werden tut so weh. Das hat sich mir tief eingegraben. Laß mich doch auch das Meisterwerk lesen, das es Märt angetan hat.«
»Er meint, es stehe alles darin vom Thorstein. Von der schrecklichen Nacht und dem Morgen. Und daß man sich nicht zu erhängen brauche, stehe auch darin... das habe ich nun nicht darin gefunden. Wenn's nur der Märt darin gefunden hat... Es ist ein so liebes, tröstliches Lied, Harro. Ganz mütterlich ist's, wie es einen in die Arme nimmt und tröstet. Ein Wanderlied. Und man sieht das schöne Ziel. Und man fühlt die arme deutsche Welt, in der es gedichtet worden ist. Verbrannte Dörfer, eingestürzte Kirchen, zertretene Felder, Waisenkinder und arme Witwen in dürftigen Stübchen.«
Harro sieht ihre schöngeschwungenen Lippen, die wieder rot sind, die so wundervolle Linien haben, wenn sie spricht... Sie hält ihm das Buch hin, und er schaut einen Augenblick darauf herunter.
Dann sagt er: »Wie kann man Gedichte so drucken. Das ist schändlich. Sag mir lieber eine Zeile daraus. Ich höre es am liebsten von dir.«
»Es ist vom Heimweh, Harro, nach der himmlischen Heimat aus dem deutschen