Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри

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Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen &  Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри

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erschrak heftig. »Rose, alles, nur das nicht. Du fängst jetzt mit religiösen Bedenken an. Ich gehe und hole deinen Herrn Stiftsprediger; wenn der Mann ein Herz im Leibe hat, muß er ein Einsehen haben. Ich glaube, ein Fanatiker soll er nicht sein. Sieh, du warst so hold und selig, und über was du mich alles hinüber getragen hast, das weiß ich vielleicht gar nicht. Und ich sehe ein, ich bin noch zu unverständig, ich kann dir noch nicht alles geben, was du vielleicht brauchst. Aber erklären sollst du mir, was das für eine Tür ist.«

      Sie nahm das alte grüne Buch von ihrem Tisch. »Das Wort stand auf der vorletzten Seite: Ich bin gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besucht.«

      Die Rose erhob ihre Augen... »Harro, du sagst, es ist zu spät, nun ist's zu allem zu spät. Und Jesus wird dieses Wort zu mir sagen... Sieh, da steht es, und dort, und ich wende mich, wohin ich kann, und sehe ins Licht und in die Dunkelheit, und dem Wort kann ich nicht entgehen. Ich hätte früher aus dem Goldhaus herüber kommen sollen, sowie Mama zurück war, und ich war zu feig und wollte meinem armen Herzen nicht weh tun. Und ich wäre vielleicht noch an der Klinge umgekehrt, wenn nicht die Gisela auf ihrem müden Schimmel mit ihrer armen kleinen Gerte mir den Weg gezeigt hatte. Da nach Brauneck hinüber zeigte sie.«

      »Du hast sie gesehen, Rose! Dein Dämon, da ist er wieder. Nein, ich darf ja nichts mehr gegen sie sagen, da sie mir den ungeheuren Liebesdienst geleistet hat.«

      »Harro, wenn du sie gesehen hättest dort an der Klinge mit ihrem blutgefleckten Gewand und mit den Augen, die sie hatte, als sie jenen letzten Spruch ins grüne Buch schrieb. Du sagst, sie müsse wahnsinnig gewesen sein, und trotzdem... Ihr Arm zitterte, und auch daran waren die dunkeln Flecken, und doch zeigte sie herüber nach Brauneck. Und als ich am Abend das Buch öffnete, da starrten mich die Worte an, und nun wußte ich, was sie zu mir gesagt hatte.«

      »Rose, laß den Dämon, er gibt mir jedesmal einen Herzstoß. Ich kann ihn auch in keinem meiner Weltsysteme, die ich mir gebaut und wieder verworfen habe, unterbringen. Ich will morgen mit dir zu Mama hinaufgehen. Wohl verstanden, du gehst nicht allein. Rose, nun sage, was du dir davon versprichst. Irgend welche Besserung für sie? oder es ist dir nur um eine Befriedigung deiner selbst zu tun!«

      »Harro, ich sage dir aus allertiefstem Herzen, es ist mir nicht um mich, es ist mir um sie zu tun. Harro, nur zehn Minuten jeden Tag. Ich muß mich mißhandeln lassen, Harro, und ich möchte nicht, daß du dabei wärest. Du wirst ungeduldig werden und alles verderben. Nur zehn Minuten, Harro.«

      »Und da verlangst du, daß ich dich selbst hinauftragen soll, wenn du weißt, daß du mißhandelt wirst!«

      »Nur zuerst, Harro, und dann wird es vielleicht besser. Wenn Mama alles gesagt hat, was sie mir sagen möchte. Das erleichtert doch, das tun wir alle. So sagt sie es mir in Gedanken, und das muß sie wohl jeden Tag von neuem beginnen. Denk Harro, die zehn Minuten oder die Viertelstunde, wo mir einmal gesagt wird, wie ich eigentlich bin, und den übrigen langen Tag immer eure Liebe und eure... ich kann's nicht sagen, es erdrückt mich oft. Als ob ich so gar besonders wäre, während ich doch nur tue, was mir Freude macht.«

      »Rose, wenn ich dir den Willen tue, so wirst du mit großer Wonne in dein Martyrium hineingehen! Ihr Frauen seid nun einmal so, aber ich ergebe mich noch nicht. Ich gehe zu diesem Herrn Stiftsprediger und sehe, ob der Mann ein menschliches Herz im Busen trägt. Ich verspreche dir durchaus nicht, daß ich ihn dir mitbringe, auch gewiß nicht, ob ich mich seiner Weisheit unterwerfe. Und ich werde dich hinaufbringen und zusehen, wie du geplagt wirst. Ich kann ja immer Schluß machen, wenn es genug ist. Auch habe ich immer einen bändigenden Einfluß auf sie gehabt. Ja sieh, nun machst du wieder deine süßesten Augen. Als ob ich dir wunder was versprochen. Aber was bekomme ich zum Lohn, wenn ich dabeistehe!«

      Die Rose lächelt geheimnisvoll... dann sagte sie: »Nachher gehen wir in den Saal. Ich habe alles vorbereitet. Wir reden noch nicht von der Gisela... du malst mich zuerst, und wir streiten jetzt nicht darüber. Ich verlange gar nichts, als daß du das einsehen sollst, was ich dir zeigen werde.«

      Er ging zur Türe. »Ich werde mir jetzt den geistlichen Herrn besehen. Aber genau. Eine Skizze von ihm bekommst du nachher.«

      Harro stieg die ausgetretenen, knarrenden Stufen in das Studierzimmer des Herrn Stiftspredigers hinauf. Dunkle Eichenstiegen, die schon manches erlebt hatten, alles von einer häßlichen Einfachheit, die ihn bedrückte. An der Schwelle des Studierzimmers mußte er sich beinahe bücken, das Haus war nicht für Männer seines Schlages gebaut. Er klopfte. »Herein.«

      Der Herr Stiftsprediger saß an seinem Schreibtisch, der unter Lasten von Papieren begraben lag. Er erhob sich und man sah ihm ein leichtes Erkennen an. Überall Bücher, Bücher, die Wände zeigten sich nicht, kein Bild, nur der schöne Blick ins Tal aus drei winzigen Fenstern. Welch ein Apparat, staunte Harro. Ist das wohl nötig, um die etwa tausend Schäflein zu weiden?

      Nun saß er neben dem Schreibtisch in einem Rohrstuhl, und der Herr Stiftsprediger, dessen schwarze Haarsträhne ein leichtes Grau zeigten, wartete. Seine Augen waren in den letzten Jahren noch stiller geworden und seine lange dürre Gestalt hing nach vorne über. Sehr gut machte sich sein Kopf gegen den Hintergrund von dunklen Bänden mit dem bißchen Golddruck darauf.

      »Sie haben meine Frau unterrichtet,« begann Harro plötzlich, »und werden jedenfalls beobachtet haben, daß sie, sagen wir, ein ausgesprochenes religiöses Interesse hat.«

      Der Herr Stiftsprediger nickte. »Ich höre auch, daß die Frau Gräfin ihr Leiden mit großer Ergebung trägt.«

      »Viel zu viel Ergebung,« grollte Harro, »überall Ergebung.«

      »Wenn es Sie vielleicht interessiert, Herr Graf. Ich habe ein kostbares Dokument aus jener Zeit.«

      Er begann in seinem Schreibtisch zu kramen, und Harro dachte, er glaubt wohl, daß ich hier Wurzel schlagen will, denn bis er etwas findet aus diesem Papierwust! Aber er irrte sich, entweder lag es zur Hand, oder es war nur eine scheinbare Unordnung.

      »Sie haben ein System, Herr Stiftsprediger,« fragte er mit inniger Teilnahme, denn der arme Harro hatte keins und war, wenn er nur eine Skizze finden wollte, auf das Gedächtnis seiner Rose angewiesen. »Gewiß, Herr Graf.« Er lächelte.

      »Hier. Dies ist das Bekenntnis des fünfzehnjährigen Kindes. Ganz ohne jede Beihilfe entstanden. Sie sehen es ja sofort an dem Stil.«

      Harro las ... sein Haupt beugte sich herab, er beschattete sein Gesicht mit der Hand. Ach, da stand er ... »Liebste Menschen ...« Des Seelchens Augen schauten ihn an ... »und hat ihn kennen lassen die Einsamkeit und die Qual...«

      Er legte das Blatt hin. »Es ist sehr schön, daß Sie das aufbewahrt haben ... Herr Stiftsprediger.«

      »Aber gewiß. Herr Graf, es gehört zu meinen Schätzen.« Und der Papierwust verschlang wieder das Blatt.

      Dann fing Harro an zu erzählen. Ganz kurz nur von dem nervösen Leiden seiner Schwiegermutter und der wenigen Liebe, die sie immer für das Kind gehabt. Er fühlte sehr wohl, daß er dem Manne durchaus nichts Neues sage, und er sprach von Rosmaries Kummer jetzt und ihrem Wunsche, ihre Mutter zu besuchen, und wie schwer sich das mit ihrem Zustand vereinigen lasse.

      »Und Ihre Durchlaucht wünscht es wohl dringend, Herr Graf, und Sie sind mit Recht besorgt, daß dies der Frau Gräfin schaden könne.«

      »So sicher bin ich, daß der Herr Hofrat es mir niemals erlauben würde, daß ich ihn gar nicht frage, sondern Sie, Herr Stiftsprediger, weil dies mir mehr in die geistliche Kompetenz zu gehören scheint.«

      Der Herr Stiftsprediger

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