Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 197
Cedrik schritt über die Schwelle. Es war ein großer, prächtiger Raum mit schweren, geschnitzten, eichnen Möbeln, die Wände bis hoch hinauf mit Büchergestellen bedeckt. Die Möbel waren so dunkel, die Vorhänge so schwer, die Fensternischen so tief und die Entfernung zwischen Thür und Fenster so groß, daß nun, nach Sonnenuntergang, der ganze Eindruck des Raumes ein düsterer war. Im ersten Augenblicke glaubte Cedrik, daß überhaupt niemand im Zimmer sei, entdeckte aber gleich darauf vor dem Feuer, das trotz des warmen Abends in dem riesigen Kamin brannte, in einem bequemen, Lehnstuhl eine Gestalt, die sich aber nicht nach ihm umwendete.
Bei einem andern Bewohner des Zimmers hatte er jedoch Aufmerksamkeit erregt. Neben dem Lehnstuhle lag an der Erde ein Hund, eine ungeheure braungelbe Dogge, fast so groß und gewaltig wie ein Löwe – majestätisch und langsam erhob sich das mächtige Tier und ging mit schwerem, wuchtigem Schritt auf die schlanke Kindesgestalt zu.
»Dougal,« erklang nun eine Stimme aus dem Lehnstuhle, »hierher.«
Allein dem Herzen des jungen Lord war Furcht so fremd wie alles Böse, und er war von jeher ein tapferer kleiner Geselle gewesen. Vertraulich und ruhig legte er sein Händchen an des Ungeheuers Halsband und dann schritten sie einträchtig miteinander auf den Grafen zu.
Endlich blickte dieser auf und Cedrik sah in das Gesicht eines großen alten Mannes mit wirrem, weißem Haar, buschigen Augenbrauen und einer kühnen Adlernase zwischen den feurigen, blitzenden Augen. Der Graf aber erblickte eine anmutige Kindergestalt in einem schwarzen Samtanzug mit breitem Spitzenkragen und weichen blonden Locken, die das frische, rosige Gesicht umrahmten, aus dem ein Paar großer brauner Augen ihm treuherzig entgegenleuchtete. Wie ein plötzlicher Jubelruf und ein frohlockendes Triumphieren zog's dem harten alten Manne durchs Herz, als er wahrnahm, was für ein kräftiger, schöner Knabe sein Enkel war, und wie unerschrocken er ihm ins Gesicht sah, die Hand noch immer auf dem Halse seines riesigen Hundes. Es that dem herrischen alten Edelmanne im Innersten wohl, daß der Junge keine Schüchternheit und keine Furcht verriet, weder vor ihm noch vor seinem Hunde.
»Bist du der Graf?« sagte Cedrik mit seinem freundlichen Lächeln. »Ich bin dein Enkel, den Mr. Havisham geholt hat – Lord Fauntleroy.«
Er streckte ihm dabei sein Händchen hin, was er für angemessen und höflich hielt auch bei Grafen. »Ich hoffe, es geht dir gut,« fuhr er herzlich fort, »und ich freue mich sehr, dich zu sehen.«
Der Graf schüttelte ihm die Hand und es zuckte wunderlich über sein Gesicht; fürs erste war er so überrascht, daß er kaum wußte, was er sagen solle. Er blickte unverwandt auf das hübsche kleine Bild, das da in Fleisch und Blut vor ihm stand.
»Du freust dich wirklich, mich zu sehen?«
»Gewiß,« versicherte Lord Fauntleroy, »sehr.«
Ein Stuhl stand neben dem des Grafen und Cedrik setzte sich. Das hochlehnige, breite Möbel war für ein andres Format von Sitzenden berechnet und die Beinchen des Kleinen reichten bei weitem nicht auf den Boden, allein es schien ihm doch ganz behaglich darauf zu sein und er blickte das ehrwürdige Familienhaupt bescheiden aber unverwandt an.
»Ich habe mir immer Gedanken gemacht, wie du wohl aussehen würdest,« begann er wieder. »Auf dem Schiffe, wenn ich so in meinem Bette lag, habe ich immer gedacht, ob du wohl meinem Papa ähnlich siehst.«
»Nun, und findest du das?« fragte der Graf.
»Ach, du weißt ja, ich war noch sehr klein, als er gestorben ist, und da kann's wohl sein, daß ich mich nicht genau erinnere, aber ich meine, du siehst ganz anders aus.«
»Enttäuscht also – hm?«
»O, ganz und gar nicht!« versicherte der kleine Kritiker höflich. »Natürlich hätte ich mich ja gefreut, wenn du wie mein Papa wärest, aber jedes Kind ist doch ganz zufrieden damit, wie sein Großvater aussieht, auch wenn es ihn sich anders gedacht hat. – Du weißt ja, Verwandte bewundert man immer.«
Der Graf lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sah einigermaßen verblüfft drein. Er hatte im Bewundern seiner Verwandten leider wenig Erfahrung; er hatte seine Mußestunden meist dazu verwendet, sich mit ihnen zu zanken, sie aus dem Hause zu jagen und allerhand schmeichelhafte Benennungen für sie zu erfinden, weshalb er auch bei allen gründlich verhaßt war.
»Jedes Kind hat seinen Großvater lieb,« fuhr Lord Fauntleroy fort, »besonders einen, der so gut ist, wie du es gegen mich gewesen bist.«
Wieder flog ein seltsamer, rascher Blick aus den tiefliegenden Augen zu ihm hinüber.
»Ach so,« sagte er, »ich bin also gut gegen dich gewesen, meinst du?«
»Freilich,« erwiderte Cedrik fröhlich, »und ich bin dir auch so dankbar wegen Bridget und der Apfelfrau und Dick.«
»Bridget?« wiederholte der Graf, »Dick, die Apfelfrau?«
»Ja natürlich,« erläuterte Cedrik, »alle die, für welche du mir das viele Geld gegeben hast – das Geld, das Mr. Havisham mir zu meinem Vergnügen von dir gebracht hat.«
»Ach so! Davon ist die Rede! Das Geld, das du ausgeben durftest. Nun, was hast du dir dafür gekauft? Ich möchte gern etwas darüber erfahren.«
Er zog die dichten Augenbrauen in die Höhe und faßte den Knaben scharf ins Auge; er war wirklich neugierig, in welcher Weise derselbe seine kleinen Launen befriedigt haben mochte.
»O,« begann Lord Fauntleroy, »am Ende hast du gar nichts von Dick und Bridget und der Apfelfrau gewußt. Ich habe gar nicht daran gedacht, wie weit weg du wohnst. Die sind nämlich besondre Freunde von mir und, mußt du wissen, Michael hat das Fieber gehabt.«
»Wer ist denn Michael?« fiel ihm der Graf ins Wort.
»Michael? Ach, das ist Bridgets Mann und die waren in großer Not. Wenn ein Mann krank ist und nicht arbeiten kann und zwölf Kinder hat, kannst du dir ja denken, wie das ist.«
Nun folgte die ausführliche Schilderung aller Leiden der armen Bridget und ihres Jubels, als er ihr das Geld »von dir, Großvater!« hatte geben dürfen, und »deshalb bin ich dir so dankbar,« schloß er seinen Bericht.
»So so!« bemerkte der Graf mit seiner tiefen Stimme, »das war also eins von den Dingen, die du zu deinem Vergnügen thatest. Nun, und was hast du sonst mit deinem Reichtum angefangen?«
Dougal hatte sich, nachdem Cedrik Platz genommen, neben dessen Stuhl gesetzt und hatte ihm mehrmals, wenn er so lebhaft sprach, ernsthaft ins Gesicht geblickt, als ob ihm diese Unterredung höchst interessant wäre. Dougal war ein würdevoller, feierlicher Hund, viel zu ernst und zu groß, um das Leben leicht zu nehmen. Der alte Graf, der ihn genau kannte, hatte ihn insgeheim aufmerksam beobachtet. Es war sonst nicht des Tieres Art, rasch Bekanntschaften zu schließen, und sein Herr war überrascht, wie ruhig er sich unter dem Druck der Kinderhand verhielt, nun aber sah sich Dougal den kleinen Lord noch einmal prüfend und würdevoll an, um gleich darauf seinen gewaltigen Löwenkopf auf das schwarze Samtknie des Jungen zu legen, der den neuen Freund gelassen streichelte, indem er dem Grafen zur Antwort gab: »Ja, da war dann die Geschichte mit Dick. Dick, der würde dir gefallen, der ist ein famoser Bursche.«
Der alte