Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 21
»Ich wollte nicht stören, Frau Mutter, es war doch jemand bei Ihnen.«
»O nein, ich war ganz allein.«
Harro sieht das Seelchen an, das wird dunkelrot. Und Harro eilt heute nach Hause und verabschiedet sich von dem Kinde mit einem ernsten Blick. Da schreit sie mit ihrem allerhöchsten Stimmchen: »Du hast mir dein Wort gegeben, daß du es nie sagst.«
»Habe ich etwas gesagt, kleine Dame? Das Denken wird doch noch erlaubt sein.« – – –
»Lieber Harro, kommen Sie doch heute herüber, und wenn's erst am Abend ist. Sie haben gestern ein Unglück angerichtet ...« schreibt ihm Frau von Hardenstein am nächsten Tage. Harro geht im Dämmer hinüber. Es kommt ihm kein Seelchen entgegengestürzt, aber Frau von Hardenstein geht ihm mit sehr roten Wangen entgegen. »Ich kann gleich einpacken, Harro, ich komme mit dem Kinde nicht zurecht. Sie hat nicht einen Bissen angerührt, nicht auf gute, nicht auf ernste Worte. Hat das Kind einen Eigensinn! – In meinem Leben habe ich keine so hartnäckige kleine Person gesehen. Ich habe ihr gedroht, ich ginge, aber sie sagt nur, dann kommt Miß Whart wieder, als wäre ihr das eine so lieb wie das andere. Und ich hatte mir schon eingebildet ...«
Harro eilt an ihr vorbei, da sitzt das Seelchen in ihrem Stuhl, hält ihr Schneewittchen in den Armen und rührt sich nicht. Graublaß und elend sieht sie aus.
»Seelchen, warum machst du Frau von Hardenstein Kummer?«
»Ich habe auch Kummer.«
»Das sehe ich, und er ist scheint's so überwältigend, daß du deinen Freund nicht begrüßen kannst. Soll ich wieder gehen?«
»Das kannst du, es hilft ja doch nichts.«
»Kann ich wirklich ... Ja weißt du denn, ob ich wieder komme?«
Sie steht auf und stampft mit dem kleinen Fuße. »Ich will auch nicht mehr gehorsam sein, ich tue, was ich will, schlagen dürft ihr mich nicht.«
»Seelchen, warum beleidigst du uns – Frau von Hardenstein, die dir nur Liebe erwiesen hat, und mich?«
»Mich beleidigt man!«
»Wer hat das getan?« »Du. Du hast mich angesehen und gedacht: Lügen!«
»Wenn du willst, daß man dich wie eine vernünftige kleine Dame behandeln soll, so mußt du dich auch so benehmen. Ich schickte dich zu Frau von Hardenstein, die allein war, und du kommst wieder und sagst, es sei jemand bei ihr.«
Frau von Hardenstein zog das widerstrebende Kind zu sich her.
»Seelchen,« sagte sie zum erstenmal sehr sanft und freundlich. »Wer soll es denn gewesen sein?«
Es zuckt etwas über das Kindergesicht – da plötzlich schlingt sie ihren Arm um den Hals der guten Frau Mutter und flüstert mit ihr. Harro sieht zum Fenster hinaus. Als er sich wieder wendet, hat Frau Mutter das Kind auf ihren Knien und küßt mit Weinen das Goldhaar und die feine blasse Hand. Dann steht sie auf und trocknet ihre Tränen. »Harro, Prinzeß ist wieder lieb und wird jetzt ihre Milch trinken, und dann geht sie zu Bett. Gehen Sie einstweilen hinüber, Harro, ich komme nach.«
Harro geht hinüber und wandelt zwischen den Säulen hin und her, die ihre lächerlichen Höschen verloren haben. Er betrachtet die Stuckdecke und pfeift leise; drüben ist er sich recht überflüssig vorgekommen. Die halbierte Decke ist aber sehr interessant. Lauter weinende Engel, Sanduhren, dicke Blumengirlanden. Besonders ein fettsüchtiges Engelein mit langen Locken weint herzbrechend und benützt sogar ein Taschentuch dabei.
Was für ein tränenreiches Volk da oben, denkt er ... da ist zu viel geweint worden in den alten Mauern und da ist wohl etwas an den Wänden hängen geblieben. Am Ende ist es gut, wenn nicht alle alten Mauern gar so lange stehen bleiben.
Endlich kommt Frau von Hardenstein. »Ich habe Sie lange warten lassen. Studieren Sie die betrübte Gesellschaft da oben? Ich wunderte mich auch schon darüber. Es ist ein wunderliches Haus, und die Höschen um die Säulen nehme ich meinen Vorgängerinnen nicht mehr übel. Also Harro, der ganze Schmerz galt Ihnen.«
»So.«
»Ach Harro, die Sache ist traurig, und das Engelein da droben mit seinem Tränentüchlein hat viel Schicklichkeitsgefühl. Haben Sie sich nicht über die Geschichten verwundert, über die Frau, die die Treppe herunter ging, bis mitten in die Erde?«
»Und das Kräutlein Nimmerfroh und Vöglein Niemalswieder,« sagte Harro. »Es ist ein Dichtkind.«
»O Harro, wie sie das erzählte, mit dem hohen feinen Stimmchen, das einen Klang nach Saiten hat, – Gott, poetisch bin ich nicht – so, wie das klang – Niemals wieder. Ich mußte hinaus zu meinem eigenen Niemalswieder.«
Sie nahm ein Bild von ihrem Tisch und legte es vor sich hin.
»Harro, dies Zimmer muß einmal eine Totenkapelle gewesen sein, doch das gehört nicht hierher. Aber wie soll ich's nur beschreiben, etwas, wofür es keine Worte gibt. Ich fühlte – deutlicher kann ich's nicht sagen – eine sanfte Nähe. Es wurde mir ganz feierlich und leicht. Warum soll ich nicht in einer Totenkapelle wohnen, wenn mein Herz eine ist! – Ja, und dann kam ich wieder heraus. Inzwischen muß die Kleine hereingesehen haben. Verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen wiederhole, was sie mir gesagt hat. Ich war doch nicht allein.«
Einen Augenblick herrscht tiefes Schweigen in der Stube, aus der die Schatten nie weichen, in der immer, glänzt die Sonne auch noch so schön, zwei dunkle Schattenbalken liegen – dann sagt Frau Mutter energisch:
»Genug von mir. Nur noch dies. Ich bleibe hier, bis sie mich hinauswerfen oder meine Aufgabe zu Ende ist. Sehen Sie, lieber Harro, wie alles zusammenpaßt, die Stube, das Kind und ich. Sie wissen ja, daß ich keinem eine Stunde unnötig verderbe, aber der Schatten ist da. Entweder ist das Kind, das die Seelen der Abgeschiedenen herummandeln sieht, ein Todgeweihtes, oder ein armes Unglückliches, dem etwas anhaftet, was es für die meisten Menschen unheimlich macht. Sahen Sie nicht, wie sie blaß wurde, wie ihre Augen sich veränderten? Und Sie sollen nicht sagen: »Weiter, Seelchen.« Ich entsetzte mich darüber. Man darf das Kind nicht dabei auch noch ermutigen.«
Harro rief: »Das feine Dichtwerk – alles zuschütten – ist das nicht ein Unrecht?«
»Wenn Sie sie gehört hätten, Harro! Sie will nicht mehr mit uns leben, und sie will zu den andern, denen mit leichten Füßen – –. Ach, lassen Sie mein armes Verwunschenes. Glauben Sie mir, wenn Sie helfen wollen, das Kind tüchtig zum Leben zu machen, so dürfen wir das Geranke nicht wuchern lassen.«
»Ich ordne mich unter Ihre Weisheit, Frau Mutter. Ich bin auch bereit, dem Seelchen zu sagen, daß ich ihr Unrecht getan, und daß ich mit dem Denken vorsichtig sein will, gesagt habe ich nichts.«
»Eher wird sie nicht zufrieden sein, Harro!«
Fünftes Kapitel.
Wie man Feste feiert
Ein ganz blauer Himmel, die Tauben sonnen sich auf der Mauer, zwischen Steinquadern gucken die