Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 23
Dies ist aus Harros Schatz der Erfahrungen.
»Aber wer sind die rechten Leute?«
»Wir drei. Komm, darauf stoßen wir an mit unseren Teetassen.«
Aber das Kind ist noch nicht zufrieden.
»O Harro, ist nur eins davon wahr, von all dem? Der Schlehenzweig ist wahr.«
»Aber Seelchen, haben wir nicht mit vieler Mühe die Schnur festgemacht? Haben wir das umsonst getan?«
»Und der Lilientag? Wird das so?«
»Immer kommt noch etwas Neues hinzu. Das ist gerade das Feine. Man muß sich überraschen lassen.«
»Oh, das tu ich gern!«
»Das wird sich weisen, ob du die nötigen Springfedern für die Überraschungen hast. Aber du wirst sehen, nicht einmal der Zinntrug mit Most wird sich als Fata Morgana erweisen. Wie der gemein sein sollte! Im Walde sich über einen Koch und eine fehlende Sauce verzanken, das ist gemein! Selbstverständlich müssen da Mücken kommen, in Scharen, in Wolken jagen die Waldgeister sie auf, daß sie ihren Wald bald wieder von der Gesellschaft gesäubert haben.«
Hellauf lacht das Seelchen: »Ich habe einen silbernen Becher, den nehme ich mit.«
»Nur eins! Überfreuen darfst du dich nicht. Das mußt du dir abgewöhnen!«
Das Kind verspricht das beste, und Frau von Hardenstein sagt: »Ich bin gespannt, was wir alles tun werden, aber nun, Harro, zeigen Sie uns endlich die große Hauptsache. Wir wollen Ihr Bild sehen!«
Harro errötet. »Niemand hat es noch gesehen. Dies ist ein Moment! Und tadeln dürfen Sie zuerst nichts, ich flehe Sie an, ich bin noch wie ein schalenloses Ei. Ich schicke das Bild erst fort, wenn ich abgehärtet bin. Ich kann jede Quantität Lob vertragen. Sie brauchen vor nichts zurückzuschrecken. Ich weiß nicht, ob die Damen es bemerkt haben, daß auf mir eine gewisse Feierlichkeit liegt? Die Dekoration« – er zeigte auf die Tannenzweige – »das Blumenarrangement« – er wies auf die Schneeglöckchen – »für Eingeweihte selbst meine Montur. Ich bitte zu beachten, neue grüne Aufschläge auf der Joppe deuten auf etwas Besonderes hin. Es ist nämlich auch heute ein Fest. Daß es ein Fest ist, wenn die liebe Frau Mutter zum erstenmal meine väterlichen Hallen betritt, ist selbstverständlich. Und daß dies freudige Ereignis mit etwas Besonderem begangen werden muß, ist klar. Darum ist heute Enthüllungsfest. Du, Seelchen, darfst an der Schnur dort ziehen, aber ums Himmelswillen nicht schief.«
Er erhob sich mit dem erwartungsbleichen Seelchen und sagte feierlich: »Seelchen, dir verdank ich's, du sollst leben. Nun zieh!«
Die Hülle fällt. Da steht das Bild schon im Goldrahmen, tief und warm leuchten seine Farben und adeln die werktägliche Hofstube mit ihrer festlichen Glut. Das Kind steht davor, und es ist fast zu fürchten, daß es sich überfreut. Sie soll daran teil haben, an dem herrlichen Bilde, die arme Kleine, die sonst immer nur zum Kummer und zur Last für alle da ist! Frau von Hardenstein hat ihren Stuhl herbeigeholt und setzt sich vor der Leinewand nieder.
»Harro, wunderschön, sonderbar schön, aber was bedeutet es?«
Das Kind dreht sich herum und sagt vorwurfsvoll: »Das sieht man doch!«
Es schlingt seine Ärmchen um Harros herabhängenden Arm und lehnt ihr goldenes Köpfchen daran. »Wenn du es so gut weißt, Seelchen, so sag es.«
»Das sieht man doch gleich, daß es der Ehrensaal ist! Darin all die stehen, die in der Gruft schlafen und ihre Bilder für sich wachen lassen. Sieh, wie die Augen schauen! Die Augen der Ritter und der Frauen in den seidenen Kleidern, die in ihren weißen Händen Nelken halten. Alle sehen sie herunter nach mir. Auch die goldenen Tiere auf den weißen Säulen horchen und halten den Atem an. Die müssen das Haus auch bewachen und sorgen, daß nichts hereinkommt, was lügt und sein Wort bricht. Und da geht ein Seelchen und trägt das rote Licht in den Händen in dem Becher, und weil es so schwer zu tragen hat, ist es so dünn und leidet. Und alles sieht auf sie, ob sie es nun fallen läßt, daß das rote Licht erlischt und es aus ist mit allem. Und darum halten auch die goldenen Tiere den Atem an.«
Harro legt seinen Arm um die zarte Gestalt, und seine Hand drückt das goldene Köpfchen sanft an sich.
»Warum streckt das Seelchen so flehend die Hände mit dem Kleinod aus?«
»Wenn ihm niemand hilft, so muß es den Becher ja fallen lassen, Harro: darum sucht es mit seinem roten Licht, und geht auf nackten Füßen und sucht.«
»Es wird ihn nicht fallen lassen, solang es lebt!«
»Meinst du, Harro? Aber wenn es tot ist? Dann zerschellt's, und alles ist dunkel. Die Tiere schlafen ein und wachen nicht mehr auf, und es kann alles herein, was will.« Harro beugt sich herab und küßt wie ein Hauch den goldenen Scheitel.
»Ich dank dir, Seelchen. Nun ist das Bild geweiht.«
Sechstes Kapitel.
Der Lilientag
Nun hat das Seelchen schon manchen wunderbaren Fischzug getan. Harro hat das Kind richtig eingeschätzt, es hat die Springfedern in sich, die nötig sind, um Überraschungen recht genießen zu können. Es ist das Fest der Schlehenblüten gewesen, das Maiblumenfest, und jedes hat seine eigenen Feinheiten mitgebracht. Der lange Thorsteiner geht wie auf Federn und reckt seinen braunlockigen Kopf unter dem alten Filzhütchen, daß die Holzarbeiter und Bauern, die ihm begegnen, anfangen, ihre Kappen vor ihm herunter zu ziehen; früher hatten sie ruhig auf seinen Gruß gewartet. Er erzählt dem aufhorchenden Seelchen:
»Wenn du einen angehenden Kapitalisten sehen willst, schau mich an. Wenn wir wollten, könnten Kaliban und ich jeden Tag Hühnerkoteletten mit Schlagsahne verzehren; oder im Heuwagen durchs Land spazieren fahren, wie das Mazzenbacher Büblein getan hätte, wenn es König geworden wäre. Ein schlaues Büblein, das wußte, was schön ist.«
Harro hat sein Bild verkauft. Nicht das Original, eine Kopie davon. Von dem Original sich zu trennen, wäre ihm als eine Profanation erschienen. Daß er den Kauf verweigerte, hat, ohne daß er es ahnte, den Preis hinaufgeschnellt. Denn der Amerikanermillionär muß den Ehrensaal haben, und da er Schweine schlachtet, paßt das Gemälde jedenfalls ausgezeichnet dazu, in seinem Hause in Chicago aufgehängt zu werden. Mrs. und Miß Vandouten werden sich ganz feudal vorkommen, wenn sie es ihren Besuchern weisen. Harro hat das Bild für den Amerikaner kopiert und mehr für die Kopie bekommen, als er für das Original ihm angeboten hatte. Auf der Kopie sind die Wappenschilder, die die goldenen Greifen und Pelikane halten, leer, und der Besitzer kann ja später, wenn seine Tochter ihren gestrandeten Grafen oder italienischen Principe geheiratet hat, eines hineinmalen lassen.
Aber der Thorsteiner strahlt nicht so sehr wegen der Scheine, die er auf die Bank getragen, er feiert eben auch die Feste mit, und Frau von Hartenstein entdeckt, daß es ein neues Talent gibt, von dem sie bisher nichts wußte, das, Feste zu feiern. Und das muß gänzlich verschüttet in dem Thorsteiner geschlummert haben, sie hat es wenigstens nie an ihm bemerkt. Sie selbst ist gar so viel