Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 37
»Ich bitte dich, Kleine, sei nicht so weichmütig. Harro ist sakrosankt, und es freut mich, daß dich der Unterricht nicht schreckt. Und laß mich auch dein blaues Heft sehen.«
»Ich habe auch ein rotes Heft, Papa, für mich ganz allein.«
»Das Harro nicht zu sehen bekommt?«
»Wenn er wollte, schon. Aber er will nicht. Er will nichts davon hören, und Frau von Hardenstein auch nicht.«
»Von dem roten Heft?«
»Nein, von dem, was darin steht.«
»Ja und ich? Will ich auch nichts davon hören?«
Seelchen sieht ihren Vater zweifelnd an. »Vielleicht wirst du auch böse sein!«
Der Fürst lacht: »Bring mir dein rotes Heft, das nicht einmal Harro kennt, wenn du glaubst, daß ich vertrauenswürdig bin. Dein allertiefstes Geheimnis!«
»Papa, aber lachen darfst du nicht. Es tut mir weh. und es ist auch den andern gegenüber nicht recht.« »Was werd ich. Nein, ich fühle mich sehr geehrt, wenn ich dein Geheimnis empfangen darf. Lege mir dein rotes Heft auf meinen Schreibtisch. Nun geh, da ist der Gong.« – – –
Zwölftes Kapitel.
Die Freunde
Die Fürstin gähnte heute besonders ausdrucksvoll und verzweifelt über ihrem Roman. Der Unterhaltungsstoff pflegte an den Abenden auf dem Lande überraschend schnell zu versiegen. In der Stadt, ja da wäre man heute in die Oper gefahren, oder noch lieber in den Zirkus, oder man hätte selbst Gäste. In Brauneck nahmen die Abende leicht etwas Bleiernes an.
Die Fürstin erhob sich plötzlich. Den Roman konnte sie eigentlich auch im Bett lesen, und schlief sie darüber ein, so war sein Zweck aufs beste erfüllt. Wenn nicht jedes Gastbett besetzt ist, so ist so ein altes Schloß ein unsagbar melancholischer Aufenthalt an einem trüben Herbsttage.
»Ich will morgen früh reiten.« Der Fürst öffnete ihr höflich bedauernd die Türe.
»Schon so früh?«
»Du weißt ja, wie es in Berlin wird. Man muß Vorrat schlafen.«
Der Fürst stand noch an der Tür, bis die glänzende Erscheinung verschwunden war. Dann knipste er sofort eigenhändig alles Licht aus und steuerte im Dunkeln nach der Tür und in sein eigenes Zimmer. Es sah wie eine Flucht aus.
»Das neue Zeug,« murmelte er, »man kommt sich ganz von Möbelhändlers Gnaden vor. Ein Glück wenigstens, daß man die Wände stehen lassen muß.«
Die Sommerstube leuchtet auf, er zündet sich eine Zigarette an. Da liegt auf seinem Schreibtisch ein rotes Heft, ein grünes Band ist darum gebunden, darin steckt ein blutroter Ahornzweig. Er lachte behaglich auf: Rosmaries Geheimnisse. – Es tat ihm wohl, daß er der einzige Empfänger war. Freilich, Harro hatte nur nicht gewollt. Aber an das dachte er nicht mehr. Ein goldenes Band unter dem grünen! Diese kleinen Damen! Etwas ganz Wertvolles muß für sie in dem Schulheft stecken! Und es ergreift ihn eine leichte Besorgnis, was er wohl alles findet. Diese Freundschaft mit dem langen Thorsteiner – dreizehn Jahre war sie jetzt alt ... Himmel, schon dreizehn. Man vergaß es immer wieder über dem Kindergesicht ... Manche jungen Damen fangen da schon mit Gefühlen an. Hatte er nicht als Fünfzehnjähriger der dreizehnjährigen Forstmeisterstochter über die Mauer hinüber die von der Tafel gesparten Bonbons in einer aus seinem schönsten Kronenbriefpapier gedrehten Tüte hinüber geworfen! Wenn er nun genötigt wäre, nach diesen Enthüllungen, der Freundschaft mit dem langen Thorsteiner ein mehr oder weniger sanftes Ende zu bereiten. – Sehr unangenehm das – aber immerhin besser. – Nun, wir wollen sehen ...
Die Freunde – das war der Titel. Sorgfältig geschrieben mit klarer Steilschrift und eingerahmt von einem Kranz aufs zierlichste und reinste aufgeklebter Gräschen und Mooszweige. »Das klingt zärtlich ... die Freunde ...«
»Es gibt ein Geheimnis. Nicht alle Leute wissen es. Manche sagen ›Lügen‹, manche lachen, manche grauen sich. Es gibt Leute im Schlosse, die auf ganz leichten Füßen gehen und keinen Schatten werfen. Aber man muß schon ganz klug und groß sein, wenn man das merkt. Denn die Freunde sind wie andere Menschen, nur schöner und freundlicher. Aber dann wollen die Leute immer nichts gesehen haben, und das Kind lügt. Oder sie sagen: Gespenster. Gespenster sind aber schreckliche tote Leute, die längst schon starr und weiß in ihren Särgen liegen und die Böses getan haben und darum nicht ruhig schlafen können, bis sie der liebe Gott wieder aufweckt. Ach, wie müßte man sich vor denen fürchten! Wenn man nur daran denkt, so graut es einem, daß man nicht sich über den Prinzessinnengang traut, wenn es dämmert und die Bilder Augen machen. So sind die Freunde nicht. Die Freunde sieht man nicht immer, auch wenn sie da sind, aber man fühlt sie. Dann ist alles auf einmal viel schöner, der Himmel ist blauer und ein Sonnenstrahl auf einem goldenen Rahmen, das macht einen so froh, daß man es nicht sagen kann. Und alle Menschen muß man lieber haben, und mit den ganz langweiligen hat man Mitleid, weil sie ja doch nichts dafür können, daß sie die Augen nicht haben. Wenn man die Freunde nicht hätte, wäre man ein böses und hartnäckiges Kind. Wenn man immer zu einem sagt: ›Lügen‹ und ›du Armes‹, da wachsen einem böse Gedanken, Brennesseln und Stechranken wachsen einem. Und es sollen einem doch Lilien und Rosen und kleine Waldveilchen wachsen. Zwei von denen, die auf leichten Füßen gehen, liebe ich am meisten. Es ist der Schönste und Sie. Wenn der Schönste da ist, muß ich immer lachen, und ich werde froh und möchte tanzen, dann sagen sie: ›Was hat die Kleine? Heute ist sie ganz lustig und ein wenig närrisch.‹ Sie wissen eben nicht, wie einem die Freude im Herzen lachen kann. Wenn Sie da ist, weine ich manchmal. Und es ist, als hätte ich in der Nacht geschlafen und da wäre die Himmelstüre aufgegangen und ein Hauch daraus gekommen über mich. Der Schönste hat einen grünsilbernen Rock und Bänder und Kettchen und Spangen. Er hat lange dunkle Haare, die sich unten ein wenig locken und über der Stirn auseinandergehen. Er sieht dem griechischen Eros im blauen Zimmer ähnlich, nur hat er ein kleines Bärtchen. Er hat ein hölzernes, angemaltes Vögelchen an einer Kette an seinem Halse hängen. Er hat auch eine Geige und ein Ding, das hinten ein rundes Bäuchlein hat. Mit all diesen Dingen macht er Musik. Wenn man sie nur hörte. Aber man hört sie nur, wenn man am Einschlafen ist und wenn Hochzeit in der Linde ist. Von ihm habe ich den Lilientanz gelernt. Von Ihr lerne ich vielleicht auch etwas. Aber es ist alles noch viel zu schwer für mich, weil ich doch noch klein bin. – Kann ich denn Mama wirklich lieben und sie nie ärgern und nie Schlimmes von ihr denken! Wenn Harro Sie sehen könnte, so würde er das schönste Bild der Welt malen. Aber Harro sieht Sie nicht, und man darf auch nicht mit ihm von Ihr reden, auch nicht von dem Schönsten, es ist verboten. Darum schreibe ich in das Geheimbuch alles, was ich weiß von den Freunden. Als ich so klein war, daß ich noch in dem gelben Gitterbett mit der Rosendecke schlafen konnte, habe ich Sie zuerst gesehen. Ich lag in meinem Bett, und es war schon ein wenig Tag und die Farben fingen schon an zu tanzen, wie sie es morgens tun, wenn man aufwacht. An meinem Bett stand ein grünseidener Schirm, er kam dann fort, weil Fräulein Braun ein Loch hineingebrannt hatte. Nach der Wand sah ich immer morgens, weil die Farben auf ihr am nettesten tanzten. Mit einem Male war die spanische Wand weg – fort. Da war eine finstere Halle mit dicken plumpen Säulen. Die Wände waren grünschwarz mit Steinen, die heraushingen. Ein kleines gelbes Licht war da und ein böses rotes Licht. An der vorderen Säule stand Sie. Sie war ganz weiß und ihre Haare waren offen und fielen über ihre Schultern bis zu den Knien. Sie hat das schönste Gesicht. Ach, niemand sieht nur ein wenig so aus, daß ich Harro sagen könnte: so ist Sie! Ihre Haare