Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin
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Читать онлайн книгу Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter Benjamin страница 57
Das Heimchen am Herde kam hinein ins Zimmer und stand in Feengestalt vor ihm.
»Ich liebe es!« sang die Feenstimme, die Worte wiederholend, deren es sich so wohl erinnerte; »ich liebe es, weil ich es so oft gehört, und wegen der vielen guten Gedanken, die seine unschuldige Musik in mir angeregt hat.«
»So sagte sie!« rief der Fuhrmann. »Und es ist wahr!«
»Es ist ein glückliches Daheim für mich gewesen, John; und darum liebe ich das Heimchen!«
»Ja, das ist es gewesen, Gott weiß es«, versetzte der Fuhrmann. »Sie hat dieses Haus glücklich gemacht, immer …. bis heute.«
»So lieblich, so sanft, so häuslich, vergnügt, geschäftig und leichtherzig!« sang die Stimme.
»Sonst hätte ich sie nie so lieben können, wie ich sie liebte!« erwiderte der Fuhrmann.
»Sage doch vielmehr: wie ich sie liebe!« verbesserte die Stimme.
»Wie ich sie liebte!« wiederholte der Fuhrmann. Aber nicht in festem Tone. Seine etwas unsichere Zunge widerstand seinem Willen und redete in ihrer eigenen Weise, für sich selbst und für ihn.
Die Erscheinung erhob feierlich die Hand und sagte:
»An deinem Herde …«
»Den sie geschändet hat«, unterbrach der Fuhrmann.
»Den sie – und wie oft! – gesegnet und erhellt hat«, sagte das Heimchen, »an dem Herde, der sonst nur Kalk und Ziegelsteine und rostige Eisenstangen war, der aber durch sie dein Hausaltar geworden, – der Altar, auf den du jeden Abend irgendeine kleine Leidenschaft, irgendeine Selbstsucht oder Sorge gelegt hast, um darauf das Opfer eines ruhigen Herzens, einer vertrauenden Seele und eines überströmenden Gemüts darzubringen, so daß der Rauch mit einem lieblicheren Duft als der kostbarste Weihrauch, vor dem kostbarsten Schrein in den herrlichsten Tempeln der Welt verbrannt, von deinem armseligen Kamin emporstieg!… Bei deinem Herde, bei deinem friedlichen Heiligtum, umgeben von allen schönen Einflüssen und Erinnerungen: Höre sie! Höre mich! Höre alles, was die Sprache deines häuslichen Herdes redet!«
»Und zu ihren Gunsten spricht?« fragte der Fuhrmann.
»Alles, was die Sprache deines häuslichen Herdes redet, kann garnicht anders als zu ihren Gunsten sprechen!« versetzte das Heimchen. »Denn diese Sprache kann nicht lügen.«
Und während der Fuhrmann, der den Kopf auf die Hände sinken ließ, auf seinem Stuhl zu träumen fortfuhr, stand ihr Bild neben ihm, gab ihm seine Gedanken durch seine übernatürliche Macht ein und stellte sie wieder in einem Spiegel oder in einem Gemälde vor ihn hin.
Die Erscheinung blieb nicht allein. Aus der Herdplatte, dem Kamin, der Uhr, der Pfeife, dem Kessel, der Wiege; aus dem Fußboden, den Wänden, der Decke und der Treppe; aus dem Wagen draußen und dem Schrank drinnen, aus den Haushaltsgegenständen, aus jedem Ding und jeder Stelle, mit dem Dot zu tun gehabt hatte und woran sich eine Erinnerung an sie in dem Geiste ihres unglücklichen Mannes knüpfte, kamen in ganzen Scharen Feen hervor. Nicht, um wie das Heimchen unbeweglich neben ihm zu bleiben, sondern um sich zu rühren und sich zu beschäftigen; um ihrem Bilde alle Ehre zu erweisen, ihn an den Rockschößen zu zerren und ihm zu zeigen, wie sie erschienen; um sich um sie herumzustellen, sie in ihre Arme zu nehmen und Blumen auf ihren Weg zu streuen. Um zu versuchen, ihr schönes Haupt mit ihren zarten Händen zu bekränzen. Um ihr zu zeigen, wie innig sie sie liebten, und daß es kein einziges, häßliches, boshaftes oder anklagendes Wesen gab, das sich rühmen konnte, sie zu kennen. – Niemand als sie, ihre getreuen Gefährtinnen, kannten sie und ihren Wert!
Seine Gedanken folgten unablässig ihrem Bilde. Es war immer zur Stelle.
Vor dem Feuer sitzend arbeitete sie mit der Nadel und sang vor sich hin. Welch ein heiteres, tätiges und ausdauerndes Geschöpf war diese kleine Dot! Die Feengestalten wandten sich alle zugleich ihr zu, richteten mit einer einzigen Bewegung, einen einzigen Blick auf sie und schienen voller Stolz zu sagen:
»Ist das die leichtsinnige Frau, um die du trauerst?«
Da hörte man von draußen die fröhlichen Töne von Musikinstrumenten, lärmenden Stimmen und hellem Lachen. Ein Schwarm junger, lustiger Leute kam plötzlich ins Haus; unter ihnen Mary Fielding mit einigen zwanzig ebenso hübschen jungen Mädchen. Dot war die schönste von allen, und auch so jung wie irgendeine von ihnen. Sie kamen, um sie einzuladen, an ihrem Feste teilzunehmen. Es handelte sich um einen Tanz. Waren je kleine Füße zum Tanzen geschaffen, so sicherlich die ihren. Aber sie lachte, schüttelte den Kopf und zeigte auf das Essen am Feuer und den bereits gedeckten Tisch; mit einer so herausfordernden Miene, daß sie nur noch reizender aussah. Und so verabschiedete sie sie denn ganz vergnügt, ihren Möchte-gern-Tänzern einem nach dem andern zunickend, während sie fortgingen, aber mit einer so komischen Gleichgültigkeit, die sie hätte veranlassen können, sofort hinzugehen und sich vor Verzweiflung ins Wasser zu stürzen, wenn sie zu ihren Bewunderern gehörten – und das waren wohl mehr oder weniger alle, aber das war eben nicht anders möglich. Und doch war von Gleichgültigkeit nichts in ihrem Wesen. O nein, denn in diesem Augenblick kam ein gewisser Fuhrmann und Gott weiß, welch ein Willkomm sie ihm gab!
Wiederum wandten sich die Feengestalten ihm gleichzeitig zu und schienen zu sagen:
»Ist das die Frau, die dich verlassen hat?«
Ein Schatten fiel auf den Spiegel oder das Bild – nennt es, wie ihr wollt. Ein großer Schatten, der Schatten des Fremden, wie er zuerst unter ihrem Dache erschien, bedeckte seine ganze Oberfläche, und löschte alle anderen Gegenstände aus. Aber die gewandten Feen arbeiteten wie Bienen, um ihn wieder wegzuwischen, und da war Dot wieder schön und glänzend wie vorher.
Sie wiegte ihr Kind, sang ihm leise ein Liedchen vor, lehnte das Haupt auf seine Schulter, die ihre Gegenstütze in der sinnenden Gestalt hatte, neben der das Feenheimchen stand.
Die Nacht – ich meine die wirkliche Nacht: nicht diejenige, die sich nach den Uhren der Elfen richtet – die Nacht rückte allmählich vor; und in diesem Stadium der Gedanken des Fuhrmanns kam hell und klar der Mond hinter den Wolken hervor. Vielleicht war in seiner Seele ebenfalls ein stilles ruhiges Licht aufgegangen, und er konnte mit mehr Ruhe nachdenken über das, was geschehen war.
Wenn auch der Schatten des Fremden von Zeit zu Zeit über den Spiegel glitt – immer deutlich, greifbar und genau ausgeprägt – so zeigte er sich doch nicht wieder so finster wie das erstemal. Sooft er erschien, stießen die Feen alle miteinander einen Schrei des Schreckens aus und setzten mit unbegreiflicher Behendigkeit ihre Ärmchen und Beinchen in Bewegung, um ihn auszuwischen. Und wenn sie sich dann wieder zu Dot wandten und sie ihm wieder zeigten, strahlend und schön, so legten sie in der begeisterndsten Weise ihre Freude an den Tag.
Sie zeigten sie nie anders als glänzend und schön, denn sie waren Hausgeister, für die die Lüge ein Nichts ist, und Dot war für sie nichts anderes als das tätige, fröhliche, liebliche, kleine Wesen, das immer das Licht und die Sonne in des Fuhrmanns Hause gewesen war!
Die Feen waren wunderbar eifrig, wenn sie sie mit dem Kinde zeigten, wie sie in einer Versammlung weiser alter Matronen plauderte und tat, als sei sie selbst so wunderbar weise und matronenhaft, und sich mit gesetzter, ernster und einer alten Dame würdigen Miene auf ihres Mannes Arm stützte, indem sie versuchte – sie,