Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz

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Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band) - Joachim  Ringelnatz

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die Brüstung beugte. Er schätzte die Entfernung ganz falsch ein. Außerdem verlor er die Balance und plumpste ins Wasser. Die Schulkinder schrien.

      Der Kurzsichtige schwamm hastig dem andern, seichten Ufer zu. Der Seelöwe brachte sich mit einer kurzen graziösen Schleife an seine Seite. Der Lehrer feixte.

      Ein Wolkenbruch pladderte. Der Herr im Wasser kroch hilfeschreiend auf allen vieren ans Ufer und wollte ohne Hut, ohne Stock, ohne Brille davonlaufen. Aber da kam gerade aus dem Nachbarkäfig ein Renntier auf ihn zugetrabt. Die Kinder quiekten. – Es blitzte.

      Kein Regenschirm entfaltete sich. Lehrer und Schüler flohen. Nur vier von den Kindern trotzten Rügen und Regen, um weiter zuzusehen: Wie Renntier und Kurzsichtiger voreinander erschraken. Dann einander ausweichend entfliehen wollten, aber leider immer dieselbe Fluchtrichtung wählten. Bis ihre Kopflosigkeit sie versehentlich doch endlich trennte.

      Das Renntier tat noch ein paar Sprünge und dann das, wozu es herübergekommen war. Es trank von der Seelöwen-Badebrühe. Der Kurzsichtige war entschwunden. Er trachtete wohl konträr nach Trockenheit. – Es donnerte. – Das Renntier fürchtete sich nicht davor. Als es seinen Durst gelöscht hatte, trabte es in sein Spezialrevier zurück.

      Der Seelöwe fürchtete weder Renntier noch Gewitter. Dennoch war er sehr aufgeregt. Versuchte immer wieder vergeblich, sich an der Steilmauer hochzuschwingen. Denn an dieser Mauer kroch, ganz langsam, unglaublich steil, etwas Winziges, Dunkles, Glattes.

      »Wie groß du bist!« sagte die ehrlich bewundernde Schnecke in ihrer Sprache. »Und wie schnell du dich bewegst! – Bist du männlich?«

      Die Robbe verstand die Schnecke nicht und redete sieauf seelöwisch an: »Wie niedlich du bist! Wie du deinen Kopf wiegst, du könntest eine ganz winzige Seelöwin sein, trotz deiner Stielaugen, die dir ganz gut stehen. – Oder bist du ein Fisch? – Hab keine Angst. Komm doch näher! Ich bin so neugierig. – Außerdem habe ich Hunger.«

      Die Schnecke verstand kein Seelöwisch, aber sie war begeistert von den geschwinden Tanzbewegungen des großen, fremden Bruders. Sie versuchte es ihm nachzumachen. Sie schnellte ihr Hinterteil hoch. Leider auch gleichzeitig ihr Vorderteil.

      Es blitzte und donnerte in rascher Folge. Der Seelöwe spuckte die Schnecke zunächst erst einmal wieder aus.

      Sämtliche Besucher des Zoos saßen jetzt im Restaurant. Man pries die moderne Anlage des neuen Tiergartens. Man lobte die Stadtväter, die es damit erreicht hätten, dem kleinen Ort das Gepräge einer Großstadt zu geben. – Wie glücklich die Tiere in diesen weiten freien Einzäunungen sein müßten. Ein besonders Kluger bewies: die Tiere wären jetzt noch glücklicher als in Freiheit. Denn der geringe, notwendig verbleibende Rest von Gitterwerk und Überwachung sicherte sie hier doch vor Feinden. »Im Gegensatz zur Freiheit«, bestätigte ein beinahe ebenso Kluger.

      Vom Donner und Regen draußen hörte man drinnen nichts mehr. Die Leute tranken Bier oder Kaffee. Sie lachten über den verrückten Elefanten, der sich selber Dreck auf den Rücken warf. Sie spöttelten über den verwöhnten Seelöwen, der die zugeworfenen Brotstücke verschmähte. – Man lobte das Bier. – Man tadelte die Bieruntersetzer und die Bedienung. – Jemand schlug vor … Alle schlugen mit der Zeit vor. – Es herrschte eine gemütliche Nörgelstimmung.

      Im Zimmer der Zoo-Leitung war indessen eine Sitzung im Gange. Die Reden vom Bürgermeister, von zwei Stadträten und vom Zoo-Direktor gingen herum wie vier Katzen um vier heiße Breie.

      Der erste Stadtrat zählte nochmals auf, welche Unkosten der Stadt in letzter Zeit erwachsen wären. Durch die Anbringung zweier Ehrentafeln und Vergoldung der Gitterwerke und Türklinken am Rathaus. Ferner durch…

      Der Bürgermeister, getragen von der Solidarität der Stadträte, führte in seiner dritten Ansprache selbstgefällig aus: Daß zwar der Elefant eine Stiftung wäre und die Affen eine Leihgabe wären. – Daß aber angesichts der weit unterschätzten Baukosten. – Und der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage der Ankauf eines Seelöwen doch etwas verfrüht gewesen wäre.

      Der junge Zoo-Direktor erklärte leidenschaftlich: Was Tiere kosteten. Was ihr Futter kostete. Was ein Zoo ohne Tiere sei. Und was ein Zoo mit Tieren für den Fremdenverkehr, für Volksbelehrung und Ablenkung von politischen und …

      Der zweite Stadtrat erhob sich: Alle Ideale in Ehren. Aber so, wie nun einmal die öffentlichen Ansprüche lägen, müßte man doch zunächst einmal die Anziehungspunkte berücksichtigen. Und den Restaurant-Betrieb ausbauen.

      Im übrigen könnte man ja zunächst einmal mit billigeren Tieren einsetzen. Mit einheimischen Tieren, wie Igel, Rehe, Papagei, sogar Katze und Hund. Denn schließlich seien doch alle Tiere interessant. Auch er sei der Meinung, die Giraffe vor der Hand – er lächelte – noch etwas in die Länge zu ziehen und abzuwarten, wie …

      Der erst seit kurzem ansässige Zoo-Direktor entschuldigte sich für einen Moment. Er wurde ans Telefon gerufen.

      Als er zurückkam, weinte er. Die anderen drei Herren erhoben sich wohlwollend erschreckt neugierig. – Der Seelöwe war soeben vom Blitz erschlagen.

      Eigentlich hatte der Direktor aus Wut geweint.

      Der ehrliche Seemann

       Inhaltsverzeichnis

      Es lebte einmal eine Fee auf Erden in Gestalt einer schönen Prinzessin. Die wohnte in einem prächtigen Schloß, hielt sich unzählige Diener und goldene Wagen mit wertvollen Pferden und trug die kostbarsten Kleider, so daß der Ruhm ihres Reichtums wie der ihrer Schönheit weit hinausdrang. Die Prinzessin hatte im ganzen Lande verbreiten lassen, daß sie sich vermählen wolle, daß sie aber nur einen zum Gemahl nehmen würde, der ganz frei von Lüge und falscher Gesinnung wäre; denn sie liebte die Wahrheit und die Offenheit über alle Maßen. Da strömten denn die Ritter und Edelleute aus allen Teilen des Landes herbei, die die reiche und schöne Prinzessin gerne besessen hätten. Diese ließ jeden einzeln zu sich kommen, legte ihm eine Frage vor, befahl ihm, die der Wahrheit getreu zu beantworten. Darauf hieß sie ihm den Mund öffnen, setzte sich ihre Zauberbrille auf und blickte durch diese in den Mund. Da sah sie denn nun, daß keiner von den Freiern die Wahrheit gesprochen hatte, denn sie hatten alle gespaltene Zungen; das betrübte die Fee sehr, und sie schickte die Ritter und Edelleute wieder fort.

      Da nun die Ritter und Edelleute kein Glück hatten, versuchten auch bald viele aus dem Volke, die Prinzessin zu gewinnen. Schuster, Schneider, Dichter, Sänger, Kaufleute und Gelehrte, ja sogar ein Bettler kamen auf das Schloß; denn die Prinzessin ließ alle ohne Unterschied zu sich; aber alle diese Leute mußten unverrichteter Sache wieder heimkehren, denn sie wurden alle von der Zauberbrille als verlogen erkannt.

      Da sprach auch eines Tages ein Seemann im Schlosse vor, der war gerade von einer weiten Reise zurückgekehrt, hatte dann die Prinzessin gesehen und sich so in sie verliebt, daß er auf der Stelle zum Schlosse geeilt war und um ihre Hand anhielt.

      Mit festem Schritt trat er vor den Thron der holden Jungfrau.

      »Sage mir die Wahrheit«, begann diese, »was liebst du am meisten, mein Herz, meine Schönheit oder meinen Reichtum?«

      »Deine Schönheit«, erwiderte der Seemann ohne Besinnen, und das war wahr, denn er kannte ja ihr Herz noch gar nicht, und aus dem Reichtum machte er sich nicht viel.

      Nun setzte sich die Fee die Zauberbrille auf und gebot dem Seemann, den Mund zu öffnen. Kaum hatte

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