Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich
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»Vergessen Sie's nur nicht, Herr Handor.«
»Gewiß nicht, alter Freund; guten Abend!« Und er stieg die Treppe hinauf, die hinaus in's Freie führte.
6.
Jeremias.
Ehe sie nur das kaum zweihundert Schritt von dort gelegene neue Wohnhaus des Grafen Rottack erreichten, waren Jeremias und die kleine lebendige französische Bonne, die aber ziemlich gut Deutsch sprach, schon die besten Freunde geworden, und selbst das kleine Helenchen schien sich so wohl bei ihrem neuen Wärter zu befinden, der auch fortwährend mit ihr lachte und plauderte, daß sie nicht die mindeste Furcht mehr vor ihm hatte. Nur der kleine Günther betrachtete ihn noch immer ein wenig scheu und mißtrauisch von der Seite – er konnte augenscheinlich noch nicht recht klug aus ihm werden, und dann war Jeremias doch auch eine von allen denen, mit welchen er bis jetzt verkehrt, so verschiedene Persönlichkeit, daß sich der kleine Bursche fast unwillkürlich von ihm zurückhielt.
Jeremias hatte aber jetzt auch in der That genug mit sich selber zu thun, denn so unbefangen er sich sonst in allen Lebensverhältnissen benahm, so fühlte er sich doch, als er in diesem Augenblick die neue und sehr elegante Wohnung des Grafen Rottack betrat, in einer so vollständig ungewohnten Sphäre, daß er einige Zeit brauchte, um sich hinein zu finden.
In Brasilien hatte er allerdings verschiedene Male mit Grafen und Gräfinnen verkehrt, aber das waren auch ganz andere Verhältnisse gewesen. Titel und Namen mochten sie allerdings gehabt haben, aber der äußere Glanz fehlte ihnen dort, der im alten Vaterland unter solchen Verhältnissen, wenn auch oft auf das Künstlichste, doch stets gewahrt und beobachtet wird, und so unbefangen er anfangs die Einladung zum Diner von dem jungen Grafen angenommen hatte, dessen er sich noch recht gut erinnerte, wie er mit der Violine in Santa Clara herumlief und bei Bohlos an dem nämlichen Tische sein Bier trank, an dem er selber ab und zu einsprach – so befangen fühlte er sich jetzt plötzlich, als er die betreßten Diener sah, die herzusprangen, als Graf und Gräfin das Haus betraten, und die Ehrfurcht bemerkte, mit der das junge Paar von allen Seiten behandelt wurde. Ja, er kam in die größte Verlegenheit, als er Helenchen auf den Boden gesetzt hatte und einer der Diener zusprang und ihm den Hut abnahm, während ein anderer – was er eben an Graf Rottack gethan – auch zu ihm kam, um ihm den Oberrock auszuziehen.
»Bitte,« sagte Jeremias erschreckt, »ich habe nur den einen an und kann doch...« – er hielt plötzlich inne, denn er sah, wie sich die Bonne nur mit Gewalt das Lachen verbiß, und der Diener selber trat etwas bestürzt zurück, weil er bemerkt, daß er den Fremden in Verlegenheit gebracht.
»Kommen Sie nur herein, alter Freund,« rief Rottack, der verhindern wollte, daß er sich vor den spottlustigen Dienern eine Blöße gab, »und thun Sie, als wenn Sie hier zu Hause wären! – Ist das Essen fertig?«
»Es kann jeden Augenblick servirt werden, Herr Graf.«
»Schön, dann lassen Sie auftragen.«
Jeremias folgte der freundlichen Einladung, aber er war noch weit davon entfernt, sich behaglich zu fühlen. Erstlich hatten sie ihm seinen Hut weggenommen, und er wußte jetzt nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte; dann hatte er vergessen, sich draußen abzutreten, und auf dem Teppich hier, den er so schön noch auf keinem Tische gesehen, sollte er jetzt mit den staubigen Stiefeln herumlaufen.
Rottack aber, der sich etwa denken konnte, was in der Seele des kleinen Mannes vorging, und der fest entschlossen schien, ihm jede Verlegenheit zu ersparen, machte all' seinen Bedenklichkeiten ein rasches Ende, indem er ihm ohne Weiteres einen Stuhl zum Tisch rückte, auf den schon einer der aufmerksamen Diener ein Couvert für den Gast gelegt hatte, und ausrief: »So, Jeremias, nun setzen Sie sich daher, und Helene, die den Augenblick zurückkommt, soll sich zu Ihnen auf die Seite und Günther auf die andere setzen, und nun unterhalten Sie sich nur noch einen Augenblick mit den Kindern, ich bin gleich wieder bei Ihnen.«
Jeremias sah sich um – die Diener, vor denen er sich am meisten genirte, hatten ebenfalls das Zimmer verlassen, und die Bonne war damit beschäftigt, die Kinder ihrer Hüte und Mäntelchen zu entledigen, die das Kindermädchen dann in deren Stube hinübertrug – Jeremias war sich selber überlassen, in dem Fall brauchte er nur wenige Minuten, um mit dem kleinen Günther Freundschaft zu schließen. Im Handumdrehen fertigte er ihm aus der goldenen Düte, die er auf ein paar der Suppenteller ausleerte, eine Mütze, und wie Felix zurückkam, hatte er ihn auf dem Knie reiten, und der kleine Bursche lachte und schrie vor Lust und Vergnügen, als das »Pferdchen« mit ihm durchging und in immer wilderen Sätzen Hopp, Hopp machte.
Felix lachte, als er wieder in's Zimmer trat und Helenchen eben auf das andere Knie des kleinen freundlichen Mannes hinaufkletterte, um mit Theil an dem wilden Ritt zu nehmen.
Helene kam jetzt ebenfalls zurück, und die Suppe wurde gebracht; das kleine Volk mußte Ruhe geben und Alle nahmen ihre bestimmten Plätze ein.
»'s ist doch aber wirklich merkwürdig,« sagte Jeremias, »wie sich so Leute auf der Welt wiederfinden können.«
»Sie hätte ich allerdings hier nicht vermuthet,« lächelte Felix. »Nun erzählen Sie uns aber auch einmal vor allen Dingen Alles, was Sie selber betrifft, und wie Sie besonders wieder nach Deutschland zurückgekommen sind. Sie können glauben, daß wir uns dafür interessiren.«
»Na, denke doch,« schmunzelte Jeremias, der, wie er nur erst einmal die Serviette um und den Suppenteller vor sich hatte, auch alles Neue und Fremdartige vergaß, was ihn umgab. »Aber sehen Sie, Herr Graf, wie Sie damals weggingen – Jemine war das eine Zeit, wie wir den großbrodigen Herrn von Reitschen los wurden und den guten Herrn Sarno wiederkriegten – damals...« – er sah sich vorsichtig um, ob keiner von den Dienern mehr im Zimmer war – »damals lief ich noch in Hemdsärmeln herum mit dem Einspänner, dem Handkarren, Sie wissen wohl, und putzte...« – die Bonne genirte ihn doch etwas, daß er nicht recht mit der Sprache heraus mochte – »nun, that allerlei Arbeit, was vorkam, hatte mir aber doch hübsches Geld dabei verdient, denn ich sparte wie ein Hamster und gab keinen Milreis unnöthig aus. Da starb gleich sechs Monate später Bodenlos – Sie kennen ja doch Bohlossen – er hatte sich richtig in aller Stille todtgesoffen, denn äußerlich merkte man ihm nie 'was davon an, und das Wirthshaus wurde verkauft.
»Buttlich, der mit Herrn von Reitschen herübergekommen und so eine Schwindelwirthschaft errichtet hatte, war schon drei Monate vorher durchgebrannt – der arme Baron verlor durch den Lump auch ein paar hundert Milreis, beinahe ein halbes Conto[1], und wenn Bohlossen sein Haus gut gehalten wurde, ließen sich Geschäfte damit machen. Herr Rohrland rieth mir auch zu...«
[1] Ein Conto de Reïs etwa 500 Dollars.
»Und wie geht es den guten Leuten?« fragte Helene.
»Vortrefflich,« nickte Jeremias – »Rohrland ist ein Mann bei der Spritze, immer auf dem Damme, immer fleißig, und die kleine Frau ein Mordswei –, eine prächtige Frau – und alle Jahre Kindtaufe, immer einen kleinen Jungen oder auch einmal ein Mädchen – es wimmelt nur so bei ihnen.«
»Und Sie kauften die Wirthschaft?« fragte Felix, während Helene still vor sich hin lächelte und die Bonne bis hinter die Ohren roth wurde.
»Na ob,« sagte Jeremias, wieder