Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich

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Eine Mutter - Gerstäcker Friedrich

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überstanden hatte, denn er fühlte sich, so lange es dauerte, fortwährend in einer gewissen Aufregung, aus Furcht, irgend einen Mißgriff zu begehen. Aber es schien doch ziemlich gut abgelaufen zu sein, denn das ausgenommen, daß er von den ihm präsentirten Speisen hartnäckig die Gabel abgenommen und neben sich gelegt hatte, so daß er sich zuletzt im Besitze von sieben oder acht solcher Instrumente fand und über den Vorrath selber erschrak, war nicht das geringste Ungehörige vorgefallen. Jetzt aber wurde er plötzlich, ohne die geringste scheinbare Ursache, feuerroth und sagte, viel verlegener, als er sich nur je gezeigt: »Hm, ja, Herr Graf, ich – ich wollte eigentlich – Schwerebrett, Sie lachen mich aber aus, wenn ich's Ihnen sage – die Frau Gräfin lacht jetzt schon.«

      »Gewiß nicht, Jeremias, wenn es etwas Ernstes ist,« lächelte Helene, der die Unruhe des kleinen Mannes allerdings komisch vorkam.

      »Ja, ernst wär' es schon,« nickte ihr Gast leise mit dem Kopf vor sich hin, »aber – lachen werden Sie doch,« setzte er resignirt hinzu, »denn eigentlich könnte ich selber darüber lachen, wenn – wenn...« – Er stak fest und nahm sein Taschentuch heraus, um sich damit die Stirn und den Kopf abzutrocknen, denn die Stirn ging ihm fast bis hinten in die Halsbinde hinunter.

      »Also erzählen Sie, Jeremias,« sagte Helene freundlich; »Sie wissen ja, daß wir es gut mit Ihnen meinen, und wenn Ihnen Felix bei irgend etwas behülflich sein kann, so bin ich fest überzeugt, daß es ihm die größte Freude machen wird.«

      »Ich auch, Frau Gräfin, ich auch,« bestätigte Jeremias treuherzig und leerte dabei das Glas, das ihm der junge Graf noch einmal vollgeschenkt hatte, wie um sich Muth zu machen, auf Einen Zug. »Und Sie sollen's auch erfahren,« setzte er dann hinzu – »Sie sollen's erfahren, denn ich weiß, Sie meinen es gut mit mir. Aber erst erlauben Sie mir, daß ich eine Tasse Kaffee trinke – der starke Wein ist mir in den Kopf gestiegen, und ich möchte kein dumm Zeug schwatzen – es ist so schon, wie's ist – so, danke Ihnen, und nun sollen Sie meine Lebensgeschichte hören, aber ganz kurz, ich bin im Augenblick damit fertig, denn es ist Alles ungeheuer geschwind gegangen und eigentlich gar nicht viel zu erzählen – wenn nur eben die Frau nicht wäre.«

      »Die Frau?«

      Jeremias seufzte tief auf, trank seinen Kaffee, den ihm Helene selber eingeschenkt, und begann dann: »Ich war ein leichtsinniger Strick in meiner Jugend, lief meinem Alten fort und ging zum Theater.«

      »Zum Theater?« lachte Felix erstaunt.

      »Das heißt, ich wirkte im Chor,« fuhr Jeremias fort, »und half mit beim Ballet, und damals war ich auch noch schlank und geschmeidig und hatte die Beine dazu. Ich verdiente auch, was ich brauchte, als einzelner Mensch nämlich, aber da kam – und jetzt werden Sie lachen, Frau Gräfin – da kam die Liebe und ich heirathete!«

      »Sie sind verheirathet, Jeremias?« riefen beide Gatten zugleich und erstaunt aus.

      »Ja, wenn ich's nur selber wüßte,« sagte Jeremias mit einem höchst komischen Ausdruck von Verzweiflung in den Zügen – »das ist ja eben das Unglück, daß ich nicht weiß, ob ich's bin oder ob ich's war, und deshalb bin ich ja wieder nach Deutschland zurückgekommen!«

      »So wissen Sie nicht, ob Ihre Frau noch lebt?«

      »Das ist die Geschichte, und auf den Kopf haben Sie's getroffen, Frau Gräfin – aber hören Sie. Meine Frau war brav und gut und ebenfalls beim Theater. Sie spielte kleine Rollen, und wir Beide verdienten etwa so viel, wie wir brauchten. Da wurde sie krank und entlassen, die Familie vermehrte sich ebenfalls, und...« – Jeremias wurde hier augenscheinlich so verlegen, daß er eine ganze Weile kein Wort weiter vorbrachte. Er trank an seinem Kaffee, er zupfte an seinem Rock und rückte auf seinem Stuhl herum. Endlich aber, da er doch wohl merkte, daß es nicht so fortging, nahm er sich mit Gewalt zusammen und platzte heraus – »und ich wurde liederlich – Sie dürfen mir's glauben, Frau Gräfin, ein ganz liederlicher Strick – ich trank und spielte und setzte meiner Schlechtigkeit endlich, als sich meine brave Frau von mir scheiden ließ, die Krone auf – und lief davon. So, Gott sei Dank, jetzt ist das Schlimmste heraus und Sie wissen's nun einmal – das Andere ist Kleinigkeit,« fuhr er, tief Athem holend, fort. »Ich trieb mich erst eine Weile in Deutschland herum, Jahre lang, bis ich das Brod nicht mehr hatte; dann schiffte ich nach Amerika über und versuchte es da, aber es ging auch nicht. Das alte Leben steckte mir noch in den Gliedern, und anstatt Geld für Frau und Kind nach Haus zu senden, verthat ich, was ich verdiente, bis zuletzt die Reue kam. Hurrjeh, hab' ich mir damals Grobheiten gemacht und mich selber vorgekriegt – aber es half! Ich nahm mir vor, ein ordentlicher Kerl zu werden, und um aus all' der Gesellschaft herauszukommen, in der ich mich in Amerika herumgetrieben, ging ich zu Schiff nach Brasilien.

      »Dort fing ich ein anderes Leben an. Ich war nie gewohnt gewesen, viel zu arbeiten – in Brasilien streifte ich die Ärmel in die Höh' und ging scharf dran. Sie wissen's selber, Sie haben mich dort schaffen sehen, und nachher ging's. Die ganzen langen Jahre hatte ich aber nicht an zu Hause gedacht oder, wenn ich dran dachte, mit Gewalt nicht dran denken wollen. Was konnt's auch helfen, was wollte ich zu Hause anfangen, so lange ich nichts hatte! Wie ich aber anfing, zu Geld zu kommen, und wie es sich mehrte und mehrte und ich anfing, reich zu werden, da kam die Reue über das Vergangene noch viel stärker, wie nach meinem liederlichen Leben. Da kam das Heimweh, da ging mir der Gedanke im Kopf herum, daß meine arme Frau vielleicht doch nicht aus Kummer und Gram gestorben wäre und hier noch in Sorge und Noth lebe. Jetzt schrieb ich nach Deutschland, um ihre Adresse zu erfahren, aber umsonst; kein Mensch konnte mir Nachricht geben, und auf die meisten Briefe bekam ich nicht einmal eine Antwort. Am liebsten hätte ich mich da auch gleich selber aufgepackt und wäre herübergefahren, aber die Zeiten waren zu günstig, ich verdiente zu rasch und wollte noch mehr, und bekam mehr. Da litt's mich denn endlich nicht länger in dem Brumsilien drüben, und mit dem Dampfer bin ich herübergekommen, um nur recht geschwind wieder da zu sein.«

      »Und haben Sie Ihre Frau gefunden?« rief Helene rasch, die mit inniger Theilnahme der kleinen, einfachen Erzählung gefolgt war.

      »Das ist ja gerade der Teufel – bitte tausendmal um Entschuldigung!« sagte Jeremias, sich wieder den Schweiß abtrocknend. »Seit sechs Wochen rutsche ich jetzt im Lande herum und kann nichts Genaues erfahren. Zuerst war ich in Regensburg, wo wir damals wohnten – und glücklicher Weise kannte mich dort Niemand mehr – und da hieß es, daß sie schon vor langen Jahren nach Erlangen gezogen und wieder zum Theater gegangen wäre. Ich nach Erlangen. Dort erfuhr ich gar nichts, als daß sich die Theater-Gesellschaft von jener Zeit nach Preußen und zwar an den Rhein gewandt habe. Ich an den Rhein. In Mainz traf ich zufällig einen Menschen, der mir erzählte, dort wohne noch ein alter Schauspieler und gäbe jetzt Clavierstunden – zu dem ging ich – ich kannte ihn wohl, aber er mich nicht mehr, von wegen der Glatze, und der sagte mir jetzt, daß meine Frau wieder ihren Mädchennamen angenommen hätte und nach Frankfurt gegangen wäre. Ich nach Frankfurt, und keine Spur mehr gefunden, Wochen lang, bis ich vorgestern in Köln wieder einen alten Schauspieler traf, der behauptet, er habe den Namen in einer Theaterzeitung gelesen. Jetzt machten wir uns über die alten Zeitungen her – da ich ein paar Flaschen Wein kommen ließ, arbeitete der Alte mit wie ein Pferd –, und nach sechs oder acht Stunden Suchens faßten wir den Artikel, der mich wieder Hals über Kopf hierher nach Haßburg jagte.«

      »Und sie ist hier?« rief Felix.

      »Ja, das weiß ich noch nicht,« seufzte Jeremias, »denn wie Sie mich trafen, war ich ja auch erst eben angekommen und wollte mich gerade umsehen, ob ich nicht vielleicht Einem vom Theater unterwegs begegnete, denn die kennt man gleich, und wenn sie noch so einfach angezogen gehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber einen Theatermenschen will ich unter Tausenden herausfinden.«

      »Aber Sie wissen also den Namen?« sagte Felix – »dann muß es ja doch die größte Kleinigkeit sein, sie hier aufzufinden.«

      »Allerdings,«

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