Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf страница 173

Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf

Скачать книгу

und klopfte mit einigen schweren Schlägen an. Sie faßte an das Schloß und rüttelte daran, daß es im ganzen Hause widerhallte. Niemand kam und öffnete, als sie aber die eiserne Türklinke loslassen wollte, die sie mit den bloßen Händen erfaßt hatte, riß sie sich die an dem Metall festgefrorene Haut von den Händen.

      Der mächtige Gutsherr Melchior Sinclaire war nach Hause gefahren, um seinem einzigen Kinde die Tür zu verschließen. Er war berauscht von Getränken, wild vor Zorn. Er haßte seine Tochter, weil sie Gösta Berling liebte. Jetzt sperrte er die Dienstboten in die Küche und seine Frau in die Schlafstube. Mit kräftigen Eiden gelobte er, denjenigen totzuschlagen, der es wagen würde, Marianne einzulassen. Und man wußte, daß er Wort halten würde.

      So erzürnt hatte ihn noch niemand gesehen. Ein größerer Kummer war ihm noch niemals widerfahren. Wäre ihm seine Tochter vor die Augen gekommen, so würde er sie vielleicht getötet haben.

      Er hatte ihr goldenes Geschmeide und seidene Kleider geschenkt; er hatte ihr eine feine Bildung und eine wissenschaftliche Erziehung zuteil werden lassen. Sie war sein Stolz gewesen, seine Ehre. Er hatte zu ihr aufgesehen, als trüge sie eine Krone. Ach! seine Königin, seine Göttin, seine angebetete, schöne, stolze Marianne! Hatte er jemals gespart, wo es sich um sie gehandelt hatte? Hatte er sich nicht zu niedrig gefühlt, um ihr Vater sein zu können! Ach, Marianne, Marianne!

      Mußte er sie nicht hassen, wenn sie in Gösta Berling verliebt war und ihn küßte! Mußte er sie nicht verstoßen, ihr seine Tür verschließen, wenn sie seine Hoheit kränkte, indem sie einen solchen Mann liebte! Laßt sie auf Ekeby bleiben, laßt sie zu den Nachbarn laufen, um Nachtquartier zu begehren, laßt sie im Schnee schlafen, das ist einerlei, sie ist doch schon durch den Schmutz geschleift, die schöne Marianne. Der Glanz von ihr ist fort. Der Glanz von seinem Leben ist hin!

      Er liegt in seinem Bett und hört sie an die Haustür klopfen. Was geht das ihn an! Er schläft! Da draußen steht die Dirne, die sich mit einem abgesetzten Pfarrer verheiraten will – für die hat er kein Heim. Hätte er sie weniger geliebt, wäre er weniger stolz auf sie gewesen, so hätte er sie hereinlassen können.

      Ja, seinen Segen kann er ihnen nicht verweigern. Den hat er verspielt. Ihr aber seine Tür öffnen, das wollte er nicht. Ach, Marianne!

      Das schöne junge Mädchen stand noch immer vor der Tür des Hauses. Bald rüttelte sie in ohnmächtigem Zorn an dem Schloß, bald fiel sie auf die Knie, faltete ihre zerfleischten Hände und flehte um Vergebung.

      Niemand aber hörte sie, niemand antwortete, niemand öffnete ihr.

      Ach, war dies nicht schrecklich! Entsetzen erfaßt mich, während ich dies erzähle. Sie kam von einem Ball, dessen Königin sie gewesen war. Sie war stolz, reich, glücklich gewesen, und einen Augenblick später war sie in ein so bodenloses Elend gestürzt. Aus ihrem Hause ausgeschlossen, der Kälte preisgegeben, nicht verhöhnt, nicht geschlagen, nicht verflucht, nur mit kalter, mitleidsloser Härte ausgeschlossen.

      Ich denke an die kalte, sternklare Nacht, die sie umgab, diese große, weiße Nacht mit den leeren, öden Schneefeldern, mit den stillen Wäldern. Alles schlief, alles war in schmerzlosen Schlummer versenkt; nur einen einzigen lebenden Punkt gab es in diesem schlafenden Weiß. Aller Kummer, alle Angst, alle Sorgen, die sonst über die ganze Welt verteilt sind, schlichen an diesen einen Punkt heran. Ach Gott! so allein mitten in der schlafenden, steif gefrorenen Welt leiden zu müssen!

      Zum erstenmal in ihrem Leben trat ihr Unbarmherzigkeit und Härte entgegen. Ihre Mutter wollte nicht einmal aus ihrem Bette aufstehen, um sie zu erretten. Alte, treue Diener, die ihre ersten Schritte geleitet hatten, hörten sie und rührten keine Hand für sie.

      Für welch ein Verbrechen wurde sie denn gestraft? Wo durfte sie auf Barmherzigkeit hoffen, wenn nicht an dieser Tür? Wenn sie einen Menschen gemordet hätte, würde sie dennoch angepocht haben im festen Glauben, daß die da drinnen ihr verzeihen würden. Wenn sie zu dem elendesten von allen Wesen herabgesunken und elend in Lumpen verkommen wäre, so würde sie dennoch an diese Tür geklopft und einen liebevollen Empfang erwartet haben. Diese Tür war der Eingang zu ihrem Heim – hinter dieser Tür konnte ihrer nur Liebe harren.

      Hatte ihr Vater sie denn jetzt nicht genugsam geprüft? Würde er ihr nicht bald öffnen?

      »Vater, Vater!« rief sie. »Laß mich ein! Mich friert, ich zittere vor Kälte. Es ist entsetzlich hier draußen!

      Mutter, Mutter! Die du so viele Schritte mir zuliebe getan, die du so viele Nächte meinetwillen gewacht hast, weshalb schläfst du jetzt? Mutter, Mutter, so wache doch noch diese eine Nacht, und ich will dir nie wieder Kummer bereiten.«

      Sie ruft und versinkt dann in atemloses Schweigen, um einer Antwort zu lauschen. Niemand aber hörte sie, niemand gehorchte ihr, niemand antwortete.

      Da ringt sie die Hände in wilder Angst, aber ihre Augen haben keine Tränen.

      Das lange dunkle Haus mit seinen verschlossenen Türen und schwarzen Fenstern liegt unheimlich, unbeweglich da in der Nacht. Was sollte jetzt nur aus ihr werden, heimatlos wie sie war? Gebrandmarkt, entehrt war sie, so lange der Himmel dieser Erde sich über ihr wölbte. Und ihr Vater selber drückte ihr dies glühende Eisen auf die Schulter!

      »Vater«, rief sie noch einmal, »was soll aus mir werden? Die Menschen werden das Schlimmste von mir glauben.«

      Sie weinte und jammerte, ihr Körper war starr vor Kälte.

      Ach, daß ein solcher Jammer über einen Menschen hereinbrechen kann, der eben noch so hoch stand! Ach, es gehört nicht viel dazu, um in das tiefste Elend gestürzt zu werden! Muß uns nicht bange werden vor dem Leben? Wer sitzt in einem sicheren Fahrzeug? Rings um uns her wogt die Sorge gleich einem stürmischen Meer: begehrlich lecken die Wellen an den Seiten des Schiffleins herauf, siehe, sie brausen auf, um es zu überwältigen. Kein sicherer Halt, kein fester Boden, kein zuverlässiges Fahrzeug, so weit das Auge reicht, nur ein unbekannter Himmel über einem Meer von Kummer. – –

      Aber horch! endlich, endlich! Über die Diele nahen leichte Schritte.

      »Bist du es, Mutter?« fragt Marianne.

      »Ja, mein Kind.«

      »Kann ich jetzt hineinkommen?«

      »Der Vater will dich nicht einlassen.«

      »Ich bin in meinen dünnen Schuhen von Ekeby bis hierher durch den Schnee gelaufen. Ich habe hier eine Stunde gestanden und gerufen. Ich friere tot hier draußen. Weshalb seid ihr mir fortgefahren?«

      »Mein Kind, mein Kind, weshalb küßtest du Gösta Berling?«

      »Aber so sage dem Vater doch, daß ich ihn deswegen nicht liebe. Es war ja ein Spiel. Glaubt er, daß ich Gösta heiraten will?«

      »Geh auf den Pachthof hinab, Marianne, und bitte, daß sie dich dort für die Nacht aufnehmen. Der Vater ist trunken. Er will keine Vernunft annehmen. Er hat mich oben gefangengehalten. Ich schlich hinaus, als ich glaubte, daß er schliefe. Er schlägt dich tot, wenn du ins Haus kommst.«

      »Mutter, Mutter, soll ich zu Fremden gehen, wenn ich ein Heim habe? Ist denn meine Mutter ebenso hart wie mein Vater? Wie kannst du es nur zugeben, daß ich ausgeschlossen werde? Ich lege mich hier draußen in den Schnee, wenn du mich nicht einläßt!«

      Da legte Mariannens Mutter die Hand auf das Schloß, um zu öffnen. Im selben Augenblick aber wurden schwere Schritte auf der Treppe hörbar, und eine scharfe Stimme rief nach ihr.

      Marianne

Скачать книгу