Schopenhauer. Kuno Fischer
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2. Das neue Werk
Er ging sogleich ans Werk. Seine Absicht war, seine Lehre in nuce vorzutragen, den Kern derselben kürzer, bündiger, einleuchtender darzustellen, als es bisher geschehen sei und in einer anderen Schrift jemals geschehen könne. Die Erfahrungswissenschaften im Gegensatz zu der bisherigen Spekulation kamen ihm günstig entgegen und boten eine Reihe willkommener Anknüpfungspunkte. Er fand, dass die Naturwissenschaften mit Begriffen, wie Lebenskraft, Bildungstrieb, Grundkräften u. s. f., lauter unbekannten Größen, rechneten, die, bei Licht besehen, nichts anderes seien als Wille: der Wille in der Natur. In einem seiner glücklichsten Bilder verglich er Metaphysik und Physik mit Bergleuten, die im Schoß der Erde von weit entfernten Punkten aus Stollen graben und zusammenstoßen müssen, wenn sie richtig arbeiten. So verhalte es sich mit seiner Metaphysik und der induktiven Naturforschung der Gegenwart: sie kommen einander immer näher, schon höre man die gegenseitigen Hammerschläge. Das Büchlein hieß: »Über den Willen in der Natur. Eine Erörterung der Bestätigungen, welche die Philosophie des Verfassers seit ihrem Auftreten durch die empirischen Wissenschaften erhalten hat.«174
In der »Einleitung« macht er seinem Grimm wider die Philosophie der Gegenwart Luft: hier hat er sich zum ersten Mal gegen Hegel, die Philosophieprofessoren und die Universitätsphilosophie in Schmähungen ergossen, die fortan das ständige Thema seiner polemischen Bravourarien ausmachen sollten. Er tröste sich mit der Zeit, welche die Wahrheit ans Licht und zu Ehren bringen werde. Schon in dem »Prooemium« seiner lateinischen Farbenlehre hieß es: »Tempo è galantuomo«. Auf das Titelblatt dieser neuen Schrift setzte er Worte des gefesselten Prometheus des Äschylus, der über die Missachtung seiner Lehren und Werke klagt: »ἀλλ᾽ ἐϰδιδάσϰει πάνϑ᾽ ὁ γηράσϰων χρόνος«.
Während Schopenhauer sein Büchlein über den Willen in der Natur schrieb, erschien das Leben Jesu von Dav. Fr. Strauß (1835), ein Werk, welches bekanntlich nicht bloß in der gelehrten, sondern in der ganzen gebildeten Welt eine ungeheure Sensation hervorrief und auf dem Gebiet der biblischen Theologie und des Schriftglaubens eine Epoche gemacht hat, die in ihren Folgen noch heute fortwirkt. Gleichzeitig erschien in der gleichen Richtung »Die Religion des Alten Testamentes« von Wilhelm Vatke in Berlin; das Strauß’sche Werk, in zwei starken Bänden, erlebte in vier Jahren vier Auflagen. Es folgten Bruno Bauer mit seiner »Kritik der Synoptiker«, Ludwig Feuerbach mit seinem »Wesen des Christentums« u. s. f. Die Welt war von religionsphilosophischen und religionshistorischen Fragen, die zu den interessantesten und wichtigsten der Menschheit gehören, und von den Parteikämpfen für und wider erfüllt.
Von allen diesen Erschütterungen hat Schopenhauer in seiner Frankfurter Klause kaum etwas gespürt. Beigetragen oder mitgewirkt dazu hat er nichts. Kann er sich wundern, dass er ungehört blieb? In seinen späteren Schriften finden sich einige Stellen, aus denen hervorgeht, dass er von Strauß’ Leben Jesu Kenntnis genommen und dieser Art der Bibelkritik Verbreitung in England gewünscht, dass er die Anwendung der mythologischen Erklärungsart auf die Evangelien gebilligt und in Ansehung der asketischen Grundsätze der Ehelosigkeit und Armut, welche aus dem evangelischen Abbild der Lehre Jesu erkennbar seien, sich auf die kritischen Untersuchungen und Urteile von Strauß berufen hat.
Wusste er nicht, dass Strauß, der nach Berlin gekommen war, hauptsächlich, um Hegel zu hören, ein Schüler und Verehrer der Hegel’schen Philosophie gewesen und auf seine Art stets geblieben ist? Auch Vatke war Hegelianer. Auch Straußens Freund und Schulgenosse, der Ästhetiker Fr. Th. Vischer, war Hegelianer; auch ihr Lehrer Ferdinand Christian Bauer, der Begründer der Tübinger Schule und Theologie, war von dem Einfluss der Hegel’schen Philosophie ergriffen. Wer von den wirksamsten Denkern und Schriftstellern jener Zeit war es nicht?
Schopenhauer aber, als ob er wie der Vogel Strauß den Kopf in den Sand gesteckt hielt und von allem, was geschah, nichts sah und hörte, nannte in der oben erwähnten Einleitung die Hegelianer ohne Unterschied »die ergötzlichen Adepten der Hegel’schen Mystifikation«, und die hegelsche Lehre »die Philosophie des absoluten Unsinns, wovon drei Viertel bar und ein Viertel in aberwitzigen Einfällen« bestehe; er verglich sie »dem Tintenfisch in der Wolke mit der Umschrift: mea caligine tutus!« Kann man sich wundern, dass diese hohlen und leeren Worte, so farbig sie waren, damals wie Seifenblasen zerflossen und erst auf ein nachlebendes Geschlecht, das von allen diesen Dingen nichts mehr wusste und sich mit ein paar effektvollen Phrasen sehr gern von sehr schwierigen Studien loskaufte, etwas von dem gewünschten Eindruck hervorbrachten!
3. Zwei Gelegenheitsschriften. Goethe und Kant
Wir wissen ja, dass in seinen Augen es in Deutschland nur zwei Genies allerersten Ranges gab: Kant und Goethe. Nun traf es sich gleichzeitig (1837), dass Goethe in und von Frankfurt das erste Denkmal errichtet und dass in Königsberg die erste Gesamtausgabe der Werke Kants durch Karl Rosenkranz und Wilhelm Schubert veranstaltet werden sollte. In jeder der beiden Angelegenheiten ergriff Schopenhauer das Wort, aus freien Stücken, aus rein sachlichem und sachkundigem Eifer.
Über das Goethe-Monument richtete er an das neu gegründete Komitee ein »Gutachten«, worin er die Beweggründe seiner Ratgebung, die leitenden Grundsätze, den Plan und die Ausführung des Denkmals darlegte. Es sei zu verhüten, dass der Unverstand und Ungeschmack öffentliche und kostbare Werke verunstalte. In der Inschrift des neuen Bibliothekgebäudes habe man in vier lateinischen Worten drei Fehler gemacht175; in der Städel’schen Sammlung seien die roten und gelbroten Wände in den Sälen der vortrefflichen Gipsabgüsse ein Zeugnis der Geschmacklosigkeit und Barbarei. Das zu errichtende Denkmal müsse erhaben sein, darum einfach. Männer, welche die Welt durch ihr Genie, d. h. durch die Werke des Kopfs erleuchtet haben, wie die Denker und Dichter, seien der Nachwelt nicht durch Statuen, sondern durch Büsten zu vergegenwärtigen, so haben es in der Regel die Alten und in der neuen Zeit die Italiener gehalten, die darin den richtigen Geschmack zeigen im Gegensatz zu den Engländern und Deutschen. Die Büste Goethes auf einem angemessenen Postament, von hohen schattigen Bäumen umgeben, möge so kolossal sein, wie die Mittel es erlauben, die Inschrift sei lakonisch: »Dem Dichter der Deutschen seine Vaterstadt 1838«. Keine Silbe mehr! Der Name, der sonst immer genannt wird, werde hier nicht genannt, er versteht sich von selbst. Eben dadurch ehre man den einzigen Mann auf eine einzige Weise. – Er hatte diesen Rat erteilt, »mit vollkommenster Resignation darin ergeben, dass er unberücksichtigt bleiben werde, wie dies dem Weltlauf gemäß und in der Ordnung« sei. Der Weltlauf hat recht behalten.
Es ist sonderbar genug, dass sich nirgends eine Angabe darüber zu finden scheint, wann Schopenhauer die erste Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft kennen gelernt hat, die ihm völlig unbekannt war, als er seine Kritik der kantischen Philosophie schrieb und seinem Hauptwerk einverleibte. Diese Kritik gründete sich auf die zweite oder, was in der Sache gleichbedeutend ist, fünfte Auflage des Werks (1799). Zwar hatte Fr. Heinr. Jacobi schon im Jahre 1815 auf den beträchtlichen Unterschied der beiden Ausgaben, die Weglassungen in der zweiten, die Vorzüge der ersten und die Seltenheit ihrer Exemplare sehr nachdrücklich aufmerksam gemacht, aber diese Belehrung hat Schopenhauer nicht gekannt, sonst würde er wohl darauf hingewiesen haben. Ich vermute, dass er die Vernunftkritik vom Jahre 1781 erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1829 gelesen hat, als er so eifrig mit dem Plan umging, das Werk ins Englische zu übersetzen. Zu diesem Zwecke musste er die beiden Ausgaben vergleichen.
Jetzt zeigte sich, dass seine Kritik auf die erste Ausgabe passte wie die Faust aufs Auge. In der Widerlegung der rationalen Psychologie hatte die erste Ausgabe die durchgängige Idealität der Körperwelt (d. i. die idealistische Grundansicht) auf das unzweideutigste ausgesprochen und die Unmöglichkeit der ganzen Lehre von der Substantialität oder Wesenheit, der Einfachheit, Unkörperlichkeit und der