Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
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Nach der Exportation, welche am folgenden Morgen stattfand, wollte Leonardus mit den Brüdern nach der Stadt zurückkehren; die Äbtissin ließ mich, als schon der Zug beginnen sollte, zu sich rufen. Ich fand sie allein in ihrem Zimmer, sie war in der höchsten Bewegung, die Tränen stürzten ihr aus den Augen. “Alles – alles weiß ich jetzt, mein Sohn Medardus! Ja, ich nenne dich so wieder, denn überstanden hast du die Prüfungen, die über dich Unglücklichen, Bedauernswürdigen ergingen! Ach, Medardus, nur sie, nur sie, die am Throne Gottes unsere Fürsprecherin sein mag, ist rein von der Sünde. Stand ich nicht am Rande des Abgrundes, als ich, von dem Gedanken an irdische Lust erfüllt, dem Mörder mich verkaufen wollte? – Und doch! – Sohn Medardus! – verbrecherische Tränen hab ich geweint, in einsamer Zelle, deines Vaters gedenkend! – Gehe, Sohn Medardus! Jeder Zweifel, daß ich vielleicht zur mir selbst anzurechnenden Schuld in dir den freveligsten Sünder erzog, ist aus meiner Seele verschwunden.”
Leonardus, der gewiß der Äbtissin alles enthüllt hatte, was ihr aus meinem Leben noch unbekannt geblieben, bewies mir durch sein Betragen, daß auch er mir verziehen und dem Höchsten anheimgestellt hatte, wie ich vor seinem Richterstuhl bestehen werde. Die alte Ordnung des Klosters war geblieben, und ich trat in die Reihe der Brüder ein wie sonst. Leonardus sprach eines Tages zu mir: “Ich möchte dir, Bruder Medardus, wohl noch eine Bußübung aufgeben.” Demütig frug ich, worin sie bestehen solle. “Du magst”, erwiderte der Prior, “die Geschichte deines Lebens genau aufschreiben. Keinen der merkwürdigen Vorfälle, auch selbst der unbedeutenderen, vorzüglich nichts, was dir im bunten Weltleben widerfuhr, darfst du auslassen. Die Phantasie wird dich wirklich in die Welt zurückführen, du wirst alles Grauenvolle, Possenhafte, Schauerliche und Lustige noch einmal fühlen, ja es ist möglich, daß du im Moment Aurelien anders, nicht als die Nonne Rosalia, die das Martyrium bestand, erblickst; aber hat der Geist des Bösen dich ganz verlassen, hast du dich ganz vom Irdischen abgewendet, so wirst du wie ein höheres Prinzip über alles schweben, und so wird jener Eindruck keine Spur hinterlassen.” Ich tat, wie der Prior geboten. Ach! – wohl geschah es so, wie er es ausgesprochen! –Schmerz und Wonne, Grauen und Lust – Entsetzen und Entzücken stürmten in meinem Innern, als ich mein Leben schrieb.
Du, der du einst diese Blätter liesest, ich sprach zu dir von der Liebe höchster Sonnenzeit, als Aureliens Bild mir im regen Leben aufging! – Es gibt Höheres als irdische Lust, die meistens nur Verderben bereitet dem leichtsinnigen, blödsinnigen Menschen, und das ist jene höchste Sonnenzeit, wenn fern von dem Gedanken freveliger Begier die Geliebte wie ein Himmelsstrahl alles Höhere, alles, was aus dem Reich der Liebe segensvoll herabkommt auf den armen Menschen, in deiner Brust entzündet. – Dieser Gedanke hat mich erquickt, wenn bei der Erinnerung an die herrlichsten Momente, die mir die Welt gab, heiße Tränen den Augen entstürzten und alle längst verharschte Wunden aufs neue bluteten.
Ich weiß, daß vielleicht noch im Tode der Widersacher Macht haben wird, den sündigen Mönch zu quälen, aber standhaft, ja mit inbrünstiger Sehnsucht erwarte ich den Augenblick, der mich der Erde entrückt, denn es ist der Augenblick der Erfüllung alles dessen, was mir Aurelie, ach! die heilige Rosalia selbst, im Tode verheißen. Bitte – bitte für mich, o heilige Jungfrau, in der dunklen Stunde, daß die Macht der Hölle, der ich so oft erlegen, nicht mich bezwinge und hinabreiße in den Pfuhl ewiger Verderbnis!
Nachtrag des Paters Spiridion, Bibliothekar des Kapuzinerklosters zu B.
In der Nacht vom dritten auf den vierten September des Jahres 17** hat sich viel Wunderbares in unserm Kloster ereignet. Es mochte wohl um Mitternacht sein, als ich in der neben der meinigen liegenden Zelle des Bruders Medardus ein seltsames Kichern und Lachen und währenddessen ein dumpfes, klägliches Ächzen vernahm. Mir war es, als höre ich deutlich von einer sehr häßlichen, widerwärtigen Stimme die Worte sprechen: “Komm mit mir, Brüderchen Medardus, wir wollen die Braut suchen.” Ich stand auf und wollte mich zum Bruder Medardus begeben, da überfiel mich aber ein besonderes Grauen, so daß ich wie von dem Frost eines Fiebers ganz gewaltig durch alle Glieder geschüttelt wurde; ich ging demnach statt in des Medardus Zelle zum Prior Leonardus, weckte ihn nicht ohne Mühe und erzählte ihm, was ich vernommen. Der Prior erschrak sehr, sprang auf und sagte, ich solle geweihte Kerzen holen und wir wollten uns beide dann zum Bruder Medardus begeben. Ich tat, wie mir geheißen, zündete die Kerzen an der Lampe des Muttergottesbildes auf dem Gange an, und wir stiegen die Treppe hinauf. Sosehr wir aber auch horchen mochten, die abscheuliche Stimme, die ich vernommen, ließ sich nicht wieder hören. Statt dessen hörten wir leise liebliche Glockenklänge, und es war so, als verbreite sich ein feiner Rosenduft. Wir traten näher, da öffnete sich die Türe der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann mit weißem, krausen Bart, in einem violetten Mantel, schritt heraus; ich war sehr erschrocken, denn ich wußte wohl, daß der Mann ein drohendes Gespenst sein mußte, da die Klosterpforten fest verschlossen waren, mithin kein Fremder eindringen konnte; aber Leonardus schaute ihn keck an, jedoch ohne ein Wort zu sagen. “Die Stunde der Erfüllung ist nicht mehr fern”, sprach die Gestalt sehr dumpf und feierlich und verschwand in dem dunklen Gange, so daß meine Bangigkeit noch stärker wurde und ich schier hätte die Kerze aus der zitternden Hand fallenlassen mögen. Aber der Prior, der ob seiner Frömmigkeit und Stärke im Glauben nach Gespenstern nicht viel fragt, faßte mich beim Arm und sagte: “Nun wollen wir in die Zelle des Bruders Medardus treten.” Das geschah denn auch. Wir fanden den Bruder, der schon seit einiger Zeit sehr schwach worden, im Sterben, der Tod hatte ihm die Zunge gebunden, er röchelte nur noch was weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich weckte die Brüder, indem ich die Glocke stark anzog und mit lauter Stimme rief: “Steht auf! – steht auf! – Der Bruder Medardus liegt im Tode!” Sie standen auch wirklich auf, so daß nicht ein einziger fehlte, als wir mit angebrannten Kerzen uns zu dem sterbenden Bruder begaben. Alle, auch ich, der ich dem Grauen endlich widerstanden, überließen uns vieler Betrübnis. Wir trugen den Bruder Medardus auf einer Bahre nach der Klosterkirche und setzten ihn vor dem Hochaltar nieder. Da erholte er sich zu unserm Erstaunen und fing an zu sprechen, so daß Leonardus selbst, sogleich nach vollendeter Beichte und Absolution, die letzte Ölung vornahm. Nachher begaben wir uns, während Leonardus unten blieb und immerfort mit dem Bruder Medardus redete, in den Chor und sangen die gewöhnlichen Totengesänge für das Heil der Seele des sterbenden Bruders. Gerade als die Glocke des Klosters den ändern Tag, nämlich am fünften September des Jahres 17**, mittags zwölfe schlug, verschied Bruder Medardus in des Priors Armen. Wir bemerkten, daß es Tag und Stunde war, in der voriges Jahr die Nonne Rosalia auf entsetzliche Weise, gleich nachdem sie das Gelübde abgelegt, ermordet wurde. Bei dem Requiem und der Exportation hat sich noch folgendes ereignet. Bei dem Requiem nämlich verbreitete sich ein sehr starker Rosenduft, und wir bemerkten, daß an dem schönen Bilde der heiligen Rosalia, das von einem sehr alten unbekannten italienischen Maler verfertigt sein soll und das unser Kloster von den Kapuzinern in der Gegend von Rom für erkleckliches Geld erkaufte, so daß sie nur eine Kopie des Bildes behielten, ein Strauß der schönsten, in dieser Jahreszeit seltenen Rosen befestigt war. Der Bruder Pförtner sagte, daß am frühen Morgen ein zerlumpter, sehr elend aussehender Bettler, von uns unbemerkt, hinaufgestiegen und den Strauß an das Bild geheftet habe. Derselbe Bettler fand sich bei der Exportation ein und drängte sich unter die Brüder. Wir wollten ihn zurückweisen, als aber der Prior Leonardus ihn scharf angeblickt hatte, befahl er, ihn unter uns zu leiden. Er nahm ihn als Laienbruder im Kloster auf; wir nannten ihn Bruder Peter, da er im Leben Peter Schönfeld geheißen, und gönnten ihm den stolzen Namen, weil