Was der Tag mir zuträgt. Peter Altenberg

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Was der Tag mir zuträgt - Peter Altenberg Literatur (Leinen)

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es dir nun nicht leid, dass du ihn nicht dem armen Mäderl geschenkt hast?!?"

      "Ja, ich hätte ihn lieber dem armen Mäderl geschenkt!"

      "Da hast du einen andern blauen Ballon, schenke ihr diesen!"

      "Nein, ich möchte den auch auslassen in den blauen Himmel!" – Sie tut es.

      Man schenkt ihr einen dritten blauen Ballon.

      Sie geht von selbst hin zu dem armen Mäderl, schenkt ihr diesen, sagt: "Du, lasse ihn aus!"

      "Nein", sagt das arme Mäderl, blickt den Ballon begeistert an.

      Im Zimmer flog er an den Plafond, blieb drei Tage lang picken, wurde dunkler, schrumpfte ein, fiel tot herab als ein schwarzes Säckchen.

      Da dachte das arme Mäderl: "Ich hätte ihn im Garten auslassen sollen, in den blauen Himmel, ich hätte ihm nachgeschaut, nachgeschaut – – –!"

      Währenddessen erhielt das reiche Mäderl noch zehn Ballons, und einmal kaufte ihr der Onkel Karl sogar alle dreißig Ballons auf einmal. Zwanzig ließ sie in den Himmel fliegen und zehn verschenkte sie an arme Kinder. Von da an hatten Ballons für sie überhaupt kein Interesse mehr.

      "Die dummen Ballons – –-", sagte sie.

      Und Tante Ida fand infolgedessen, dass sie für ihr Alter ziemlich vorgeschritten sei!

      Das arme Mäderl träumte: "Ich hätte ihn auslassen sollen, in den blauen Himmel, ich hätte ihm nachgeschaut und nachgeschaut – – –!"

      Geb. 1878, gest. 1901.

      Ideale Grabschrift:

      Wie ein adeligstes Paradigma der eigentlichen Pläne des Schöpfers mit diesem Kunstwerk "Frau", wardst du, Lieblichste, in dieses "Tal der Unzulänglichkeiten" gesendet, Annie Kalmar! Auf dass die Männer es lernten, an der süßen Anmut eines Lächelns bereits glückselig werden zu können!

       Aber sie lernten es nicht!

      Sie fraßen sich satt und entfernten sich.

      Da zog denn der Schöpfer vorzeitig sein adeligstes Paradigma zurück, rief es wieder zu sich, da es doch unnütz war unter den Menschen!

      Noch ist es Nacht im Prater. Nun wird es grau. Ein­dringlich duften die Weiden und Birken, sanft-ölig.

      Der Vogel Pirol beginnt Reveille zu blasen, Reveille der Natur! In kurzen Absätzen bläst er Reveille. Gleichsam die Wirkung abwartend auf Schläfer. Alles, alles ist noch still und grau, Birken und Weiden duften eindringlich, und der Vogel Pirol bläst in kurzen Zwischenräumen Reveille. Unablässig.

      Die Dame sagte einmal: "Oh, ich möchte das Leben kennenlernen. Ich kann ihm nicht nahekommen, es nicht ergründen – – –"

      Da sagte der Herr: "Haben Sie schon den Vogel Pirol in den Praterauen Reveille blasen gehört im Morgendämmern?!?"

      "Muss man das tun, um das Leben ergründen zu können?!?"

      "Ja, das, das muss man. Von solchen versteckten Winkeln aus, gleichsam aus dem Hinterhalte, kann man dem Leben beikommen! Da, da beginnt die mysteriöse Schönheit und der Wert der Welt!"

      "Wie sieht er denn aus, der Vogel Pirol?!"

      "Niemand sieht ihn. Irgendwo in alten, alten Birken hockt er und bläst Reveille und weckt zum Tage. Immer lichter und lichter wird es, und die weiten Auen werden ganz sichtbar. Am Ufer sind schwarze riesige Schleppschiffe, Tagestätigkeit erwartend mit ihren geräumigen Kräften."

      "Gehen wir zum Vogel Pirol – – –", sagte die Dame.

      Ein ziemlich unwahrscheinliches Tier. Wie eine Ratte aus Gullivers "Reich der Riesen". Immerhin ein tüchtiger Schwimmer, und auf dem Lande putzt sie sich ziemlich anmutig, aufrecht sitzend, mit den Vorderpfoten. Wenn man ihr Brot und Semmel vorwirft, hat sie die Empfindung: "Hast du vier Volksschulklassen absolviert, mein Lieber?! Da solltest du es doch wissen, dass wir uns ausschließlich von Fischen nähren – –."

      Die Biberratte trägt im Ganzen nicht viel zur Unterhaltung bei.

      Aber man erwartet sich unablässig etwas Besonderes von diesem Tiere.

      Das ist das Besondere an ihm.

      Man steht stundenlange vor dem kleinen Bassin. Man möchte ihm etwas durch Warten abtrotzen!

      Der Hofmeister natürlich beeilt sich, dem Tiere sofort seinen ganzen Reiz zu nehmen und erzeugt mit Hilfe von Detail-Schilderungen bei seinen Zöglingen eine fürs ganze Leben dauernde Gleichgültigkeit gegen Biberratten!

      Die Gouvernante hingegen fasst sich kürzer und sagt: "De gros rats, fidonc!"

      Ich liebe die Landungsstege an den Salzkammergut-­Seen, die alten grauschwarzen und die neueren gelben. Sie riechen so gut wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande. In dem Wasser um ihre dicken Pfosten herum sind immer viele ganz kleine grausilberne Fische, die so rasch hin und her huschen, sich plötzlich an einer Stelle zusammenhäufen, plötzlich sich zer­streuen und entschwinden. Das Wasser riecht so an­genehm unter den Landungsstegen wie die frische Haut von Fischen. Wenn das Dampfschiff anlegt, er­beben alle Pfosten, und der Landungssteg nimmt seine ganze Kraft zusammen, den Stoß auszuhalten. Die Maschine des Dampfschiffes mit den roten Schaufel­rädern kämpft einen hartnäckigen Kampf mit dem in renitenter Kraft verharrenden Landungsstege. Er gibt nicht nach, wehrt sich nur, soweit es unbedingt nötig ist, nach außen hin und erzittert vor innerem Widerstande.

      Endlich siegt seine ruhige, in sich verharrende Kraft, und das Schiff lässt locker, gibt nach, entfernt sich wieder.

      Stunden und Stunden liegt der Landungssteg für Dampfschiffe, meistens im Sonnenbrande dörrend, einsam, gemieden da.

      Plötzlich kommen angeregte Menschen in lichten Kleidern, sammeln sich auf dem Landungsstege. "Geht nicht zu weit vor", sagen die Eltern und betrachten den Landungssteg als eine imminente Gefahr. Ich könnte nun mit einiger Berechtigung sagen: "Irgendwo, abseits, lehnen zwei hart nebeneinander stumm am Geländer." Aber das ist alte Schule und infolgedessen unterdrückt man es. Ich kann jedoch nicht leugnen, dass das beharrliche Hinabstarren am Geländer des Landungssteges in das Wasser, in der Nähe einer jungen Dame, durch längere Zeit durchgeführt, oft seine laute verständliche innere Sprache spricht.

      Auf den Landungsstegen werden meistens kleine unbrauchbare Fische gemartert. Man fängt sie, schleudert sie zu Boden, weidet sich an ihrem Totentanz. Freilich, zwischen den Zähnen eines Hechtleins ist es auch nicht angenehmer. Und wer stirbt ruhig in seinem Bette?! Auf den Landungsstegen befinden sich ebenfalls zuzeiten die Komitees und das Präsidium der Jachtwettfahrer. Segelregatta. Stundenlange starren sie mit Operngläsern irgendwohin, auf einen mysteriösen Punkt im See, und niemand aus dem Publikum hat eine Ahnung, was vorgeht. Trotzdem ist alles

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