Was der Tag mir zuträgt. Peter Altenberg
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Ich liebe die Landungsstege der Dampfschiffe an den Salzkammergut-Seen, die alten grauschwarzen und die neueren gelben. Sie sind mir so ein Wahrzeichen von Sommerfreiheit, Sommerfrieden, und sie duften wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande – –.
Schlehdornzweig
Anfangs Juli, an einem Feiertage.
Es war ein Gekribbel von Menschen, wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen. Auch so lange, gedrängte Kolonnen von Kommenden und Gehenden. In dem wunderbaren weiten Alleen-beschnittenen herzoglichen Parke.
Alles war so wohlgepflegt und wohlbehütet, so sicher bewahrt vor der dummen Leidenschaft der Kinder und der Kindlichen!
Da brach die Herrliche einen Zweig von Schlehdorn ab.
Der Dichter sagte ihr sogleich: "Wenn jeder hier einen solchen Zweig sich bräche, wäre der wunderbare Garten in einer Stunde devastiert!"
Sie schwieg. Sie begehrte auf mit der Weltordnung, setzte ihren Willen auf den Thron!
Dann sagte er: "Wir müssen beim Haupttore an den herzoglichen Gendarmen vorüber. Werfen Sie doch, bitte, den Zweig weg!"
"Ich mag es nicht. Er ist schön und ich behalte ihn. Ich mag ihn gern – – –."
"Es steht nicht dafür, mit der Welt und ihren immerhin soliden Einrichtungen aufzubegehren wegen eines Schlehdornzweiges!?! Werfen Sie ihn doch weg!"
"Pfui, P. A., Sie haben keinen Sinn für Freiheit, Sie sind feig! Ich mag Sie nicht!"
Er schwieg. Sie ging mit ihrem Schlehdornzweige.
Beim Haupttore stand ein langer junger Gendarm. Er sah den Zweig in der Hand der Herrlichen, wandte sich momentan, fast verlegen, nach einer anderen Seite um.
Wir kamen über den weiten edlen Vorplatz. "Nun, sehen Sie?!?", sagte sie.
Er schwieg. Sie stiegen in den Wagen, fuhren zur Stadt.
Er sagte: "Wenn jeder von den Besuchern des wunderbaren Parkes sich einen solchen Zweig bräche, wäre dieser in einer Stunde devastiert!"
Sie saß triumphierend da und spielte mit ihrem Schlehdornzweige.
Sie war wunderbar schön, so kindisch-siegreichtrotzig.
Er dachte: "Weshalb, Süßeste, hat man dir deinen Hintern nicht durchgehaut, seinerzeit?!? Heute freilich wäre es bereits schade – – –."
Kunst,
nun will ich über dich sprechen, so wie ich dich verstehe und auffasse mit meinem Herzen:
Wie ein edles Phantom bist du bisher gewesen, wie ein wundersames Gespenst, das am helllichten Alltage der Straße vor den geschäftigen, allzu geschäftigen Leuten auftaucht! So entfernt von ihrem Alltagdasein, so ohne Beziehung zu ihrem Selbsterhaltungstriebe, der doch immer ist und wirkt! Ein mattes überflüssiges, geschaffen von überflüssigen Künstlers Gnaden! Eine luxuriöse Tändelei! Wir wollen dich aber nun lebendig machen, dich dem Leben des Alltages näherrücken, du blut-, du fleischloses Gespenst "Kunst"! In die Stunde wollen wir dich rücken, die erlebt wird, dass du befruchtend und bereichernd wirkest auf Alltagmenschen!
Die größte Künstlerin vor allem ist die Natur, und mit einem Kodak in einer wirklich menschlich-zärtlichen Hand erwirbt man mühelos ihre Schätze. Sehet euch die Birken an, die Pappelbäume, zur Winters- und zur Sommerszeit, die Hausgärten voll Schnee und strohumhüllten Rosenstöcken. Sehet euch den rotgrauen Käfer aus Ceylon an oder die drapfarbige Muschel aus dem Ozean –, und ihr werdet die Künstlerin "Natur" in euch aufnehmen mit liebevoll bereicherten Augen. Und der blaubraun schillernde Schmetterling aus China, auf weißes Holz gespannt unter Kristallglas, ist schöner als alles, was ihr von Menschenunzulänglichkeit in euren öden Zimmern aufhäuft! Auf euren Nippes-verunreinigten Tischen!
Die Kunst ist die Kunst, das Leben ist das Leben, aber das Leben künstlerisch zu leben ist die Lebenskunst!
Wir wollen die Kunst, dieses Exzeptionelle, dem Alltage vermählen. Die Hand der Dame R. H. ist ein Kunstwerk Gottes. Oder das im Volksgarten spielende Kind R. O. Oder das Schreiten eines Alt-Aristokraten über die Straße. Der Reichtum des Daseins, nahegerückt für die, deren notwendige Geschäftigkeit sie hindert, ihn zu erleben! In deinen Tätigkeiten eingekapselt, kannst du nicht rechtzeitig Halt machen vor einem regenbeperlten Spinnennetz im abendlichen Walde und kannst nicht schauen, staunen und verharren! Wir wollen dich erziehen, das heißt aufhalten in deinen Rastlosigkeiten, auf dass du verweilest, schauest, staunest! Es gibt so viel zu schauen und zu staunen! Innezuhalten, zu verharren! Stillgestanden, Allzugeschäftiger! Nütze deine Augen, den Rothschildbesitz des Menschen! Wir wollen euch nur zeigen, woran ihr blindlings vorüberraset! Es gibt Menschen, die nichts zu tun haben. Vollkommen überflüssige des Daseins. Mit weit aufgerissenen Augen schauen sie und schauen. Diese hat das Schicksal bestimmt, die Vielzuvielbeschäftigten zum Verweilen zu bringen vor den Schönheiten der Welt!
Ashantee
Der Kuss
Ich saß auf einer Gartenbank im "Tiergarten". Auf meinem Schoße saß Bibi Akolé und zählte ihr Geld, welches in drei Portemonnaies wundervoll verteilt war, in jedem Fache 25 Kreuzer, Geschenke von Bewunderern.
Eine wunderschöne junge Dame kam und ihr Gatte.
Akolé sah die Dame an, stand auf, ging auf sie zu, breitete die Arme aus, wollte sie auf den Mund küssen, weil sie schön war.
Die Dame wich zurück.
Das Kind schmiegte sich an mich an, tief beschämt. "Madame – –", sagte ich, "ich bitte Sie, ich bitte Sie – – –."
"Nicht auf den Mund – –", sagte die Dame verlegen.
Ich nahm Akolé in meine Arme, küsste ihren geliebten Mund, dessen Atem wie der Hauch von Abend-Wiesen war.
"Tue es doch – – –", sagte der Gatte, "il sera offensé".
"Ich kann nicht – – –", sagte die wunderschöne junge Dame.
Da sagte ich: "Diese Dame ekelt sich vor dir, Akolé. Wie eine dumme stupide Mutter benehme ich mich, welche die anderen Menschen nicht begreift. Verzeihen Sie mir, Madame. Ich war wie eine stupide Mutter, das Dümmste, das Beschränkteste, was es auf der Erde gibt. Die Liebe eines Vogelgehirnes ganz einfach."
Die Dame gab dem Kinde eine Krone.
Das Kind gab sie zurück, sogleich.
Der Gatte dachte: "War das Ganze notwendig?! Solche überspanntheiten."
Die Dame sagte Adieu, gab mir die Hand, blickte mich traurig an.
Langsam ging das Ehepaar weg.
Akolé verkroch sich in meinen Armen,