Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
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Читать онлайн книгу Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig страница 171
Ein von allen Leidenschaften Gejagter – das ist Kleist wie keiner. Aber nichts wäre irrtümlicher, als in ihm darum einen zügellosen Menschen zu sehn, denn das ist ja seine äußerste Qual, seine ureigene Tragik, daß er sich, mit allen Geißeln und Nattern seiner Leidenschaften fortgepeitscht, ständig zügelt, daß dieser starre Zaum seines Willens ihn zurückreißt, während er vorwärts will. Sonst steht bei jener ihm so tief verwandten Art der sich selbst zerstörende Dichter, bei Günther, bei Verlaine, Marlowe, einer überschwingenden Leidenschaft ein ganz schwacher weibischer Wille entgegen, und sie werden überflutet und zermalmt von ihren Trieben. Sie vertrinken, verspielen, vergeuden, verlieren sich, sie werden zerrieben von dem innern Wirbel ihres Wesens: sie stürzen nicht jählings ab, sondern rutschen allmählich hinunter, sie fallen von Stufe zu Stufe mit immer schwächerem Widerstand des Willens. Bei Kleist aber steht – und hier, nur hier ist die Wurzel der Kleistischen Tragödie – einer dämonisch starken Leidenschaftlichkeit der Natur ein gleich dämonischer Wille des Geistes entgegen (so wie im Werk ein wilder, berauschter Visionär sich einem kalten, nüchternen, unerhört klarsichtigen Könner und Errechner paart). Auch sein Gegenwille gegen das Triebhafte ist überstark wie der Trieb selbst, und diese widersätzliche Doppelstärke steigert seinen innern Kampf ins Heroische. Manchmal erscheint er selbst wie sein Guiskard, der in seinem innersten Zelte (in seiner Seele) durchschwärt von Beulen, durchfiebert von allen bösen Säften, leidet, aber durch die Kraft seines Willens sich aufrafft und, mit ungeheurer Geste seinem Geheimnis die Kehle verschließend, vor die Menschen tritt. Kleist gibt sich nicht einen Fußbreit nach, er läßt sich nicht willenlos in den eigenen Abgrund hinabziehen: ehern stemmt sich der Wille gegen dies ungeheure Ziehen seiner Leidenschaft:
Steh, stehe fest wie das Gewölbe steht Weil seiner Blöcke jeder stürzen will. Beut deine Scheitel, einem Schlußstein gleich, Der Götter Blitzen dar und rufe: trefft! Und laß dich bis zum Fuß herab zerspalten, Solang ein Atem Mörtel und Gestein In dieser jungen Brust zusammenhält.
– diese heilige Hybris setzt er dem Schicksal entgegen, und gegen die Selbstvernichtung dämmt er herrisch und stark den leidenschaftlichen Trieb zur Selbsterhaltung, zur Selbsterhöhung. So wird Kleistens Leben zu einer Gigantomachie, zum Riesenkampf einer übersteigerten Natur: seine Tragik ist nicht, daß er wie die meisten Menschen von dem einen zuviel und von dem andern zuwenig hatte, sondern er hatte von beidem zuviel; zuviel Geist bei zuviel Blut, zuviel Sittlichkeit bei zuviel Leidenschaft, zuviel Zucht bei zuviel Zügellosigkeit. Er war einer der überfülltesten Menschen, und die »unheilbare Krankheit«, von der dieser »schön intentionierte Körper« ergriffen war (wie Goethe sagt), eigentlich Überkraft. Darum mußte er sich selbst zersprengen wie ein überhitzter Kessel: sein Dämon war nicht das Urmaß, sondern sein Übermaß.
Lebensplan
Alles liegt in mir verworren wie die Wergfasern im Spinnrocken.
Aus einem Jugendbrief
Kleist hat dieses Chaos seines Gefühls früh in sich gefühlt. Der Knabe schon und viel stärker dann der zwanzigjährige Gardeoffizier spürt schon halb unbewußt den innern übermächtigen Schwall des Gefühls gegen die enge Welt. Aber er meint, diese Verwirrung und Befremdung sei nur Gärung der Jugend, unglückliche Einstellung ins Leben und vor allem Mangel an Vorbereitung, an System, an Erziehung. Und wahrhaft fürs Leben erzogen war Kleist ja niemals worden: aus dem verwaisten Elternhaus kommt er in eines emigrierten Predigers Zucht, dann in die Kadettenschule, wo er Kriegskunst lernen soll, indes seine heimlichste Neigung Musik ist, dieser erste Ausbruch seines Gefühls ins Unendliche. Aber nur heimlich ist es ihm gestattet, die Flöte zu spielen (meisterlich soll er sie gehandhabt haben), tagsüber hat er Kommißdienst in dem harten preußischen Heere, Exerzierfron auf den öden Sandkarrees seiner Heimat. Und der Feldzug von 1793, der ihn schließlich in einen wirklichen Krieg wirft, ist der jämmerlichste, kläglichste, langweiligste, unheroischeste der deutschen Geschichte. Nie hat er seiner wie einer Kriegstat Erwähnung getan: einzig in einem Gedicht an den Frieden atmet er seine Sehnsucht aus, dieser Sinnlosigkeit zu entrinnen.
Der Waffenrock drückt ihm zu eng die aufgeweitete Brust. Er fühlt in sich Kräfte gären und fühlt auch, daß sie aus ihm nicht wirksam in die Welt treten könnten, solange er sie nicht zu disziplinieren weiß. Niemand hat ihn erzogen, niemand ihn belehrt: so will er sein eigener Pädagog sein, sich »einen Lebensplan zimmern« oder, wie er sagt, »richtig leben«; und da er ein Preuße ist, so muß sein erster Gedanke der einer Ordnung sein. Er will Ordnung in sich schaffen, »richtig leben«, nach Prinzipien, nach Ideen, nach Maximen, und er glaubt, er könne dies Chaos in sich durch eine geregelte, eine schematische, eine gemäße Existenz zähmen, um »in ein konventionelles Verhältnis zur Welt zu kommen«. Sein Grundgedanke ist: jeder Mensch müsse einen Lebensplan haben, und dieser Wahn läßt ihn fast bis an sein Lebensende nicht mehr los. »Ein freier denkender Mensch bleibt da nicht stehen, wo der Zufall ihn hinstößt… er fühlt, daß man sich über sein Schicksal erheben könne, ja, daß es im richtigen Sinn selbst möglich sei, das Schicksal zu leiten. Er bestimmt nach seiner Vernunft, welches Glück für ihn das höchste sei, er entwirft sich seinen Lebensplan… Solange ein Mensch noch nicht imstande ist, sich selbst einen Lebensplan zu bilden, solange ist und bleibt er unmündig, er stehe nun als Kind unter der Vormundschaft seiner Eltern oder als Mann unter Vormundschaft des Schicksals« – so philosophiert der Einundzwanzigjährige und meint des Fatums zu spotten. Noch weiß er nicht, daß sein Schicksal innen ist und zugleich jenseits seiner Macht.
Aber gewaltsam stößt er sich in das Leben ab. Er zieht den Soldatenrock aus – »Der Soldatenstand«, schreibt er, »wurde mir so verhaßt, daß es mir nach und nach lästig wurde, zu seinem Zwecke mitwirken zu müssen.« Aber wie nun, einer Zucht entronnen, sich selbst eine andere finden? Ich sagte schon, Kleist müßte kein Preuße sein, wenn sein erster Gedanke nicht Ordnung gewesen wäre. Nun: und er müßte kein Deutscher sein, wenn er für diese innere Ordnung nicht alles von der Bildung erhoffte. Bildung, das ist das Arkanum des Lebens für ihn wie für jeden Deutschen; lernen, viel aus Büchern lernen, in Vorlesungen sitzen, Kollegbücher schreiben, den Professoren lauschen – so malt sich dem Jugendlichen der Weg in die Welt. Mit Maximen und Theorien, mit Philosophie und Naturkunde und Mathematik und Literaturgeschichte hofft Kleist den Weltgeist zu fassen, den Dämon in sich zu bannen. Und so wirft sich der ewige Übertreiber wie ein Rasender in das Studium hinein. Alles, was er tut, was er anfaßt, durchglüht er mit seinem dämonischen Willen: er berauscht sich geradezu an der Nüchternheit und macht aus dem Pedantismus eine Orgie. Wie seinem deutschen geistigen Ahn, wie dem Doktor Faust, ist ihm die weitausholende, schritthafte Linie zu den Wissenschaften zu langsam: mit einem Sprung will er alles erraffen und aus dem Wissen endlich das Leben selbst, die »wahre« Form des Lebens erkennen. Denn er glaubt ja, verführt von den Schriften der Aufklärungszeit, mit der ganzen Fanatik seines Triebwillens an die Erlernbarkeit der »Tugend« im Sinne der Griechen, an eine Lebensformel, durch die man sich Wissen und Bildung errechnen könne, um sie dann wie ein Schema, wie eine Logarithmentafel von Fall zu Fall zu exemplifizieren. Darum lernt er wie ein Verzweifelter, bald Logik, bald reine Mathematik, bald Experimentalphysik, dann wieder Lateinisch und Griechisch, und all das »mit einem mühsamsten Fleiße«. Man spürt deutlich, daß er die Zähne zusammenpressen muß, um durchzuhalten: »Ich habe mir ein Ziel gesetzt, das die ununterbrochene Anstrengung aller meiner Kräfte und die Anwendung jeder Minute Zeit erfordert, wenn es erreicht werden soll«, aber dies »Ziel« will sich immer und immer noch nicht zeigen. Er lernt ins Leere, und je mehr er an einzelnen Kenntnissen hastig zusammenballt, um so weniger erkennt er das innere Ziel. – »Mir ist keine Wissenschaft lieber als