Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
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Aber er soll dem Dämon nicht entrinnen, indem er Bücher und Pandekten über ihn stülpt: aus den Büchern schlägt die furchtbare Flamme ihm eines Tages schreckhaft entgegen. Plötzlich, in einer Stunde, in einer Nacht ist Kleistens erster Lebensplan vernichtet. Er hat Kant gelesen, den Urfeind aller deutschen Dichter, ihren Verführer und Zerstörer, und dies kalte überklare Licht blendet ihm den Blick. Entsetzt muß er seine höchste Überzeugung, den Glauben an die Heilkraft der Bildung, an die Erkennbarkeit der Wahrheit bankerott erklären: »Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist oder ob es uns nur so scheint.« Die »Spitze dieses Gedankens« durchbohrt ihn »im heiligsten Innern« seines Herzens, und erschüttert ruft er in einem Briefe aus: »Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr.« Der Lebensplan ist vernichtet, Kleist wieder allein mit sich selbst, mit diesem furchtbaren lastenden geheimnisvollen Ich, das er nicht zu bändigen weiß. Gerade, daß er – wie immer – als der maßlos Leidenschaftliche sein ganzes Sein, seine unumschränkte geistige Existenz auf eine Karte setzt, macht diese seine seelischen Niederbrüche so furchtbar und gefährlich. Wenn Kleist seinen Glauben verliert oder seine Leidenschaft, verliert er immer alles: denn dies ist seine Tragik und seine Größe, sich immer ganz und restlos in ein Gefühl hineinzutreiben und niemals den Weg zurückzufinden, sich nie anders also befreien zu können als durch Explosion und Zerstörung.
So wird er auch diesmal durch Zernichtung frei. Er zerschellt den Becher, aus dem er sich durch Jahre selig berauscht, klirrend und mit einem Fluch an der Wand des Schicksals. Die »traurige« Vernunft, so nennt er die fortab, die bisher sein Idol gewesen, er flieht die Bücher, die Philosophie, die Theoreme – und flieht, als der ewige Übertreiber, wieder zu weit hinüber bis an das andere Ende. »Mir ekelt vor allem, was Wissen heißt«: mit einem Ruck wirft er sich herum in das Gegenteil, reißt seinen Glauben aus sich wie einen weggelebten Tag aus dem Kalender, und der gestern noch in Bildung die Rettung, im Wissen die Magie, in der Kultur das Heil, im Studium die Wehrkraft gesehen, schwärmt nun für Dumpfheit, die Unbewußtheit, für das Primitive, für das Tierhaft-Vegetative. Sofort – Kleistens Leidenschaft kennt nicht das Wort Geduld – ist ein neuer Lebensplan gezimmert, gleich schwach in der Konstruktion, gleichfalls ohne jedes Fundament der Erfahrung: nun will der preußische Junker plötzlich »ein dunkles, stilles, unscheinbares Leben«, will Bauer werden, in jener Einsamkeit wohnen, die Jean-Jacques Rousseau seiner Zeit so verführerisch erfunden; nichts verlangt er mehr, als das, was die persischen Magier als das Gott Wohlgefälligste bezeichnen: »ein Feld zu bebauen, einen Baum zu pflanzen und ein Kind zu zeugen«. Kaum daß der Plan ihn faßt, reißt er ihn schon mit: in der gleichen Geschwindigkeit, mit der Kleist weise werden wollte, begehrt er nun dumpf zu werden. Über Nacht verläßt er Paris, wohin er »vom Studium einer traurigen Philosophie verwirrt« geflüchtet war, über Nacht schleudert er seine Braut von sich, nur weil sie nicht sofort sich auf den neuen Lebensplan umstellen kann und Bedenken äußert, ob sie, die Tochter eines hohen Generals, sich als Magd in Feld und Stall zu betätigen vermöchte. Aber Kleist kann nicht warten: ist er von einer Idee besessen, so brennt er im Fieber. Er studiert landwirtschaftliche Bücher, arbeitet mit den Schweizer Bauern, fährt kreuz und quer durch die Kantone, um für sein letztes Geld sich ein Gut (mitten im kriegsdurchwühlten Land) zu kaufen; selbst wenn er das Nüchternste will, Gelehrsamkeit oder Agrikultur, so kann er es nicht anders als dämonisch tun.
Seine Lebenspläne sind wie Zunder: sie flammen auf bei der ersten Berührung mit der Wirklichkeit. Je mehr er sich müht, desto mehr muß ihm mißlingen, denn sein Wesen ist Zerstörung durch Übertreibung. Was Kleisten gelingt, geschieht wider seinen Willen: immer vollbringt die dunkle Macht in ihm, was sein Wille nie geahnt. Und während er in Bildung und dann wieder in Unbildung, in diesen überhitzten Pedanterien seiner Vernunft den Ausweg sucht, hat der Trieb, die dunkle Willensgewalt seines Wesens, sich schon frei gemacht: wie ein Geschwür ist, während er mit Salben und Verbänden vernünftlerisch sein inneres Fieber heilen will, die geheime Gärung aufgebrochen, der gefesselte Dämon hat sich losgerissen ins Gedicht. Ein Traumwandler des Gefühls, ganz absichtslos hatte Kleist in Paris »Die Familie Schroffenstein« begonnen, zaghaft seinen Freunden diese ersten Versuche gezeigt: aber kaum, daß er die Möglichkeit erkennt, endlich, endlich einmal durch ein aufgerissenes Ventil das Übermaß seines Gefühls zu erleichtern, kaum daß er spürt, wie hier allein in dieser Welt der Grenzen, Umschnürungen und Maße seiner Phantasie Freiheit gegeben ist, so rast schon sein Wille in diese Unendlichkeit hinein (auch hier gleich gierig, in erster Stunde an ihr letztes Ende zu gelangen). Die Dichtung ist Kleistens erste Befreiung: jauchzend gibt er (der ihm zu entkommen wähnte) sich an den Dämon zurück und wirft sich in seine eigene Tiefe wie in einen Abgrund.
Ehrgeiz
Ach, es ist unverantwortlich, den Ehrgeiz in uns zu erwecken – einer Furie zum Raube sind wir hingegeben.
Aus einem Brief
Wie aus einem Gefängnis stürmt Kleist in das gefährlich Grenzenlose der Dichtung hinein. Endlich eröffnet sich seinem gärenden Drang Möglichkeit der Entladung; die eingeengte Phantasie kann sich zerteilen in Gestalten, verströmen im schwelgenden Wort. Aber einem Kleist wird nichts zur Lust, weil er kein Maß kennt. Kaum daß er das erste Werk beginnt, kaum daß er wagt, sich als Gestalter, als Dichter zu fühlen, will er schon sofort der größte, herrlichste, der gewaltigste Dichter aller Zeiten sein und stellt bereits an sein Erstlingswerk den frevlerischen Anspruch, die großartigsten Werke der Griechen und der Klassik zu übertreffen. Mit dem ersten Ansprang alles erreichen; damit ist jene Kleistische Übertreibung nun ins Literarische pervertiert. Andere Dichter beginnen zaghaft mit Hoffnungen und Träumen, mit Versuchen und Bescheidungen; Kleist aber, ständig in Superlativen lebend, verlangt vom ersten Versuch gleich das Unerreichbare. Sein »Guiskard«, den er (nach seinem fast traumwandlerischen Frühwerk, den Schroffensteinern) beginnt, soll, ja muß die mächtige Tragödie aller Zeitalter sein. Mit einem Ruck will er in die Ewigkeit hinein; nie hat die Literatur eine titanischere Vermessenheit gekannt als Kleistens Forderung nach Unsterblichkeit gleich mit dem ersten Ausbruch seiner Kraft. Jetzt erst sieht man, wieviel Hochmut in dem überheizten Kessel seiner Brust heimlich verschlossen war: in dampfenden Worten zuckt und zischt er heraus. Wenn ein Platen von Odysseen und Iliaden faselt, die er schaffen will, so ist das ungläubige Selbstbeschwätzung einer schwachen Natur. Aber Kleisten ist es ehern ernst mit seinem Wettstreit wider die Götter des Geistes; wenn ihn eine Leidenschaft packt, so treibt er sie (und sie wiederum ihn) ins Maßlose, und von dieser Stunde der Klarheit über seine Mission wird der Ehrgeiz zur fast tödlichen Aufbietung seines ganzen Seins. Seine Hybris ist lebenswahr, todeswahr, als er sich nun, ein Desperado des Lebens, in trotziger Herausforderung der Götter an ein Werk wirft, das (wie er Wieland suggeriert) »die Geister des Äschylos, Sophokles und Shakespeare« in sich vereinigen soll. Immer setzt Kleist sein Ganzes auf eine Karte. Und von nun ab heißt sein Lebensplan nicht mehr leben und richtig leben, sondern Unsterblichkeit.
Kleist beginnt sein Werk im Spasma, in der letzten Entzückung und Trunkenheit. Alles, auch das Schaffen, verwandelt sich ihm zur Orgie; Lust-und Qualschreie brechen aus seinen Briefen stöhnend oder schwelgend hervor. Was andere Dichter ermutigt und bekräftigt, die Ermunterung durch Freundeswort, läßt ihn taumeln in Angst und Lust, so furchtbar ist sein ganzes Sein erregt von der Alternative des Gelingens oder Versagens. Was andern Glück ist, wird ihm (hier wie immer)