Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
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Dieses Mit-sich-allein-Sein, dieses Gegen-sich-selbst-allein-Sein ist der tiefste Sinn, die einzig heilige Not der Lebenstragödie Friedrich Nietzsches: nie war so ungeheure Fülle des Geistes gegen ein so metallen undurchdringliches Schweigen gestellt. Nicht einmal die Gnade bedeutender Gegner ist ihm gegeben – so muß der stärkste Denkwille »in sich selber eingehöhlt, sich selber angrabend«, aus der eigenen tragischen Seele sich Antwort und Widerstand holen. Nicht aus der Welt, sondern in blutenden Fetzen von der eigenen Haut reißt sich der Schicksalsrasende wie Herakles sein Nessushemd, die brennende Glut, um nackt gegen die letzte Wahrheit, gegen sich selbst zu stehen. Aber welcher Frost um diese Nacktheit, welches Schweigen um diesen ungeheuersten Schrei des Geistes, welch entsetzlicher Himmel voll Wolken und Blitze über dem »Mörder Gottes«, der nun, da keine Gegner ihn finden und er keinen mehr findet, sich selber anfällt, »Selbstkenner, Selbsthenker ohne Mitleid«! Von seinem Dämon hinausgetrieben über Zeit und Welt, hinaus selbst über den äußersten Rand seines Wesens,
Geschüttelt ach von unbekannten Fiebern, Zitternd vor spitzen eisigen Frostpfeilen, Von dir gejagt, Gedanke! Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!
schaudert er manchmal mit einem ungeheuren Schreckblick zurück, da er erkennt, wie weit ihn sein Leben über alles Lebendige und alles Gewesene hinausgeschleudert hat. Aber ein so übergewaltiger Anlauf kann nicht mehr zurück: mit voller Bewußtheit erfüllt er das Schicksal, das sein geliebter Hölderlin ihm vorausgedacht, sein Empedokles-Schicksal.
Heroische Landschaft ohne Himmel, gigantisches Spiel ohne Zuschauer, Schweigen und immer gewaltsameres Schweigen um den fürchterlichsten Schrei geistiger Einsamkeit – das ist die Tragödie Friedrich Nietzsches: man müßte sie als eine der vielen sinnlosen Grausamkeiten der Natur verabscheuen, hätte er ihr nicht selbst ein ekstatisches Ja gesagt und die einzige Härte um ihrer Einzigkeit willen gewählt und geliebt. Denn freiwillig, aus gesicherter Existenz und mit klarem Sinn hat er sich dies »besondere Leben« aus dem tiefsten tragischen Instinkt gebaut und mit einer einzigen Kraft die Götter herausgefordert, in ihm »den höchsten Grad der Gefährlichkeit zu erproben, mit der ein Mensch sich lebt«. »Χαίρετε δαὶμοως« »Seid gegrüßt, Dämonen!« Mit diesem heitern Ruf der Hybris beschwören einmal in studentisch froher Nacht Nietzsche und seine philologischen Freunde die Mächte: zur Geisterstunde schwenken sie vom Fenster aus den gefüllten Gläsern roten Wein in die schlafende Straße der Baseler Stadt hinab als Opfergabe an die Unsichtbaren. Es ist nur ein phantastischer Scherz, der mit tieferer Ahnung sein Spiel treibt: aber die Dämonen hören den Ruf und folgen dem, der sie gefordert, bis aus dem Spiel einer Nacht grandios die Tragödie eines Schicksals wird. Nie aber verwehrt sich Nietzsche dem ungeheuren Verlangen, von dem er sich übermächtig erfaßt und fortgeschleudert fühlt: je härter ihn der Hammer trifft, um so heller klingt der eherne Block seines Willens. Und auf diesem rotglühenden Amboß des Leidens wird härter und härter mit jedem verdoppelten Schlag die Formel geschmiedet, die seinen Geist dann ehern umpanzert, die »Formel für die Größe am Menschen, amor fati: daß man nichts anders haben will, vorwärts nicht, rückwärts nicht, in alle Ewigkeit nicht. Das Notwendige nicht bloß ertragen, noch weniger verhehlen, sondern es lieben«. Dieser sein inbrünstiger Liebesgesang an die Mächte überklingt dithyrambisch den eigenen Schmerzensschrei: zu Boden geknickt, zerdrückt vom Schweigen der Welt, zerfressen von sich selber, geätzt mit allen Bitterkeiten des Leidens, hebt er niemals die Hände, das Schicksal möchte endlich von ihm lassen. Nur um mehr noch bittet er, um stärkere Not, um tiefere Einsamkeit, um volleres Leiden, um die äußerste Fülle seiner Fähigkeit; nicht in der Abwehr, einzig im Gebet hebt er die Hände, im herrlichsten Gebet des Helden: »Du Schickung meiner Seele, die ich Schicksal nenne, Du In-mir! Über-mir! Bewahre mich und spare mich einem großen Schicksal.«
Wer aber so groß zu beten weiß, der wird erhört.
Doppelbildnis
Das Pathos der Attitüde gehört nicht zur Größe; wer Attitüden überhaupt nötig hat, ist falsch… Vorsicht vor allen pittoresken Menschen!
Pathetisches Heroenbild.
So bildet ihn die marmorne Lüge, die pittoreske Legende: ein trotzig gerecktes Heldenhaupt, hohe wölbige Stirn, zerklüftet von düstern Gedanken, niederwuchtende Welle des Haares über gespanntem, auftrotzendem Nacken. Unter den buschigen Augenbrauen blitzt Falkenblick, jeder Muskel des gewaltigen Gesichts steht straff von Willen, Gesundheit und Kraft. Der Vercingetorix-Schnurrbart männisch über herben Mund und das vorstoßende Kinn stürzend, zeigt den barbarischen Krieger, und unwillkürlich denkt man sich zu diesem muskelkräftigen Löwenhaupt eine germanische Wikingergestalt mit Siegschwert, Hifthorn und Speer. So, zum deutschen Übermenschen, zum antiken Promethiden der gefesselten Kraft gewaltsam übersteigert, lieben es unsere Bildhauer und Maler, den Einsamen im Geiste darzustellen, um ihn einer kurzgläubigen Menschheit anschaulicher zu machen, die von Schulbuch und Bühne her unfähig ist, das Tragische anders als in theatralischer Drapierung zu verstehen. Das wahrhaft Tragische aber ist niemals theatralisch und Nietzsches wahres Bildnis darum unendlich weniger pittoresk als seine Büsten und Bilder.
Bildnis des Menschen. Der dürftige Speiseraum einer Sechs-Franken-Pension in einem Alpenhotel oder am ligurischen Strand. Gleichgültige Gäste, zumeist ältere Damen im »small talk«, im kleinen Gespräch. Die Glocke hat dreimal zu Tisch gerufen. Über die Schwelle tritt mit gedrückter Schulter eine leicht gebückte unsichere Gestalt: wie aus einer Höhle heraus tappt immer der »Sechs-Siebentel-Blinde« in fremdes Gelaß. Dunkles, sauber gebürstetes Kleid, dunkel auch das Antlitz mit dem buschigen, braunen, gewellten Haar. Dunkel auch die Augen hinter der fast rundgeschliffenen dicken Krankenbrille. Leise, ja sogar schüchtern tritt er heran, eine ungemeine Lautlosigkeit um sein Wesen. Man fühlt einen Menschen, der im Schatten lebt, jenseits jeder gesprächigen Geselligkeit, der alles Laute, allen Lärm mit fast neurasthenischer Ängstlichkeit fürchtet: höflich, mit ausgesucht vornehmer Artigkeit grüßt er die Gäste, höflich, mit liebenswürdiger Gleichgültigkeit grüßen die andern den deutschen Professor zurück. Vorsichtig rückt sich der Kurzsichtige an den Tisch, vorsichtig prüft der Magenempfindliche jedes Gericht: ob der Tee nicht zu stark sei, die Speisen nicht übermäßig gewürzt, denn jeder Irrtum in der Kost reizt seine empfindlichen Gedärme, jeder Verstoß in der Nahrung wühlt die zitternden Nerven für Tage gewaltsam um. Kein Glas Wein, kein Glas Bier, kein Alkohol, kein Kaffee vor seinem Platz, keine Zigarre, keine Zigarette nach der Mahlzeit, nichts, was aufmuntert, erfrischt oder ausruhen macht: nur die kurze magere Mahlzeit und ein kleines, urbanes, untiefes Gespräch mit leiser Stimme zum gelegentlichen Nachbar (wie einer spricht, der des Redens seit Jahren entwöhnt ist und sich fürchtet, zuviel gefragt zu werden).
Und wieder hinauf in das schmale, enge, dürftige,