Expedition Antarctica. Evelyne Binsack

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Expedition Antarctica - Evelyne Binsack

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Detail zu erkennen. Und wenn es um Skis geht, hat Norwegen mit seiner Langlauftradition ohnehin das Vertrauen verdient. Meine Madshus liegen in Breite und Länge irgendwo zwischen Langlaufski und Telemarkski. Wanderskis mit Kanten. In den Belag habe ich Felle geklebt und geschraubt. Ich wollte gleiten, ohne zu rutschen. Wie groß oder klein die Felle sein müssen und dürfen, galt es auszuprobieren. Doch was Sastrugis bedeuten, konnte ich im alpinen Testgelände nicht ahnen.

      Die Bindung hat Rottefella in Norwegen für Expeditionen gebaut. Sie gleicht einer Langlaufbindung. Zwei kleine Klammern halten eine kleine Achse wie Scharniere an der Spitze des Schuhs und geben ihm auf der ganzen Fläche Bewegungsfreiheit.

      Als Pièce de Résistance sollten sich die Schuhe erweisen. Wie rasch sich Schmerzen an den Füßen entwickeln, können die meisten Sankt-Jakobs-Pilger schon nach den ersten Tagen aus eigener Erfahrung berichten. Antarktis-Pilger erwartet unter der stärkeren Belastung auf Skis eine vielfach größere Pein. Die Härte des Klimas potenziert jeden Schmerz. Fragt sich, wie man ihn am besten umgeht. Es gibt zwei Möglichkeiten. Starr oder weich. Ein starrer Schuh belastet die Achillesferse, ein weicher muss hart geschnürt werden und birgt die Gefahr, auf dem Rist die Durchblutung abzudrücken. Das kann innert kurzer Zeit zu Qualen und unter polaren Verhältnissen zu unheilbaren Erfrierungen führen. Am besten kauft man jeden Schuh für die Kälte zwei, drei Nummern zu groß, um Platz für genügend Socken zu haben. Aber das löst die Probleme nicht. Es gibt keine schmalen Frauenmodelle zu kaufen. Um in den klobigen und breiten Männermodellen trotzdem Halt zu finden, muss ich umso satter zuschnüren.

      Deswegen entschied ich mich entgegen Mikes Rat für ein starres Modell mit guter Isolation. Sie ist so üppig, dass sich der Innenschuh im starren Gehäuse angenehm abrollen lässt. Weil man stets flach geht, zieht das bei jedem Schritt an der Achillessehne. Versuche, diesen Zug zu verringern, sollten mich über mehrere Breitengrade begleiten. Immerhin habe ich nicht an die Füße gefroren. Meine Mutter hat mir um meine Schuhe von Meindl wärmeisolierende Uberzugsgamaschen genäht, damit meine vom Himalaja kälteempfindlich gebliebenen Zehen möglichst keine weiteren Schäden davontragen müssten.

      Den Materialschlitten schließlich hatte ich bei den beiden Polfahrern Paul Landry und Matty McNair gesehen. Leicht sollte er sein und breit genug, um die Unebenheiten des südlichen Polareises durchzustehen. Marke Fjellpulken aus Norwegen. Siebeneinhalb Kilo scheinen nicht schwer, aber über mehr als tausend Kilometer und beladen mit über hundert Kilo Material, fällt jedes Kilo ins Gewicht. Das Verdeck darüber ist leicht – zu leicht vielleicht, und ob der Klettverschluss sich im Schneetreiben bewährt, würde ich sehen. Auch die Zuggurte sind von Fjellpulken. Eigentlich für die Kitesurfer gebaut, habe ich sie für meine Zwecke umgearbeitet, mit einem verstellbaren Karabiner versehen und mit dem Gestell eines Rucksacks verbunden. So konnte ich den Zug auf Hüfte und Schultern beliebig verteilen.

      Hemd und Hose

      Für lange Jahre galt Goretex bei nassem Wetter als Garant für trockene Haut. In der Antarktis bewähren sich sogenannte Hybridstoffe besser. Sie schützen vor Wind, sind aber nicht wasserdicht, sodass die Körperfeuchtigkeit nach außen besser entweicht. Mammut hat alle meine Erwartungen bestens erfüllt. Um weder zu frieren noch zu schwitzen, setzte ich aufs Zwiebelprinzip. Ich hatte genügend Schichten zum Schälen dabei: Unterziehleibchen, Uberziehleibchen, zwei Pullis, einer über dem andern zu tragen, eine Jacke und eine zweite Jacke über die erste. Für die Pausen muss eine Daunenjacke griffbereit liegen. Man kühlt sehr schnell aus. Zur Jacke gehört unbedingt eine Kapuze mit Pelzrand gegen den Wind. Schafpelz ist untauglich, da der Schnee in der Wolle verklumpt. Das wussten schon Pioniere wie Amundsen, Scott oder Shackleton: Meine Fuchspelzchen sind schon auf den Fotos von damals zu sehen. Die alten Fotos geben auch zu erkennen, dass es damals weder den Reiß- noch den Klettverschluss gab. Und durch Knopflöcher und Ösen fühlst du die Kälte fast wie eine Flüssigkeit in ekligen Bächlein der Haut entlangrieseln.

      Auch im Gesicht kommt unter der Kapuze Schicht über Schicht. Zuerst eine Halskrause bis unter den Mund. Darüber eine Balaklava und ein winddichtes Stirnband. Meine Mutter hatte mir gegen Wind und Kälte maßgerecht auch eine Gesichtsmaske geschneidert. Um mich voll zu vermummen, setzte ich eine Sturmbrille darüber. Doch all das sollte die Wangen nicht genügend vor Frostbeulen schützen. Sie kommen heimtückisch, schmerzlos. Erst abends, wenn man sich berührt, erschrickt man über die Gefühllosigkeit.

      Und sonst noch? Handschuhe in drei Schichten – und natürlich, wie sich das gehört für eine Frau, das kleine Schwarze … Denkste. Für die ganzen fünfzig Tage Antarktis habe ich mir nur drei paar Unterhosen geleistet. Waschen unmöglich.

      My Tent is my Castle

      Nicht dass ich gedachte, bei Pfadfinderromantik viel Zeit im Zelt zu verbringen. Wichtig jedoch ist der Schutz vor Wind und Wetter in den kurzen Stunden der Erholung. Hunderte verschiedener Zelte für höchste Ansprüche bieten sich an. Doch hier ist die Auswahl ziemlich einfach. Wer in die Antarktis geht, wählt ein Tunnelzelt. Alles andere disqualifiziert sich von selbst: Kuppelzelte verlangen zum Aufbauen mehr als zwei Hände. Giebelzelte flattern wie Fahnen im Wind.

      Unsere »Hillebergs« trotzten sämtlichen Stürmen. Innen- und Außenzelt hängen zusammen und lassen sich in einem Arbeitsgang leicht von zwei Händen aufbauen. Wenn man sie in den Wind stellt, pustet sie der Wind von allein auf. Beim Abbauen bleiben die Stangen drin und kommen in der Mitte zusammengesteckt auf den Schlitten. Um mein Hilleberg Antarktis-tauglich zu machen, nähte meine Mutter »Flaps« an die Unterkante. Mit Schnee beschwert, verbessern sie bei Wind die Standfestigkeit. Sie bewährten sich gleich am ersten Tag: Bei einem einzigen, harmlosen Stangenbruch wetterten sie alles ab, was vom Himmel kam.

      Für einen guten, tiefen Schlaf ist der Schlafsack überlebensnotwendig. Daunen bleiben das Maß der Dinge. Sie halten unerreicht warm, sind federleicht und trocknen rasch in der Sonne. In meinem »Mammut« steckt mindestens ein Kilo Daunen. Das reicht mit der entsprechenden Wäsche auch an den kältesten Tagen für wohlige Wärme.

      Die kleine Hausapotheke

      Zu Material und Verpflegung gehört auch Medizin für alle Fälle. So wenig wie möglich, so viel wie nötig, lautete die Devise für meine Packzettel. Ohne Notapotheke in die Wildnis zu gehen, ist grob fahrlässig. Trotzdem hatte ich nicht viel mehr als Verbandstoff und einige Tabletten dabei. Schmerzmittel, Entzündungshemmer und Antibiotika an erster Stelle, aber auch Schlaftabletten, falls ich nach einem anstrengenden Tag zu zappelig wäre und doch am nächsten Morgen wieder fit sein wollte. Aber da blieb ich vorsichtig. Zu mehr als einer halben Tablette habe ich mich jeweils nicht getraut. Ich will nicht abhängig werden. Von gar nichts. Es reicht schon, dass mich die Bergsteigerei nicht mehr loslässt.

      Für schwerere Fälle verlasse ich mich stets auf mein Allerweltsheilmittel »Milan«. Mit Milan bin ich besser bedient als mit einem ganzen Koffer Chemie. Seine Wirkung ist schon in homöopathischen Dosen rasch und nachhaltig. Keine Nebenwirkungen. Uberdosis unmöglich. Dr. Milan Cermak. Unter anderem Professor an der Universität in Straßburg und für die NASA in der Telemedizin tätig. Milan kann ich am Telefon fragen, ob meine Kopfschmerzen ein Symptom für Malaria sind oder wie ich mit einer Frostbeule umgehe, wenn sie partout nicht heilen will. Es ist wunderbar, in Milan einen Freund zu wissen, der auch erklären kann, wie eine Supernova funktioniert oder wie lange es dauert, den Mars zu erreichen. Bei all seinen Titeln ist Milan ein Mensch geblieben, der alle möglichen Fragen ernster nimmt als sich selber. Gibt es ein besseres Sedativum und Antidepressivum als Milan? Den Expeditionsteilnehmern einer Himalaja-Expedition zum Cho Oyo (8188 m) riet er in perfektem Deutsch mit dem Akzent seiner tschechischen Heimat: »Einmal richtig gefurzt ist besser als sieben Ärzte!« Voilà. Mit Milan in der Rückhand kehrte ich noch jedes Mal gesund nach Hause zurück.

      Meine Welt sind die Berge

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