Expedition Antarctica. Evelyne Binsack

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Expedition Antarctica - Evelyne Binsack

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Leistungsgrenze betrieben. Die Leistungsgrenze bildet eine äußerst reizvolle Linie in der Innenwelt der menschlichen Erfahrung. An exponierten Stellen eines Bergs ist man bis in die letzte Faser gereizt. In diesen Phasen äußerster körperlicher wie psychischer Sensibilität lernt man viel über sich und den Berg. Man lernt vom Berg über sich.

      Man begegnet seinen Stärken und seinen Schwächen, lernt den Ehrgeiz zügeln, wenn er ungesund wird und man vor Ungeduld die Gefahren missachtet. Ich staunte über meine innere Ruhe, wenn ich zu Rettungsaktionen aufgerufen wurde, um Tote zu bergen oder ein Risiko auf mich zu nehmen. Ich lernte, Angst in Wut umzusetzen – Wut über das persönliche Unvermögen – und aus dieser Wut Energie zu schöpfen, um daraus Kraft zum Handeln zu gewinnen. Die Wut erweist sich als unglaublich schöpferische Kraft. Sie befähigt einen zu schier übermenschlichen Leistungen. Sie kann mich die Wände hochtreiben. Beim Klettern wirst du oben mit einem Blick der Götter entschädigt. Das Universum liegt dir zu Füßen.

      Um dieses göttliche Gefühl zu erleben, ist es oft nötig, den Körper so nahe an die Leistungsgrenze zu bringen, dass man auf Messers Schneide geht. Kleinste Fehler können da Leben kosten. Deins oder das der Kameraden. Nur äußerste Wachsamkeit und Achtsamkeit bewahren den Kletterer vor dem Fall. Das verlangt laufend Risikoentscheide: Kann ich mein Ziel erreichen? Entfesselt meine Egozentrik übertriebenen Ehrgeiz? Hat sich die Lage verändert – zum Guten oder zum Schlechten? Ist der Luftdruck gefallen, kommt Wind, kommen Wolken auf? Wie steht es um meine Leute? Brauchen sie Ansporn, Beruhigung? Nutze ich alle Chancen, wie sieht der Ausweichplan aus? Indem ich Geist und Körper stärke, trainiere ich mich für jene Konzentration zur Ausschöpfung der äußersten Kräfte, mit denen ich je länger, je höhere Ziele erreiche. Der Everest war nicht das Äußerste.

      Immer warten noch längere, schwierigere Wände in härteren Klimazonen, für die der Körper oder die Psyche noch nicht bereit sind – aber bereit, sich dafür zu stärken. Zweiundzwanzig Jahre lang kam ich auf diese Weise weiter und höher hinaus. Ich wusste, wie ich mich am Berg verhalte. Ganz falsch war es nie. Keiner meiner Begleiter hatte je einen Unfall. Bei mir selber ging selten genug mal ein »Blätz ab«. Am Berg bin ich zu Hause. Seine Wände sind meine Herberge. Verbunden mit der Erde, bin ich ein Teil davon. Das ist ein unbeschreibliches Glücksgefühl, für das ich tief dankbar bin.

      Doch leise, und erst fast unbemerkt, stieß ich an andere Grenzen. Eine wirklich neue, andere Erfahrung konnte mich der Berg nicht mehr lehren. Der Aufwand, um noch höher hinaus zu gelangen, würde das Verhältnis von Aufwand und Ertrag aus dem Gleichgewicht kippen. Ich fühlte mich in der Vertikalen gefangen. Irgendwie weltfremd. Neue Dimensionen lockten. Weite Horizonte, Steppen und Wüsten. Ich spürte die Lust, die Welt zu erfahren, so wie es andere nach der Schule tun. Meine Lehr- und Wanderjahre nachholen, um die Wahrheit zwischen den Menschen zu finden. Weltgewandtheit, könnte man sagen, nach zweiundzwanzig Jahren im Schutz der Berge, unbehelligt vom Gewimmel, Gezappel, Gestrampel, Geheul und Gejauchze dieser Welt.

      Ich bin süchtig nach Bergen, und ich weiß um meine Sucht nach diesem Erleben der Erlösung, der Befreiung und eines unbeschreiblichen Glücks im Ausgesetztsein auf der Bergspitze. Der Berg bedeutet mir fast alles. Ich habe ihn als Subjekt erfahren, mit einem Willen und der Fähigkeit, mit mir in Beziehung zu treten. Er ist mein Lehrer, mein Meister, oder mein Feind und mein Freund, manchmal auch bloß ein Kumpel, zu dem ich mal Du sagen darf. Mehr als eine geologische Unregelmäßigkeit im platten Erdenrund erkenne ich in ihm eine Persönlichkeit mit einem reichen Charakter. Mal schön, mal hässlich, mal verlockend, mal abschreckend. Er hat tausend Gesichter, aber wo immer ich ihm begegne, in den Alpen, im Himalaja, in den Rockies oder in den Anden, hänge ich von seinem Wohlwollen ab – und kann mir seine Gunst nur durch mein persönliches Rüstzeug und meine aufrichtige Haltung ihm gegenüber erwirken. Die Begegnung mit ihm findet im Dialog statt. Wie das in der Liebe so ist, wenn sie größer und tiefer wird. Der Berg lässt mich nur auf den Gipfel, wenn wir füreinander bereit sind.

      »Die Berge« sind damit nicht zu vergleichen. Sie sind zahllos, schön und beliebt und oft mit der Seilbahn erreichbar. »Der Berg« sprengt dieses Postkartenformat. Er ist das Ganze, die Seele gleichsam, die das Leben in »den Bergen« ausmacht. Vom Berg kannst du dir kein Bildnis machen. Er ist in dir drin. Er ist deine Liebe. Du kannst Bilder machen von deinen Geliebten, den Bergen. Aber nicht vom Berg. Deiner Liebe. So ist das.

      Und nun nahm ich Abschied von der Liebe zu diesem Berg. Das war schmerzhaft. Ich wusste, wie schwer es würde, mich von einer unwiderstehlichen Liebe zu lösen. Die Lösung vom Berg hatte ich selber gewollt. Ich hatte ein Ziel und die Erwartung eines Geschenks, das ich mir am Ende in die Hosentasche stecken könnte, und niemand wird es mir dann noch nehmen können. Doch der Erwartung folgte die Ungewissheit vom Start bis zum Ziel. Sechzehn Monate sollte ich unterwegs sein. Mit dem Aufwand hätte ich gut und gern ein Dutzend Achttausender finanziert. Und vielleicht zwei oder drei auch zeitlich bewältigen können. Da beginnt man schon zu rechnen – und hie und da auch mit sich zu rechten.

      EUROPÄISCHER PROLOG

      Von Innertkirchen nach Porto

      1. September bis 17. Oktober 2006

      2400 Kilometer

      Start auf der Grimsel

      Was ich zum Gelingen von Antarctica tun konnte, hatte ich mit bestem Wissen und Gewissen getan. Vor mir lag die Ungewissheit. 484 Tage Ungewissheit. 25 000 Kilometer Ungewissheit. Evelyne gegen den Rest der Welt. Nicht ganz, aber es fühlte sich so an im Augenblick, als ich mich aufs Rad schwang.

      Der Starttag war nicht mein Tag. Das zeigte sich bereits morgens um sechs vor meinem Chalet auf dem geliebten Hubel ob Innertkirchen im Berner Oberland. Mein Lebenspartner Sandro war eigens aus Kanada gekommen. Umarmungen, Abschiedsküsse, beste Wünsche. Seine Anwesenheit zerriss mir ein bisschen das Herz. Gedankenverloren stand er in der Eingangstür.

      Ich schwang mich auf den Sattel, zupfte mir nochmals die Hosen zurecht, schlüpfte in die Handschuhe, riegelte an den Kettenblättern, fädelte mich mit den Füßen in die Klickpedale ein, schwankte etwas hin und schwankte etwas her, fragte mich, will ich das wirklich, mache ich mir etwas vor, und wie wird das enden? Ich winkte und winkte noch mal, und bevor mein Hexenhäuschen hinter der Kurve verschwand, die mich in die weite Welt hinaustragen sollte, drehte ich mich noch einmal um, verlor das Gleichgewicht, blieb in diesen Klickpedalen hängen – und, zack, fiel ich bereits auf den ersten dreißig Metern auf den Asphalt. Evelyne, willst hoch hinaus – und fällst so tief, noch bevor es losgeht.

      Es tat mir ziemlich alles weh. Die Hüfte links tut mir heute noch weh, wenn ich daran denke. Man ist ja so dünnhäutig in solchen Augenblicken. Ob das ein gutes Vorzeichen war? Hätte ich mich mit dem Fahrrad und seinen Tücken besser anfreunden sollen? Nicht fragen jetzt, sei tapfer, Evelyne, wenn dir nichts Schlimmeres passiert auf den nächsten vielen Tausend Kilometern während der anderthalb Jahre, hast du Glück gehabt. Also weiterfahren, als sei nichts gewesen. Ich hatte mir ja bloß die Knochenhaut an der Hüfte verletzt. Das sollte ich bis Südamerika spüren – und spürte es noch viel mehr, gleich drei Stunden später, beim offiziellen Start oben auf der Grimselpasshöhe.

      Meine erste Pressekonferenz. Das war ich den Sponsoren schuldig. Radio, Fernsehen und Print. Alle sollten berichten, und alle erschienen auch, um zuzuschauen, wie eine Frau aus Innertkirchen Richtung Südpol in die Pedale trat. Als ob das sehenswert wäre. Die früheren Unternehmungen wie die Expedition zum Dhaulagiri oder den Begehungsversuch der Mount- Everest-Südseite hatte ich ganz allein und ohne Medienrummel gemacht. Doch jetzt, wo die Kosten für mein Abenteuer wieder einzuspielen waren, musste die Öffentlichkeit zuschauen können. Selten aber hatte ich mich so fremd gefühlt in meinen Kleidern. Mir schien das Ganze ein Desaster, die Emotionen schwirrten in alle Richtungen. Gleichzeitig reden und wegen des Hüftschmerzs auf die Zähne beißen, das konnte

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