Expedition Antarctica. Evelyne Binsack
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Warum hast du das gemacht?
Ja, damals, was wollte ich wirklich? Ich nannte es Expedition. Aber war es das? Bin ich in Neuland aufgebrochen, habe ich etwas entdeckt, der Wissenschaft einen Fortschritt gebracht? Es hat mich weitergebracht. Es wurde mein Projekt. Indem ich es entwickelte, habe ich mich entwickelt. Über fünf, sechs Jahre, bis zur Verwirklichung des Schritts zum Südpol, hatte sich meine Sicht der Dinge und meine Befindlichkeit geändert. Die Höchstleistung war aus dem Mittelpunkt des Trachtens gerückt. Sie wurde ein Mittel, um ein Ziel zu erreichen. Wie reagieren Körper, Psyche und Seele, wie reagiere ich auf meine Umwelt, wie fühle ich mich so nah zur Natur? Nicht zuletzt das. Das Erlebnis der Nähe zu einer Natur in ihrer Vielfalt, in ihrer Rauheit, ihrer Schönheit und ihrem Schrecken.
Jetzt habe ich die Gewissheit. Ich bin bereichert wieder hier. Stärker an Körper und Seele. Ich trage etwas in mir, das ich zuvor nicht in mir trug und das ich gerne nach außen vermittle. Gewiss, ich sehe mich nach wie vor als Alpinistin. Bergführerin ist mein Beruf. Aber vielleicht denke ich heute eher in Kategorien der Kunst als in denen des Sports. Die Leistung könnte das Handwerk sein, mein Körper das Werkzeug, mit dem ich an meinem Lebenskunstwerk arbeite. Das wurde mir bewusster, je weiter ich vorstieß. Und es gab auch äußere Zeichen, die mich in die Richtung trugen. Nach den ersten hundert Kilometern auf dem Fahrrad ging der Kilometerzähler kaputt. Ich habe ihn nicht ersetzt. Wozu auch. Verkürzt die Messung die Distanz? Steigern Zahlen die Intensität des Erlebens? In meiner Kindheit hatten wir einen Milchwächter. Ich merkte bald, die Milch kommt nicht früher, sie läuft auch nicht weniger über, wenn der Wächter drin ist. Auf die Achtsamkeit kommt es an. Jeder wacht über seine eigenen Messinstrumente, die sich nicht in Zahlen ausdrücken und weder klappern noch piepsen.
Das verflixte Fahrrad
Der Berg war mir vertraut. Aber das Fahrrad? Wie oft habe ich es verflucht. Um die halbe Welt bin ich damit geradelt, aber es ist keine Liebe daraus gewachsen. In Europa hoffte ich, meiner Klettersucht davonzuradeln. Aber man wird nicht in einem Tag von der Bergführerin zur Radfahrerin. Bis zum Ziel in Punta Arenas habe ich mich nie ganz als Radlerin gefühlt. Schon gar nicht als Extremradlerin. Je heftiger ich dem Berg davonradeln wollte, umso heftiger packte er mich wieder. Ich war in mein Projekt verliebt: in die Idee, aber nicht in die Ausführung.
Das Rad war bloß ein Mittel zum Ziel. Das einzig mögliche Mittel, denn aus eigener Kraft – was wäre außer Wandern sonst noch möglich gewesen? Mein einziges Ziel, das mein Tun definierte, war: aus eigener Kraft Punta Arenas erreichen, diese äußerste größere Stadt der südlichen Hemisphäre. Darüber hinaus kein Programm, kein Leistungstest. Es ging allein ums Erlebnis, und was ich erlebte, nahm ich als Geschenk. Dafür war das Bike am besten geeignet. Ich ahnte, es könnte eine große Erfahrung daraus werden, aber ich wusste nicht, welche.
Die Faszination, die ich beim Klettern empfinde, diese elektrisierende Hellwachsamkeit, bei der es tausend Dinge gleichzeitig wahrzunehmen gilt, diese geistige Vorwegnahme aller Möglichkeiten, aus denen sich die richtigen Entscheide ergeben, das alles hat mir die Radlerei selten gebracht. Am Morgen erwachen und wissen, jetzt sitzt du dann wieder auf diesem Caballo, deinem »Pferd«, und hoffst, du findest Lebensmittel und Wasser, und suchst dir wieder ein verborgenes Plätzchen zum Schlafen. Radfahren droht oft mit etwas Öde und Leere: Man ist in der Tretmühle und gleichzeitig die Tretmühle selbst, schlägt sich den Tag um die Ohren, um müde zu werden und schlafen zu können. Und dann dreht sich immer viel um diesen technischen Kram. Wer hat die schicksten Bremsen, den leichtesten Kettenwechsel, die neueste Federung? Beim Klettern zählt die sorgfältige Vernachlässigung von modischem Tand. Cool ist der Typ mit dem abgewetzten, ausgebleichten T-Shirt, der wie eine Eidechse die Wände hochgeht.
In guten Phasen strömen die Gedanken, die Zeit geht vergessen, und aus dem Stumpfsinn des Strampelns fallen Ideen vom Himmel, für die ich mich beim lieben Gott, der sie mir schenkt, für den Rest meines Lebens bedanke. Ich kam auf Dinge, die mir im Traum nicht eingefallen wären. Schließlich hat mir mein Fahrrad vieles näher gebracht. Ich fand die Nähe zur großen, weiten Welt um mich herum fast mehr, als ich sie suchte: einen Einblick in die Häuser im Dorf, den Duft nach Brot und Kaffee am Morgen, den Duft von Heu an den langen Chausseen, in den Wüsten den Geschmack von Sand auf den Zähnen. »Hi« oder »Hola«, je nachdem, wo ich gerade war. Auf dem Fahrrad fährst du mitten durchs tägliche Leben hindurch, du erlebst einen Querschnitt durch eine Landschaft, eine Stadt, eine Kultur. Je länger ich fuhr, desto deutlicher wurde mir das.
Ach, Europa
Die Strecke von der Grimsel bis Portugal verdränge ich gerne. Sie schenkte mir nur wenige Sternstunden. Zweieinhalbtausend Kilometer. Bis Südfrankreich blieb ohnehin nicht viel hängen. Ich hatte mir da etwas vorgemacht. Das war mehr als ein harmloser Prolog.
Das Fahrrad zeigte mir seine Tücken. Hätte ich üben sollen? Fahrradfahren kann jeder, nicht wahr? Wie im Flug war ich jeweilen von meinem Hubel hinunter nach Innertkirchen gesaust, und leichtfüßig strampelte ich danach die umliegenden Alpenpässe hoch. Reichte das nicht? Wenn nicht, dachte ich, ist der Weg bis zum Südpol lang genug, da würde ich genug zum Üben kommen. Irrtum. Kaum hatte ich den Sturz zu Beginn in den Klickpedalen halbwegs bewältigt, machte mir die Haltung zu schaffen. Der Buckel, der Knick im Nacken, um den Blick zum Horizont zu erheben, und dann der Druck auf die Handgelenke. Vielleicht hätte ich einen noch höheren Lenker wählen sollen. So oder so. Schon nach ein paar Kilometern krabbelten mir Ameisen die Arme hoch. Die Arme wollten sich bewegen. Ich hängte mich an Bäume, machte Klimmzüge, um wieder den Tonus der Muskeln zu spüren, und fragte mich: Warum hänge ich nicht am Berg? Die Erinnerungen hingen wie Banderillas im Fleisch.
In den Bergen wurde es bald ziemlich nass und kalt. Natürlich wusste ich, dass ich in den Herbst hineinfuhr und dass die Herbststürme von Westen her über das Land sausen. Fast täglich einmal luden sie ihre nasse Fracht über mich ab. Immer bei Gegenwind. Ich hatte mit einigem gerechnet, aber mich da drin wiederzufinden, war noch mal etwas anderes. Wenigstens abends hätte ich mich gerne ein bisschen verwöhnt. Mit dem Duft von Seife und einer warmen Dusche vielleicht. Aber die Campingplätze waren schon fast alle geschlossen, sodass ich mich manche Nacht in die Büsche schlug.
Bei dem Wetter schienen die langen, geraden Straßen durch Frankreich noch länger, als sie sowieso sind. Lastwagen, Lärm, Abgase, so weit das Auge reichte, und jenseits des Horizonts vielleicht noch mehr davon. Arme Evelyne. Wollte ich das wirklich? Und hatten vor mir nicht Tausende, wenn nicht Hunderttausende diese Strecken gefahren? Und zwar nicht nur Pilger, für die es Programm war, auf dem Zahnfleisch zu gehen. Kurz, Selbstmitleid war kein Erfolgsrezept.
Das Blümchen
Es war irgendwo zwischen Frankreich und Spanien, am Fuß der Pyrenäen, auf einer dieser Routes Nationales, auf denen die Fernfahrer rollen, um sich den Mautzoll auf den Autobahnen zu sparen. Wind, Kälte, Regen, einmal mehr. Jeder Truck wehte in seinem Heckwirbel den ganzen Dreck der Straße fein zerstäubt auf die Velos am Rand. Auf zwei Rädern hat man auf der Straße stets zu nehmen, was übrig bleibt. An diese Wehrlosigkeit gegenüber dem Recht des Stärkeren hatte ich mich wohl zu gewöhnen. Aber mit dieser Dreckschicht auf der Brille ließ sich beim besten Willen nicht fahren. Und ohne