Heimathafen Hellas. Andreas Deffner

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Heimathafen Hellas - Andreas Deffner

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»Stathmós Leoforíon«, zu dem mich die Linie 051 bringen würde. Der Rest wäre ein Klacks. Aber als ich am hoffnungslos überfüllten, alten Flughafen von Athen ankam, fragte ich mich, ob ich überhaupt jemals das Gebäude verlassen würde. Der seit 1938 in Betrieb befindliche staatliche Flughafen, der erst im Jahr 2001 durch einen neuen, deutlich größeren ersetzt wurde, war in die Jahre gekommen und nicht erst im Jahr 1994 viel zu klein. Erst nach über zwei Stunden hielt ich in einem chaotischen Durcheinander an den Gepäckausgabebändern meine Reisetasche in den Händen. Der Ausweg aus der Ankunftshalle war schon eine Tortur, aber als ich ins Freie trat, schlug der griechische Sommer erbarmungslos zu. Es war zwar September, aber das hinderte das Klima nicht daran, im Hochsommermodus zu verharren. Bereits am Vormittag zeigte das Thermometer knapp 40 Grad. Zwei Soldaten in kompletten Kampfanzügen und mit Maschinengewehren im Anschlag patrouillierten vor dem Flughafengebäude. Alleine ihr Anblick lies den Schweiß nicht nur aus meinen Stirnporen fließen. Schräg gegenüber auf dem Parkplatz stand ein kleines Panzerfahrzeug der Armee. Zugegeben, ich war etwas eingeschüchtert. Die Griechen legten offenbar großen Wert auf Sicherheit und fürchteten scheinbar selbst in der größten Sommerhitze stets einen türkischen Angriff. Mir erschien das etwas übertrieben und ich besann mich lieber auf das Wesentliche.

      Nach kurzem Suchen fand ich eine Bushaltestelle und auf meine in Englisch an eine ältere Dame gerichtete Frage, ob der Bus nach Omónia fahren würde, drehten sich etwa fünfzehn Personen um, die mir alle zeitgleich und wild durcheinander gestikulierend bestätigten, dass ich auf dem richtigen Weg sei.

      »Ne, ne, ne Omónia.«

      Gut, dass ich mich sofort daran erinnerte, dass das griechische ναι (ne) ja bedeutet.

      »Yes, this bus goes to the Syntagma-Square.« »To the city centre, of course!« Die unterschiedlichen Ortsangaben verwirrten mich zwar, dennoch stieg ich in den gut gefüllten Bus, dessen Ziel ja offenbar das Stadtzentrum sein musste. Es war heiß und stickig, Klimaanlagen hatten damals nur wenige Busse. Meiner jedenfalls nicht. Am Syntagma-Platz, neben dem Parlamentsgebäude, wurde das Gedränge im alten gelben Omnibus noch hektischer. Touristen stiegen ebenso ein und aus, wie zahlreiche Einheimische. Einige der am Flughafen mit mir eingestiegenen Griechen riefen mir nun wieder etwas zu. Ich müsse hier umsteigen, verstand ich. Und so wechselte ich kurzerhand von einem alten gelben Bus in einen anderen, der nur wenige Minuten später an derselben Haltestelle abfuhr. Bis Omónia waren es nur wenige Haltestellen, trotzdem dauerte es durch den Dauerstau im Athener Zentrum eine gefühlte Ewigkeit. Diesmal war es der freundliche Busfahrer, der mir kurz vor meinem Ziel Bescheid gab: »An der nächsten Haltestelle musst du raus. Schönen Tag und gute Reise!« So stand ich Stunden nach meiner Ankunft in Athen endlich am Omónia-Platz. Durchgeschwitzt, durstig und hungrig. An dem zentralen Platz des alten Athener Stadtzentrums wimmelte es nur so von Menschen jeden Alters und jeder erdenklichen Hautfarbe. Fliegende Händler boten Uhren feil, an kleinen Ständen wurden Sonnenbrillen, Ledergürtel, Fußballtrikots oder Sesamkringel verkauft und am Straßenrand des Kreisverkehrs reckten verzweifelt Fußgänger Hände in die Höhe, mit denen sie versuchten, eines der unzähligen, vorbeieilenden gelben Athener Taxis anzuhalten. In diesem Tumult landete ich mit meiner viel zu schweren Tasche. Angesichts der Temperaturen war die rollenlose Reisetasche verflucht schwer zu schleppen. Vermutlich war es ein Grieche, der die damals noch kaum verbreiteten rollbaren Trolley-Koffer erfunden hatte. Ich schwitzte, und nun begann die Suche nach dem Bus der Linie 051. Nachdem ich einmal um den gesamten Platz gelaufen war und an keiner der zahlreichen Haltestellen einen Hinweis auf die richtige Linie gefunden hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als zu fragen. Irgendwann gelang es mir einen älteren Herrn zu finden, der den Bus zum Busbahnhof kannte. Die Haltestelle sei aber nicht direkt am Omónia-Platz, erfuhr ich von ihm. »Sie müssen hier vorne die Hauptstraße hinab und dann an der dritten Straße nach links abbiegen.« Ich bedankte mich bei dem freundlichen Herrn, verfluchte mein Reisegepäck und schleppte mich weiter durch die Athener Hitze. Tatsächlich fand ich die Haltestelle, musste aber noch eine ganze Weile auf den nächsten Bus warten. An einem Períptero, einem der unzähligen Kioske am Straßenrand, kaufte ich mir eine Flasche Wasser, die ich in einem Schluck leerte. Als sich schließlich der Bus näherte, bekam ich Sorge, dass ich meine Weiterfahrt ohne meine verdammte Tasche antreten müsste. Denn im Inneren des alten blau-weißen MAN-Gefährts standen Menschen dicht aneinandergedrängt. Es gelang mir dann doch irgendwie einen Stehplatz für mich und meine Tasche zu ergattern, der genau unter einem Haltegriff einem schmalen Menschen knapp Platz bot. Instinktiv griff ich, als der Bus anfuhr, mit meiner schwitzigen Hand nach der porösen Plastikschlaufe. Etwa dreißig von ihnen mochte es in dem Bus geben. Die allermeisten waren frei und baumelten von einer Längsstange herab über den vielen Köpfen der Insassen. Als meine Hand in die Schlaufe glitschte, wurde mir bewusst, warum niemand außer mir und der uralten Frau neben mir sich daran festhalten wollte. Ein schlüpfrig-klebriges Gefühl, wie es nur Generationen getrockneter Schweißschichten auf uraltem, porösem Plastik verursachen können. Mit einem Schlag war meine völlig durchgeschwitzte Kleidung an meinem erschöpften Körper nur noch ein Nebenproblem. Wie angewurzelt stand ich nun stocksteif im Gedränge des Busses, blickte zuerst auf meine Hand, dann auf diejenige, die in der Nachbarschlaufe verkrallt war. Sie gehörte zu der etwa 80-jährigen Frau neben mir, die sich krampfhaft daran festhielt, obwohl ein Umfallen im Bus aufgrund der Menschenmenge schlichtweg unmöglich war. Ein unangenehmer Geruch drang in meine Nase. Alter Schweiß mit einer Nuance Knoblauch und einem Hauch alten Tabakqualms, der sich in selten gewaschener Kleidung sammelt. Mein Blick wanderte den altersfleckigen Arm der Alten hinab und in der freien Achselhöhle sah ich ein dichtes, altersgraues Haarbüschel. Mitten im Leben, ging es mir durch den Kopf, und gleichzeitig so kurz davor aus demselben zu treten. Während mir der Schweiß auf der Stirn stand und über den Rücken in die Unterhose tropfte, blieb die alte Frau neben mir völlig trocken. Keine einzige Schweißperle war zu sehen, obwohl sich der Geruch desselben im Bus beißend ausgebreitet hatte. Die Frau guckte nun gutmütig und gelassen zu mir. Sie lächelte und es sah so aus, als wollte sie sagen: »Ach mein Junge, es sind doch nur noch zwei Haltestellen. Halte durch!« Und in der Tat: Ich überlebte und am Busbahnhof fiel ich halb bewusstlos fast aufs Pflaster.

      Mit letzter Kraft wankte ich ins klimatisierte, alte Gebäude der KTEL, der griechischen Überlandbusgesellschaft. In der Halle blickte ich auf gut und gerne zwanzig bis dreißig Ticketschalter. Über den kleinen Glaskabinen war jeweils ein Schild mit einem Stadtnamen angebracht. Mit den Überlandbussen, die seit den 50er-Jahren ganz Griechenland befahren und seit 1973 als Gemeinschaftsunternehmen KTEL firmieren, erreichte man fast jede Ecke des Landes. Dennoch war ich angesichts der vielen Ortsnamen beeindruckt. Ich hatte den Schalter mit der Überschrift »Náfplion« bereits beim Eintreten gesehen. Und ich war überrascht, dass scheinbar für jede Destination ein eigener Fahrkartenschalter vorgehalten wurde. Hinter den allermeisten langweilten sich augenscheinlich die Angestellten. Ich hingegen reihte mich in die Schlange derjenigen ein, die nach Náfplion oder Argos wollten. Stündlich fuhren die Busse ab. Als ich an der Reihe war, war noch eine gute halbe Stunde Zeit bis zur Abfahrt des Busses. Auf Englisch bestellte ich einen Fahrschein nach Náfplion und war erstens überrascht, wie preiswert das Ticket war und zweitens wie unproblematisch es mir gelungen war, es zu kaufen. Die Dame hinter dem Tresen druckte mir einen blau-weißen, länglichen Fahrschein aus, auf dem das Ziel, eine Sitzplatznummer und die Abfahrtszeit angegeben waren. Ich stutzte beim Anblick der aufgedruckten Abfahrtszeit. Schnell wendete ich mich wieder der Schalterdame zu.

      »Ich wollte mit dem Bus fahren, der in einer halben Stunde abfährt«, sagte ich zu ihr. Sie nickte wissend und antwortete:

      »Ja, ich weiß, aber der Bus ist schon voll. Der nächste kommt dann in eineinhalb Stunden.«

      Ich muss ein wenig verstört geguckt haben, denn die nächsten Wartenden in der Reihe schauten mich mitleidig an. Von den Strapazen der bisherigen Anreise gezeichnet und von der Hoffnung auf einen baldigen Bus enttäuscht, räumte ich schweren Mutes den Platz am Fahrkartenschalter. Im hinteren Teil des Busbahnhofgebäudes gab es neben einigen Verkaufsständen auch ein Café in Wartehallenatmosphäre par excellence, ein echtes griechisches Kafeneíon eben. An den kleinen, runden Kaffeehaustischen saßen Reisende neben ihren vollgepackten Taschen, Koffern, Kisten

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