Kehrseite der Geschichte unserer Zeit. Оноре де Бальзак
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Da starb sein Vater. Weil die alte Mutter mit einer Rente von zweitausend Franken auskommen konnte, so überließ sie ihm fast das ganze Vermögen. Mit fünfundzwanzig Jahren im Besitz einer Rente von zehntausend Franken hielt er sich für reich und war es auch im Vergleich mit seinen bisherigen Verhältnissen. Bis dahin war sein Leben von einem Handeln ohne Energie, von ohnmächtigen Ansprüchen erfüllt; um mit seiner Zeit mitzugehen, um zu handeln und eine Rolle zu spielen, versuchte er es jetzt, in irgendeinen Gesellschaftskreis mit Hilfe seines Vermögens hineinzugelangen. Er stieß zuerst auf den Journalismus, der ja stets seine Arme dem ersten besten Kapital, das sich ihm nähert, entgegenstreckt. Besitzer einer Zeitung sein, das bedeutet, dass man eine Persönlichkeit geworden ist: man beutet die Intelligenz der andern aus und genießt die Annehmlichkeiten ihrer Stellung, ohne ihre Arbeit verrichten zu müssen. Nichts ist für untergeordnete Köpfe verlockender, als so, auf die Fähigkeiten anderer gestützt, emporzukommen. Paris hat mehrere solcher Parvenüs erlebt, deren Erfolg eine Schande für ihre Zeit und für diejenigen ist, die sich zu solchen Diensten hergegeben haben.
In dieser Sphäre wurde Gottfried von dem groben Machiavellismus der einen oder der Verschwendung der andern, von reichen ehrgeizigen Kapitalisten oder geistvollen Redakteuren in den Schatten gestellt; er wurde aber bald in das ungebundene Leben, zu dem die Beschäftigung mit der Literatur und der Politik Anlass gibt, hineingezogen, in das Treiben der Kritiker hinter den Kulissen und in die Zerstreuungen, die stark beschäftigte geistige Arbeiter brauchen. Er bewegte sich also in schlechter Gesellschaft, wo man ihm übrigens klar machte, dass er ein unbedeutendes Gesicht habe und dass eine seiner Schultern sichtlich höher sei als die andere, ohne dass dieses Missverhältnis durch Bosheit oder durch Herzensgüte wettgemacht würde. Mit dem schlechten Ton machen sich die Künstler im voraus bezahlt, wenn sie die Wahrheit sagen. Klein, schlecht gewachsen, ohne Geist und ohne klares Ziel – damit war einem jungen Mann das Urteil gesprochen in einer Zeit, wo in jeder Karriere der Erfolg selbst bei höchsten Fähigkeiten noch vom Glück abhängig ist oder von der Hartnäckigkeit, die das Glück herbeiruft.
Die Revolution von 1830 war Balsam für Gottfrieds Wunden, und er fasste wieder den Mut zu hoffen, der dem Mut der Verzweiflung gleichkommt; er ließ sich, wie so viele unbekannte Journalisten, einen Posten in der Verwaltung übertragen, auf dem ihn seine liberalen Anschauungen, die in Widerspruch zu den Anforderungen der neuen Regierung gerieten, zu einem widerspenstigen Instrument machten. Vom Liberalismus durchdrungen, verstand er nicht, wie verschiedene hervorragende Männer, sich für die Partei zu entscheiden. Den Ministern gehorchen, das hieß für ihn, seine Ansichten wechseln. Außerdem schien ihm die Regierung den Prinzipien, auf Grund deren sie ans Ruder gekommen war, nicht zu entsprechen. Gottfried bekannte sich als Anhänger des »Fortschritts«, als es darauf ankam, diesen aufzuhalten, und er kehrte fast arm, aber den Doktrinen der Opposition getreu, nach Paris zurück.
Erschreckt durch die Übergriffe der Presse und noch mehr erschreckt durch die Attentate der republikanischen Partei, zog er sich in das Dasein zurück, das allein für den passt, dessen Begabung mangelhaft ist, der keine Kraft fühlt, um den starken Stürmen des politischen Lebens standzuhalten, dessen Leiden und Kämpfe sich geräuschlos abspielen, der durch das Scheitern seiner Pläne ermattet ist, der keine Freunde hat, weil Freundschaft hervorragende Vorzüge oder Mängel verlangt und der ein mehr unklares als tiefes Empfinden besitzt. War das nicht das einzige, was einem jungen Menschen übrigblieb, den die Erwartung von Freuden schon mehrfach getäuscht hatte und den die Berührung mit einer ebenso unruhigen wie beunruhigenden Gesellschaft bereits hatte altern lassen?
Seine Mutter, deren Leben in dem friedlichen Dorfe Auteuil zu Ende ging, rief ihren Sohn zu sich, einerseits um ihn bei sich zu haben, dann aber auch, um ihm einen Weg zu weisen, auf dem er das gleichmäßige harmlose Glück finden konnte, das für solche Seelen angemessen ist. Sie hatte schließlich Gottfrieds Wesen richtig erkannt, da sie sah, wie er mit achtundzwanzig Jahren so viel Vermögen eingebüßt hatte, dass seine Rente nur noch viertausend Franken betrug, wie seine Wünsche kraftlos geworden, seine angeblichen Fähigkeiten erschöpft, seine Arbeitskraft erloschen, sein Ehrgeiz gedemütigt und sein Hass gegen alles, was berechtigterweise emporkam, durch seine getäuschten Hoffnungen nur noch verstärkt war. Sie versuchte, Gottfried mit einem jungen Mädchen, der einzigen Tochter eines Kaufmannsehepaars, das sich vom Geschäft zurückgezogen hatte, zu verheiraten, die sollte der kranken Seele ihres Sohnes Hilfe bringen; aber der Vater besaß jenen nüchtern rechnenden Verstand, der einen früheren Kaufmann bei der Festsetzung von Ehekontrakten nicht im Stiche lässt, und nachdem Gottfried ein Jahr lang als Nachbar sich um das Mädchen bemüht hatte, wurde sein Antrag abgelehnt. Nach der Ansicht dieser eingefleischten Bourgeois' musste der Bewerber in Anbetracht seines früheren Lebens ein durchaus unmoralischer Mensch sein; außerdem hatte er im Verlaufe dieses Jahres noch mehr von seinem Kapital verbraucht, weil er den Eltern zu imponieren und der Tochter zu gefallen wünschte. Diese, übrigens sehr verzeihliche Prunksucht gab den Ausschlag für die Ablehnung von Seiten einer Familie, bei der eine solche Verschwendung Schrecken erregte, nachdem sie erfahren hatte, dass Gottfried in sechs Jahren hundertfünfzigtausend Franken von seinem Vermögen verlorengegangen waren.
Dieser Schlag traf sein schon so schwer verwundetes Herz um so stärker, als das junge Mädchen durchaus keine Schönheit war. Gottfried hatte aber, von seiner Mutter darauf hingewiesen, an seiner Zukünftigen ein ernsthaftes Wesen und den großen Vorzug eines gesunden Verstandes schätzen gelernt; er hatte sich an ihr Gesicht gewöhnt und sich in seinen Ausdruck vertieft, er liebte den Klang ihrer Stimme, ihr Gebaren und ihren Blick. Diese Neigung war sein letzter Einsatz für seine Lebensaussichten gewesen; um so bitterer war seine Enttäuschung. Als die Mutter nun starb, sah er, dessen Bedürfnisse sich dem steigenden Luxus angepasst hatten, sich im Besitze von fünftausend Franken Rente als ganzem Einkommen und der Gewissheit, niemals irgendeinen Verlust wieder gutmachen zu können, da er sich unfähig fühlte, den Fleiß zu entwickeln, den das furchtbare Wort: »Geldverdienen« erfordert.
Eine solche ungeduldige und grämliche Schwachmütigkeit kann sich nicht entschließen, sogleich klein beizugeben. Daher versuchte Gottfried während seiner Trauerzeit in Paris sein Glück: er speiste an der Table d'hôtel, ließ sich in unvorsichtiger Weise mit Fremden ein, verkehrte in der Gesellschaft und fand nur Gelegenheiten, Geld auszugeben. Wenn er auf den Boulevards spazierenging, litt er innerlich so sehr, dass schon der Anblick einer von einer heiratsfähigen Tochter begleiteten Mutter ihm die gleiche schmerzhafte Empfindung verursachte wie der eines jungen Mannes, der ins Bois ritt, oder eines Parvenüs in einer eleganten Equipage oder eines ordengeschmückten Beamten. Das Bewusstsein seiner Ohnmacht sagte ihm, dass er weder auf eine anständige Stellung zweiten Ranges noch auf irgendeinen unschwer auszufüllenden Platz hoffen dürfte; und er besaß ein genügendes Feingefühl, um dadurch beständig verletzt zu werden, und genug Geist, um Trauerlieder voller Galle darüber anzustimmen.
Unfähig zum Kampfe mit den Dingen und sich bewusst, dass er wohl eine höhere Begabung besitze, aber nicht die Willenskraft, sie in Tätigkeit umzusetzen, in dem Gefühl dieser Unvollkommenheit ohne Kraft, etwas Großes zu unternehmen, wie ohne Widerstand gegen die Ansprüche, die er von seinem früheren Leben, seiner Erziehung und seiner Sorglosigkeit her beibehalten hatte, wurde er von mehreren krankhaften Zuständen aufgezehrt, von denen ein einziger genügt hätte, einem jungen Manne, der den religiösen Glauben verloren hatte, das Dasein zu vergällen. Und so zeigte Gottfried jenes Gesicht, das man bei so vielen Männern findet, dass es für den Pariser typisch geworden ist; man liest auf ihm getäuschten oder erloschenen Ehrgeiz, durch das tägliche Schauspiel des Pariser öffentlichen Lebens genügend beschäftigten und dadurch abgestumpften Hass, eine Blasiertheit, die nach Anreiz verlangt, ein Sichbeklagen ohne Berechtigung, eine Grimasse der Kraftanstrengung, eine von früheren Misserfolgen