Tante Lisbeth. Оноре де Бальзак
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Honoré de Balzac
Tante Lisbeth
Impressum
Bearbeitung, Covergestaltung: Ferro Tranke
Digitalisierung: K.M. Michel
ISBN: 9783955014926
2013 andersseitig.de
andersseitig Verlag
Dresden
www.andersseitig.de
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I
Es war um die Mitte des Juli im Jahre 1838. Ein dicker Herr mittlerer Größe in der Uniform eines Hauptmanns der Bürgerwehr fuhr in einer der damals unlängst in Paris Mode gewordenen Droschken, die man »Mylords« nannte, durch die Rue de l'Université.
Unter den angeblich so geistreichen Parisern gibt es Männer, die sich in Uniform unsagbar besser gefallen als in ihrer gewöhnlichen Tracht. Dabei trauen sie den Frauen einen so schlechten Geschmack zu, dass sie sich einbilden, der Anblick eines Waffenrocks und einer Bärenmütze mache einen unwiderstehlichen Eindruck auf sie.
Die Mienen des Hauptmanns – er war von der zweiten Legion – strahlten vor Selbstzufriedenheit. Seine rote Gesichtsfarbe und seine Pausbacken leuchteten mit. Angesichts dieses Glorienscheines – einer Eigentümlichkeit reichgewordener Krämer, die sich zur Ruhe gesetzt haben – wusste man sofort, dass man einen der Auserwählten von Paris, zum mindesten einen gewesenen Stadtrat vor sich hatte. Auch fehlte das Bändchen der Ehrenlegion auf dieser preußisch-schneidigen Heldenbrust nicht. In hochmütiger Haltung lehnte der Ordensträger in der Ecke seines »Mylord« und ließ den Blick über die Leute auf der Straße hingleiten. In Paris empfängt man so oft ein freundliches Lächeln, das fernen schönen Augen gilt.
Der Wagen hielt zwischen der Rue de Bellechasse und der Rue de Bourgogne vor dem Tor eines großen neuerbauten Hauses. Es stand auf einem Teil eines alten Gartengrundstücks. Das alte Gebäude selbst hatte man verschont; bescheiden wie es war, fristete es sein Dasein im Hintergrunde des nunmehr um die Hälfte geschmälerten Hofes.
Schon an der Art und Weise, wie der Hauptmann beim Aussteigen die Hilfeleistung des Kutschers in Anspruch nahm, konnte man den Fünfziger erkennen. Es gibt gewisse Gebärden, deren unverhohlene Schwerfälligkeit ganz so indiskret ist wie ein Geburtsschein. Der Hauptmann zog seinen rechten gelben Handschuh wieder an und betrat, ohne sich um den Pförtner zu kümmern, die kleine Freitreppe vor dem Hause mit dem Gebaren des Eigentümers. Die Pariser Portiers haben feine Nasen; es fällt ihnen nicht ein, mit Orden und in Uniform einherstolzierende Leute anzuhalten. Kurz, sie kennen den Reichen.
Das ganze Erdgeschoss des Hauses bewohnte der Baron Hulot von Ervy. Während der Republik war er Oberkriegskommissar gewesen, dann Generalintendant der Armee, schließlich war er Chef einer der wichtigsten Abteilungen im Kriegsministerium geworden, Staatsrat, Großoffizier der Ehrenlegion und anderes mehr. Dieser Baron Hulot hatte seinem Namen das »von Ervy« – er stammte aus Ervy – eigenmächtig hinzugesetzt, um sich von seinem Bruder zu unterscheiden, dem berühmten General Hulot, ehemaligem Obersten der Kaiserlichen Gardegrenadiere, den Seine Majestät nach dem Feldzuge von 1809 zum Grafen von Pforzheim ernannt hatte. Der ältere Bruder, der Graf, der bei seinem jüngeren Bruder den Vater vertreten musste, hatte ihn fürsorglich bei der Heeresverwaltung untergebracht. Des Bruders sowie seiner eigenen Verdienste wegen war Hektor von Hulot Baron und Günstling Napoleons geworden und 1807 – wie gesagt – Generalintendant der Armee in Spanien.
Nach dem Läuten strich sich der Bürgergardist mit peinlicher Sorgfalt seinen Waffenrock glatt, der sich dem stattlichen Bäuchlein zuliebe hinten wie vorn wellenförmig hinaufgeschoben hatte. Sobald ihn der Diener in Livree wahrnahm, ward er eingelassen. Der gewichtig-wichtige Mann folgte dem Lakaien, der ihn beim öffnen der Salontür meldete:
»Herr Crevel!«
Beim Hören dieses Namens, der ins Deutsche übersetzt etwa »Bäuchling« lauten würde, also wundervoll zu der äußeren Erscheinung seines Trägers passte, schien die große blonde, noch vorzüglich aussehende Dame, die im Salon saß, einen elektrischen Schlag zu erhalten. Sie fuhr auf.
»Hortense! Kindchen! Geh mit Tante Lisbeth in den Garten!«
Diese lebhaft gesprochenen Worte galten ihrer Tochter, die unweit von ihr saß und stickte. Fräulein Hortense von Hulot grüßte den Eintretenden anmutig und entfernte sich durch die Glastür, begleitet von einer alten Jungfer, die viel älter aussah als die Baronin, obgleich sie fünf Jahre jünger war.
»Man bespricht deine Heiratsangelegenheit!« flüsterte Tante Lisbeth ihrer jungen Verwandten ins Ohr, anscheinend durchaus nicht gekränkt von der Art, mit der die Baronin beide hinausgeschickt hatte, wobei sie nur nebenbei erwähnt worden war. Aber schon die Kleidung der »Tante Lisbeth« erklärte diese Nichtachtung. Das altjüngferliche Mädchen trug ein rotbraunes Wollkleid von altmodischem Schnitt und Ausputz, eine gestickte Halskrause, die drei Francs gekostet haben mochte, und einen Strohhut mit blauen strohgeränderten Atlasschleifen besetzt, wie ihn die Marktweiber tragen. Ihre grobledernen Schuhe, deren Form auf den gewöhnlichsten Schuster schließen ließ, hätten keinen Fremden auf den Einfall gebracht, in dieser Tante Lisbeth eine Verwandte des Hauses zu erblicken. Sie sah ganz und gar aus wie eine Nähmamsell auf Tagelohn. Trotzdem verließ die alte Jungfer das Zimmer nicht, ohne dem dicken Crevel leichthin einen zärtlichen Gruß zuzuwerfen, der mit einem verständnisvollen Nicken erwidert ward.
»Sie kommen doch morgen, Fräulein Fischer?«
»Wird sonst noch jemand da sein?« antwortete Tante Lisbeth. »Meine Kinder und Sie! Weiter niemand«, entgegnete der Besucher.
»Gut! Dann rechnen Sie auf mich.«
»Gehorsamst zur Stelle, gnädige Frau!« begann der Hauptmann von der Bürgerwehr, indem er sich nochmals vor der Baronin Hulot verbeugte und ihr einen Blick zuwarf wie Tartüff der Elmira auf irgendeiner Provinzbühne.
»Wenn Sie mir dorthinein folgen wollen, Herr Crevel, werden wir die Angelegenheit besser besprechen können als hier im Salon«, sagte Frau von Hulot, indem sie nach dem benachbarten Gemach wies, dem Spielzimmer.
Dieser Raum war nur durch eine dünne Wand vom Damenzimmer getrennt, dessen Fenster nach dem Garten hinausging. Die Baronin ließ Crevel einen Augenblick allein. Es schien ihr angebracht, im Damenzimmer Tür und Fenster zu schließen, damit dort niemand horchen könne. Aus gleicher Vorsicht schloss sie die Glastür im großen Salon, wobei sie ihrer Tochter und der Tante zuwinkte, die sie in einer verwilderten Laube im Garten sitzen sah. Die Tür zwischen Salon und Spielzimmer ließ sie offen, um zu hören, wenn jemand den Salon betrat.
Wie die Baronin unbeobachtet so hin und her ging, spiegelten sich alle ihre Gedanken in ihren Mienen. Wer sie beobachtet hätte, wäre vor ihrer Erregtheit erschrocken. Als sie jedoch wieder in der Tür des Spielzimmers erschien, hüllte sich ihr Gesicht in jene undurchdringliche Selbstbeherrschung, über die alle Frauen, selbst die offenherzigsten, wie auf Befehl verfügen.
Während dieser zum mindesten sonderbaren Vorbereitungen musterte Crevel die Einrichtung des kleinen Salons, in dem er sich befand. Er besah sich die seidenen Vorhänge, die, einstmals rot, unter dem Einflusse des Sonnenlichts violett und durch den langen Gebrauch in den Falten fadenscheinig geworden waren. Die Farben des Teppichs waren verschossen, die Vergoldung der Möbel blind, der Atlas der Bezüge fleckig und an den