Die Lilie im Tal. Оноре де Бальзак

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Die Lilie im Tal - Оноре де Бальзак

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Monsieur de Chessel genoss sein Vermögen mit einem Aufwand, an dem sich einige seiner Nachbarn stießen. Er konnte es sich leisten, seine schönen Pferde und eleganten Wagen immer wieder zu ersetzen; seine Frau trug ausgesucht schöne Toiletten. Er machte ein großes Haus, und seine Dienerschaft war zahlreicher, als es die hergebrachten Sitten des Landes zuließen. Er spielte sich ein wenig als Fürst auf ... Das Gebiet von Frapesle war riesengroß. Dem Luxus seines Nachbarn gegenüber musste sich der Comte de Mortsauf mit einem simplen Familienwagen begnügen, der in der Touraine ein Mittelding zwischen Omnibus und Postkutsche ist. Seine Vermögenslage nötigte ihn, Clochegourde so ertragreich wie möglich zu machen; und so blieb er ein bescheidener Grundbesitzer, wie es in der Touraine viele gibt, bis zu dem Tage, wo königliche Gunst seiner Familie einen Glanz verlieh, auf den er vielleicht nicht einmal mehr gehofft hatte. Durch die Art, wie er den jüngeren Sohn einer verarmten Familie empfing, deren Wappen man aber schon zur Zeit der Kreuzzüge gekannt hatte, setzte er den Wert seines großen Vermögens herunter und demütigte seinen Nachbarn, der Wälder, Felder und Wiesen besaß, aber nicht von altem Adel war. Monsieur de Chessel hatte den Comte wohl verstanden. So verkehrten sie auch späterhin immer sehr höflich miteinander, ohne dass es zwischen ihnen zu den regelmäßigen Beziehungen und dem herzlichen Verhältnis gekommen wäre, die zwischen Clochegourde und Frapesle hätten bestehen sollen; waren doch die Gebiete nur durch die Indre getrennt, so dass beide Schlossherrinnen sich von ihren Fenstern hätten zuwinken können.

      Neid war nicht der einzige Grund der Einsamkeit, in die der Comte de Mortsauf sich verschanzte. Seine erste Erziehung war die der meisten Söhne aus vornehmen Familien: ein unvollständiger, oberflächlicher Unterricht, zu dem gesellschaftlicher Drill, höfische Bräuche, Ausübung großer Hofämter oder die Bürden hoher Staatsstellen als ergänzende Erziehungsmittel hinzukamen. Monsieur de Mortsauf war gerade in dem Augenblick ausgewandert, als diese seine zweite Erziehung hätte beginnen sollen; sie fehlte ihm. Er gehörte zu denen, die an eine schnelle Wiederherstellung der Königsgewalt glaubten, und dank dieser Überzeugung war sein Exil eine Zeit jämmerlichen Nichtstuns gewesen. Als die Armee Condés sich auflöste, in der er sich durch seine Tapferkeit außerordentlich hervorgetan hatte, rechnete er damit, bald wieder unter der weißen Fahne kämpfen zu können, und versuchte auch gar nicht, sich wie andere Emigranten durch Arbeit eine neue Existenz zu gründen. Vielleicht hielt ihn auch die Furcht, seinen Namen zu kompromittieren, davon ab, sein Brot durch entwürdigende Arbeit im Schweiße seines Angesichts zu verdienen. Seine immer auf morgen gerichteten Hoffnungen, vielleicht auch seine Ehre, hielten ihn davon ab, in den Dienst einer fremden Macht zu treten. Das Elend untergrub seinen Mut. Lange Märsche mit leerem Magen und am Ziel stets getäuschte Erwartungen schadeten seiner Gesundheit und entmutigten ihn. Nach und nach geriet er in die ärgste Armut. Während das Elend für viele Menschen ein Kräftigungsmittel ist, wirkt es auf andere zersetzend, und zu diesen gehörte der Comte de Mortsauf. Wenn ich an den armen Edelmann der Touraine dachte, wie er durch Ungarn streifte, einen Fetzen Hammelfleisch mit den Hirten des Fürsten Esterházy teilte, wie er sie als Fremdling um das Stück Brot bat, das der Edelmann von ihrem Herrn nicht angenommen hätte, und es manchesmal zurückstieß, wenn es ihm von Feinden Frankreichs geboten wurde, sooft ich daran dachte, schwand in mir der Hass gegen den Emigranten, selbst wenn ich sah, dass er sich in seinem Triumph lächerlich machte. Die weißen Haare Monsieur de Mortsaufs sprachen von grässlichen Leiden, und ich habe zuviel Mitgefühl für den Verbannten, als dass ich ihn verurteilen könnte.... Die französische Heiterkeit versiegte beim Comte, er wurde mürrisch und krank und fand in irgendeinem deutschen Hospiz aus Gnade und Barmherzigkeit Pflege. Er litt an einer Bauchfellentzündung, einer meist tödlichen Krankheit, die im Falle der Heilung oft das Wesen eines Menschen verändert und häufig Hypochondrie zur Folge hat. Seine Liebesabenteuer, die tief in seiner Seele eingesargt waren und die ich allein entdeckt habe, wären niedrigster Art, sie zehrten an seiner Lebenskraft und lähmten ihn. Nach zwölf Jahren tiefsten Elends wandte er seine Blicke nach Frankreich, wohin zurückzukehren ihm Napoleons Dekret erlaubte. Als der kranke Wanderer den Rhein überschritt und an einem schönen Abend den Turm des Straßburger Münsters auftauchen sah, brach er zusammen.

      »›Frankreich! Frankreich!‹ rief ich aus. ›Endlich Frankreich!‹ – wie ein verwundetes Kind ›Ach, Mutter!‹ schreit.« So erzählte er mir.

      Vor seiner Geburt war er reich; als Armer betrat er Frankreichs Boden. Geschaffen, um ein Regiment zu befehligen oder einen Staat zu lenken, stand er da, machtlos und ohne Zukunft. Obwohl von Geburt gesund und kräftig, kehrte er nun krank und verbraucht zurück. In einem Lande, wo Menschen und Dinge fortgeschritten waren, konnte er ohne Bildung notgedrungen keinerlei Einfluss ausüben. Er war aller Mittel beraubt, selbst der körperlichen und seelischen Kräfte. Die Armut ließ ihn seinen Namen als eine Last empfinden. Seine unerschütterlichen Überzeugungen, seine Dienstzeit in der Armee Condés, seine Sorgen, seine Erinnerungen, seine verlorene Gesundheit verliehen ihm eine Reizbarkeit, die in Frankreich, dem Lande der Spottlust, wenig geschont wurde. Halbtot gelangte er in die Maine, wo durch einen Zufall, der vielleicht mit dem Bürgerkriege zusammenhing, die revolutionäre Regierung vergessen hatte, ein ausgedehntes Gut zu verkaufen, dessen Pächter es für den Comte verwaltete, indem er vorgab, selbst der Eigentümer zu sein. Als die Familie Lenoncourt, die Givry, ein Schloss in der Nähe jenes Gutes, bewohnte, die Ankunft des Comte erfuhr, schlug ihm der Duc de Lenoncourt vor, in Givry zu wohnen, bis sein Haus wieder instand gesetzt wäre. Die Familie Lenoncourt erwies sich edel und großmütig gegen den Comte, der sich dort während eines mehrmonatigen Aufenthalts erholte und sein mögliches tat, um während dieses ersten Aufenthalts seine Schmerzen zu verbergen. Die Lenoncourts hatten ihre riesigen Besitztümer verloren. Mit seinem Namen war Monsieur de Mortsauf eine standesgemäße Partie für ihre Tochter. Statt sich der Verheiratung mit einem fünfunddreißigjährigen kränklichen und gealterten Manne zu widersetzen, schien Mademoiselle de Lenoncourt im Gegenteil beglückt darüber. Die Ehe verschaffte ihr das Recht, mit ihrer Tante, der Duchesse de Verneuil, der Schwester des Prince de Blamont-Chauvry, zu leben, die für sie eine Adoptivmutter war.

      Madame de Verneuil war eine vertraute Freundin der Duchesse de Bourbon und gehörte einem religiösen Klub an, dessen Seele Monsieur Saint-Martin war, der aus der Touraine stammte und den Beinamen >der unbekannte Philosoph< führte. Die Jünger dieses Philosophen übten die Tugenden, die die hohen Spekulationen der Mystiker vorschreiben. Diese Lehre liefert einen Schlüssel zur jenseitigen Welt, erklärt das Dasein als eine Reihe von Wandlungen, durch die der Mensch allmählich zu seiner höchsten Bestimmung gelangt, nimmt dem Gehorsam das Entwürdigende der Pflichterfüllung, trägt in die Mühen des Lebens eine unwandelbare Quäkergelassenheit und verordnet Geringschätzung des Leidens, indem sie so etwas wie ein mütterliches Gefühl eingibt für den Engel in uns, den wir gen Himmel tragen. Es ist eine Art Stoizismus, der ein Jenseits kennt. Tatkräftiges Beten und reine Liebe sind die Elemente jenes Glaubens, der sich vom Katholizismus der römischen Kirche trennt und zum primitiven Christentum zurückkehrt. Mademoiselle de Lenoncourt blieb nichtsdestoweniger im Schoß der apostolischen Kirche, der ihre Tante stets treu ergeben war. Durch die Stürme der Revolution hart geprüft, hatte die Duchesse de Verneuil in den letzten Tagen ihres Lebens eine leidenschaftliche Frömmigkeit an den Tag gelegt, die – wie Saint-Martin sich ausdrückt – in die Seele ihres geliebtes Kindes >das Licht himmlischer Liebe< und >das Öl innerer Wonne< goss. Nach dem Tode ihrer Tante, bei der Saint-Martin viel verkehrt hatte, beherbergte die Comtesse mehrmals diesen Mann des Friedens und der Tugendweisheit. Von Clochegourde aus überwachte Saint-Martin das Erscheinen seiner letzten Bücher, die bei Letourmy in Tours gedruckt wurden. Erleuchtet durch die Weisheit alter Frauen, die des Lebens stürmische See kennen, vermachte Madame de Verneuil der jungen Frau Clochegourde; um ihr auf diese Weise ein Heim zu schaffen. Mit der anmutigen Opferfreudigkeit edler Greise trat die Duchesse alles, was sie besaß, an ihre Nichte ab und begnügte sich mit einem Zimmer über dem, das sie früher bewohnt hatte und das jetzt das Zimmer der Comtesse war. Ihr unerwarteter Tod warf Trauerschleier über die Freuden dieses Bundes und drückte Clochegourde und der abergläubischen Seele der jungen Frau den Stempel unauslöschlicher Trauer auf. Die ersten Tage ihres Aufenthalts waren für die Comtesse die einzige, wenn nicht glückliche, so doch sorgenlose Zeit ihres Lebens.

      Nach den Irrfahrten seines Aufenthalts in der Fremde war Monsieur

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