Krieg und Frieden. Лев Толстой
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Krieg und Frieden - Лев Толстой страница 82
Und ähnlich mit Pierre. Diesen hatte Fürst Wasili in Moskau unter seine Obhut genommen, hatte ihm die Ernennung zum Kammerjunker verschafft, was damals dem Rang eines Staatsrates gleichkam, und darauf bestanden, daß der junge Mann mit ihm zusammen nach Petersburg fuhr und in seinem Haus Wohnung nahm. In einer Art von Zerstreuung und Absichtslosigkeit und dabei doch mit der zweifellosen, instinktiven Sicherheit, daß er so handeln müsse, tat Fürst Wasili alles, was erforderlich war, um eine Heirat zwischen Pierre und seiner Tochter zustande zu bringen. Hätte Fürst Wasili seine Pläne im voraus sorgsam durchdacht, so wäre es um seine Harmlosigkeit und Unbefangenheit im Verkehr geschehen gewesen und er hätte sich nicht allen Leuten gegenüber, mochten sie nun über oder unter ihm stehen, so schlicht und natürlich benehmen können. Ein innerer Trieb zog ihn beständig zu den Leuten hin, die ihn an Einfluß oder an Reichtum übertrafen, und die Natur hatte ihn mit der seltenen Geschicklichkeit begabt, immer gerade den Augenblick zu ergreifen, wo es möglich und angebracht war, von den Leuten Vorteil zu ziehen.
Als Pierre in so unerwarteter Weise ein reicher Mann und ein Graf Besuchow geworden war, fand er sich, nachdem er noch bis vor kurzem ganz für sich und ganz unbekümmert gelebt hatte, nun dermaßen von Menschen umringt und in Anspruch genommen, daß er nur noch im Bett die Möglichkeit hatte, mit seinen Gedanken allein zu sein. Er mußte Schriftstücke unterzeichnen und mit Gerichts- und Verwaltungsbehörden verhandeln, ohne daß er von dem Inhalt der Schriftstücke und dem Sinn der Verhandlungen einen klaren Begriff gehabt hätte, mußte nach diesem und jenem den Oberadministrator fragen, auf das in der Nähe von Moskau gelegene Gut fahren und eine Menge von Leuten empfangen, die früher nicht einmal von seiner Existenz etwas hatten wissen wollen, jetzt aber sich sehr gekränkt und verletzt gefühlt haben würden, wenn er ihren Besuch nicht angenommen hätte. Alle diese verschiedenartigen Personen: Geschäftsleute, Verwandte, Bekannte, alle waren sie in gleicher Weise gegen den jungen Erben gut und freundlich gesinnt; alle waren sie sichtlich und zweifellos von Pierres vortrefflichen Eigenschaften überzeugt. Fortwährend bekam er Redewendungen zu hören wie: »Bei Ihrer außerordentlichen Güte«, oder: »Bei Ihrem vortrefflichen Herzen«, oder: »Sie selbst sind ein so reiner Charakter, Graf«, oder: »Wenn er Ihren Verstand besäße« usw., so daß er allen Ernstes an seine außerordentliche Güte und an seinen außerordentlichen Verstand zu glauben anfing, um so mehr da er im Grunde seiner Seele immer schon der Ansicht gewesen war, daß er tatsächlich ein sehr guter und ein sehr kluger Mensch sei. Sogar solche Personen, die ihm früher übel gesinnt gewesen waren und ihm mit unverhohlener Feindschaft gegenübergestanden hatten, wurden jetzt freundlich und herzlich gegen ihn. Die früher auf ihn so ergrimmte älteste Prinzessin mit der langen Taille und dem, wie bei einer Puppe, glatt anliegenden Haare kam nach der Beerdigung in Pierres Zimmer. Mit niedergeschlagenen Augen und unter beständigem Erröten sagte sie ihm, sie bedauere lebhaft die zwischen ihnen vorgekommenen Mißverständnisse und fühle sich jetzt nicht berechtigt, um irgend etwas zu bitten; höchstens möchte sie um die Erlaubnis bitten, nach dem schweren Schlag, von dem sie betroffen worden sei, noch einige Wochen in dem Haus bleiben zu dürfen, das ihr so lieb geworden sei und wo sie so viele schwere Opfer gebracht habe. Sie vermochte sich nicht zu beherrschen und brach bei diesen Worten in Tränen aus. Ganz gerührt darüber, daß die sonst so starre, kalte Prinzessin sich so hatte verändern können, ergriff Pierre ihre Hand und bat sie um Verzeihung, er wußte selbst nicht wofür. Gleich noch an diesem Tag begann die Prinzessin, für Pierre einen gestreiften Leibgurt zu stricken, und war nun gegen ihn ganz wie umgewandelt.
»Tue das für sie, mein Lieber; sie hat doch von dem Seligen viel zu leiden gehabt«, sagte Fürst Wasili zu ihm, indem er ihm ein zugunsten der Prinzessin ausgestelltes Schriftstück zur Unterschrift vorlegte.
Fürst Wasili war zu der Ansicht gelangt, man müsse der armen Prinzessin diesen Knochen, einen Wechsel über dreißigtausend Rubel, hinwerfen, damit es ihr nicht in den Sinn komme, über seine, des Fürsten Wasili, Beteiligung an der Geschichte mit dem Mosaikportefeuille anfangen zu reden. Pierre unterschrieb den Wechsel, und seitdem wurde die Prinzessin gegen ihn noch liebenswürdiger. Auch die beiden jüngeren Schwestern waren freundlich gegen ihn, namentlich die jüngste, die hübsche, die mit dem Leberfleck, und sie setzte Pierre oft durch ihr Lächeln und ihre Verlegenheit bei seinem Anblick selbst in Verlegenheit.
Daß alle Menschen ihn gern hatten, fand Pierre so natürlich, und es wäre ihm so unnatürlich vorgekommen, wenn ihn jemand nicht hätte leiden können, daß es ihm nicht beikam, an der Aufrichtigkeit der Menschen, die ihn umgaben, irgendwie zu zweifeln. Außerdem hatte er gar keine Zeit, sich die Frage nach der Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit dieser Menschen vorzulegen. Er hatte beständig zu tun und fühlte sich beständig im Zustand einer milden, vergnüglichen Trunkenheit. Er fühlte sich sozusagen als den Mittelpunkt einer bedeutsamen, allgemeinen Bewegung; er fühlte, daß man von ihm beständig etwas erwartete, und daß, wenn er es nicht tat, er viele kränkte und in ihrer Erwartung täuschte; er hoffte aber, wenn er dies und das tue, dann werde alles gut sein; und so tat er denn, was man von ihm verlangte; freilich blieb der erhoffte Erfolg, daß dann alles gut sein werde, immer aus.
Noch mehr als alle andern hatte in dieser ersten Zeit Fürst Wasili sich nicht nur der Angelegenheiten Pierres, sondern auch der Person desselben bemächtigt. Seit dem Tod des Grafen Besuchow ließ er Pierre nicht aus seinen Händen. Fürst Wasili machte dabei den Eindruck, als sei er von Geschäften überbürdet, ermüdet und erschöpft, könne es aber trotzdem aus Mitleid nicht übers Herz bringen, Pierre dem blinden Zufall und allerlei Gaunern preiszugeben, ihn, den hilflosen Jüngling, den Sohn seines Freundes und, schließlich, den Besitzer eines so gewaltigen Vermögens. In den wenigen Tagen, die Fürst Wasili nach dem Tod des Grafen Besuchow noch in Moskau zubrachte, ließ er Pierre häufig auf sein Zimmer kommen oder ging selbst in Pierres Zimmer und gab ihm über alles, was er tun müsse, Anweisungen in einem solchen Ton der Müdigkeit und der eigenen Überzeugtheit von der Richtigkeit dieser Anweisungen, wie wenn er jedesmal dazu sagte: »Du weißt, daß ich mit Geschäften überhäuft bin und mich nur aus reiner Liebe deiner annehme, und du weißt ferner recht wohl, daß das, was ich dir vorschlage, das einzig mögliche ist.«
»Nun, mein Freund, morgen reisen wir endlich ab«, sagte er eines Tages zu ihm, indem er die Augen zusammenkniff und mit den Fingern leise an Pierres Ellbogen trommelte, und er sagte es in einem Ton, als ob das, was er sagte, schon längst zwischen ihnen eine ausgemachte Sache wäre und man darüber gar nicht andrer Ansicht sein könnte. »Morgen reisen wir; ich gebe dir einen Platz in meinem Wagen. Ich freue mich sehr. Hier ist nun alles, was für uns von Wichtigkeit war, erledigt. Ich für meine Person hätte ja freilich schon längst fort gemußt. Hier, das habe ich vom Kanzler für dich erhalten. Ich hatte ihn in deinem Interesse darum gebeten; du bist nun dem diplomatischen Korps aggregiert und zum Kammerjunker ernannt. Jetzt steht dir die diplomatische Laufbahn offen.«
Obwohl der Ton der Müdigkeit und eigenen Überzeugtheit, mit welchem diese Worte gesprochen wurden, eine Art Zwang auszuüben schien, wollte Pierre, der so lange über seine künftige Laufbahn nachgedacht hatte, etwas erwidern. Aber Fürst Wasili unterbrach ihn in jenem zärtlichen, tiefen Ton, der jede Möglichkeit, dazwischenzureden, ausschloß; dieses Tones pflegte