Krieg und Frieden. Лев Толстой
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Krieg und Frieden - Лев Толстой страница 84
»Es ist wohl von Wines gemalt«, sagte Pierre, indem er den Namen eines bekannten Miniaturmalers nannte. Er beugte sich dabei über den Tisch, um die Dose in die Hand zu nehmen, horchte aber nach dem Gespräch am andern Tisch hin.
Er erhob sich ein wenig, in der Absicht, um den Tisch herumzugehen; aber die Tante reichte ihm die Dose gerade über Helene weg, hinter ihrem Kopf. Helene beugte sich nach vorn, um Raum zu geben, und blickte lächelnd um sich. Sie trug, wie stets bei Abendgesellschaften, ein nach damaliger Mode vorn und hinten sehr tief ausgeschnittenes Kleid. Ihre Büste, die auf Pierre immer den Eindruck des Marmorartigen gemacht hatte, befand sich in so geringem Abstand von seinen Augen, daß er trotz seiner Kurzsichtigkeit unwillkürlich ihre Schultern und ihren Hals als etwas von reizvollem Leben Erfülltes erkannte, und so nah an seinen Lippen, daß er sich nur ein wenig zu bücken brauchte, um sie zu berühren. Er empfand die Wärme ihres Körpers, roch den Duft ihres Parfüms und hörte das Knistern des Korsetts bei ihren Bewegungen. Er sah jetzt nicht ihre marmorartige Schönheit, die mit dem Kleid zusammen ein einheitliches Ganzes bildete; sondern er sah und fühlte den ganzen Reiz ihres Leibes, dem der Anzug lediglich als Hülle diente. Und nachdem er einmal zu dieser Art des Sehens gelangt war, war er nicht mehr imstande in anderer Weise zu sehen, so wie wir in eine einmal aufgeklärte Täuschung uns nicht wieder zurückversetzen können.
»Hatten Sie denn bisher noch nicht bemerkt, wie schön ich bin?« schien Helene zu fragen. »Hatten Sie gar nicht bemerkt, daß ich ein Weib bin? Ja, ich bin ein Weib, das jedem angehören kann, auch Ihnen«, sagte ihr Blick. Und in diesem Augenblick hatte Pierre das Gefühl, daß Helene seine Frau nicht nur werden könne, sondern werden müsse, unter allen Umständen werden müsse.
Er war davon in diesem Augenblick so fest überzeugt, als ob er schon mit ihr vor dem Altar stünde. Wie und wann es geschehen werde, darüber war er sich nicht klar; er war sich nicht einmal darüber klar, ob es ihm zum Segen gereichen werde (er hatte sogar die Empfindung, daß es aus irgendeinem Grund nicht gutgehen werde); aber daß es geschehen werde, das wußte er.
Pierre schlug die Augen nieder, hob sie wieder in die Höhe und wollte in der Prinzessin Helene von neuem nichts weiter als das ihm fernstehende, ihm fremde schöne Mädchen sehen, das er bisher täglich in ihr gesehen hatte; aber dies zu tun, war er nicht mehr imstande. Er war dazu ebensowenig imstande, wie jemand, der im Nebel einen Steppengrashalm gesehen und für einen Baum gehalten hat, nachher, nachdem er gesehen hat, daß es ein Halm ist, von neuem in ihm einen Baum sehen kann. Sie stand ihm auf einmal so nahe, daß ihm beklommen wurde; sie hatte schon Gewalt über ihn. Und zwischen ihm und ihr bestanden jetzt keinerlei Schranken mehr außer denen, die sein eigener Wille errichtete.
»Gut, ich lasse Sie in Ihrem kleinen Winkel. Ich sehe, daß Sie sich da ganz wohl befinden«, hörte er auf einmal Anna Pawlowna sagen.
Pierre überlegte ängstlich, ob er auch nicht irgend etwas Unpassendes getan habe, errötete und blickte rings um sich. Es kam ihm vor, als wüßten alle geradeso gut wie er selbst, was mit ihm geschehen war.
Als er einige Zeit darauf zu der größeren Gruppe trat, sagte Anna Pawlowna zu ihm:
»Ich höre, daß Sie Ihr Haus in Petersburg verschönern lassen.«
Dies war richtig. Der Baumeister hatte ihm gesagt, daß das durchaus notwendig sei, und so ließ denn Pierre, ohne selbst recht zu wissen wozu, sein riesiges Haus in Petersburg neu und schön herrichten.
»Das ist ganz verständig von Ihnen; aber ziehen Sie nicht von dem Fürsten Wasili weg. Es ist gut, einen solchen Freund zu haben, wie es der Fürst ist«, sagte sie und lächelte dem Fürsten Wasili zu. »Ich habe etwas davon gehört. Nicht wahr? Und Sie sind noch so jung. Sie können guten Rat gebrauchen. Seien Sie mir nur nicht böse, daß ich mich der Privilegien bediene, welche alte Frauen nun einmal haben.«
Sie hielt inne, wie ja Frauen, wenn sie sich als alt bezeichnet haben, immer eine Pause machen und auf etwas warten. »Wenn Sie sich verheirateten, dann wäre es freilich eine andere Sache.« Bei diesen Worten faßte sie die beiden mit einem Blick zusammen. Pierre sah Helenen nicht an, und sie nicht ihn. Aber sie stand ihm noch immer in ebenso beängstigender Weise nahe. Er murmelte etwas vor sich hin und errötete.
Als Pierre nach Hause zurückgekehrt war, konnte er lange nicht einschlafen und dachte über das nach, was mit ihm geschehen war. Was war denn mit ihm geschehen? Nichts. Er war nur zu der Erkenntnis gelangt, daß dieses Mädchen, diese Helene, die er schon als Kind gekannt hatte, von der er manchmal gedankenlos gesagt hatte: »Ja, sie ist schön«, wenn ihm andere gesagt hatten, Helene sei eine Schönheit, er war zu der Erkenntnis gelangt, daß dieses Mädchen ihm gehören könne.
»Aber sie ist dumm; ich habe selbst oft gesagt, daß sie dumm sei«, überlegte er. »Es liegt in dem Gefühl, das sie in meiner Seele erweckt hat, etwas Widerwärtiges, etwas Verbotenes. Es ist mir erzählt worden, ihr Bruder Anatol sei in sie verliebt gewesen und sie in ihn; es sei ein richtiger Skandal gewesen, und Anatol sei deswegen aus dem Haus geschickt worden. Und auch Ippolit ist ihr Bruder. Und Fürst Wasili ist ihr Vater. Schlimm, schlimm!« dachte er; aber während er diese Überlegungen anstellte (sie waren noch nicht zu einem Abschluß gelangt), ertappte er sich bei einem Lächeln und merkte, daß eine andere Gedankenreihe durch die erste hindurch zum Vorschein kam, daß er gleichzeitig an Helenens geistige Geringwertigkeit dachte und sich ausmalte, wie sie sein Weib sein werde, wie sie ihn liebgewinnen könne, wie sie eine ganz andere werden könne, und wie alles, was er über sie gedacht und gehört habe, vielleicht unwahr sei. Und dann sah er in ihr wieder nicht mehr die Tochter des Fürsten Wasili, sondern er sah ihren ganzen Körper, nur von einem grauen Kleid verhüllt.
»Aber warum ist mir denn dieser Gedanke früher nie in den Sinn gekommen?« Und wiederum sagte er sich, daß er Helenen nicht zur Frau nehmen könne; es schien ihm in dieser Heirat etwas Häßliches, Widernatürliches, Unehrenhaftes zu liegen. Er erinnerte sich an Helenens frühere Worte und Blicke, sowie an die Worte und Blicke derjenigen, die ihn und Helenen zusammen gesehen hatten. Er erinnerte sich an die Worte und Blicke Anna Pawlownas, als sie mit ihm von seinem Haus sprach; er erinnerte sich an tausend derartige Anspielungen von seiten des Fürsten Wasili und anderer Leute, und ein Schrecken überkam ihn, ob er sich auch nicht etwa schon durch irgend etwas zur Ausführung einer Tat verpflichtet habe, die offenbar nicht zum Guten ausschlagen werde und die er nicht ausführen dürfe. Aber zur gleichen Zeit, wo er sich selbst alle diese Erwägungen vorhielt, tauchte von der andern Seite her in seiner Seele ihr Bild, dieses Ideal weiblicher Schönheit, auf.
II
Im November des Jahres 1805 sollte Fürst Wasili vier Gouvernements bereisen, um dort Revisionen vorzunehmen. Er hatte darauf hingewirkt, daß ihm dieser Auftrag erteilt wurde, um erstens dabei zugleich seine in üblem Zustand befindlichen Güter zu besuchen, und zweitens um seinen Sohn Anatol aus der Garnison seines Regiments abzuholen und mit ihm zu dem Fürsten Nikolai Andrejewitsch Bolkonski heranzufahren, in der Absicht, eine Heirat zwischen seinem Sohn und der Tochter dieses reichen alten Mannes zustande zu bringen. Aber bevor er abreiste und diese neue Sache in die Wege leitete, hielt Fürst Wasili für notwendig, die Angelegenheit mit Pierre zur Entscheidung zu bringen, der allerdings in der letzten Zeit ganze Tage zu Hause, das heißt im Haus des Fürsten Wasili, bei dem er wohnte, zugebracht und sich bei Helenens Anwesenheit so lächerlich, aufgeregt und dumm benommen hatte, wie sich das eben für einen Verliebten gehört, aber doch immer noch nicht dazu geschritten war, ihr einen Antrag zu machen.
»Alles sehr schön und gut; aber die Sache muß zum Ende kommen«, sagte eines Morgens Fürst Wasili mit einem trüben Seufzer zu sich selbst; er konnte es sich nicht verhehlen, daß Pierre, der ihm doch in so hohem Grad zu Dank verpflichtet war, in dieser