Krieg und Frieden. Лев Толстой
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Am Abend traf Fürst Wasili ein. In der Mitte kamen ihm Kutscher und Diener entgegen und halfen mit vielem Geschrei seine Schlitten auf dem geflissentlich mit Schnee beschütteten Weg nach dem Seitenflügel schaffen.
Fürst Wasili und Anatol waren jeder in einem besonderen Zimmer untergebracht worden.
Anatol hatte sich den Rock ausgezogen und saß, die Arme in die Seiten gestemmt, an einem Tisch, auf dessen Ecke er seine schönen, großen Augen unverwandt gerichtet hielt; er lächelte zerstreut. Er betrachtete sein ganzes Leben als eine ununterbrochene Reihe von Amüsements, die irgend jemand aus irgendeinem Grund für ihn zu veranstalten verpflichtet sei. So faßte er auch jetzt seinen Besuch bei dem bösen alten Mann und der reichen, häßlichen Erbin auf. Die ganze Sache konnte, wie er annahm, einen sehr hübschen, vergnüglichen Ausgang haben. »Warum soll ich sie nicht heiraten, wenn sie sehr reich ist? Geld zu haben, das kann einem niemals schaden«, dachte Anatol.
Er rasierte und parfümierte sich mit der Sorgfalt und Eleganz, die ihm zur Gewohnheit geworden waren, und trat, den schönen Kopf hoch aufgerichtet, mit dem gutmütigen, sieghaften Gesichtsausdruck, den ihm die Natur verliehen hatte, in das Zimmer seines Vaters. Um den Fürsten Wasili waren seine beiden Kammerdiener eifrig beschäftigt, ihn anzukleiden; er selbst blickte munter und lebhaft um sich und nickte dem eintretenden Sohn heiter zu, wie wenn er sagen wollte: »Recht so! So hatte ich dich auch haben wollen.«
»Nein, aber nun ohne Scherz, Papa, ist sie wirklich sehr häßlich? Ja?« fragte er auf französisch wie in Fortsetzung eines auf der Reise mehrfach geführten Gesprächs.
»Hör auf mit diesen Torheiten! Die Hauptsache ist: gib dir rechte Mühe, dich dem alten Fürsten gegenüber respektvoll und vernünftig zu benehmen.«
»Wenn er aber zu schimpfen anfängt, mache ich, daß ich davonkomme«, sagte Anatol. »Alte Leute von der Sorte kann ich nicht ausstehen.«
»Vergiß nicht, daß für dich hiervon alles abhängt.«
Unterdessen war im Zimmer der Stubenmädchen nicht nur die Ankunft des Ministers und seines Sohnes bekanntgeworden, sondern es hatte auch bereits eine detaillierte Schilderung der äußeren Erscheinung der beiden Gäste stattgefunden. Prinzessin Marja aber saß allein in ihrem Zimmer und suchte vergeblich ihre Aufregung zu bewältigen.
»Warum ist mir davon geschrieben worden? Warum hat mir Lisa davon gesagt? In welche Lage komme ich dadurch!« sagte sie zu sich selbst, während sie in den Spiegel blickte. »Wie kann ich nun in den Salon gehen? Selbst wenn er mir gefiele, könnte ich mich jetzt ihm gegenüber nicht so geben, wie ich wirklich bin.« Schon der Gedanke an den Blick ihres Vaters versetzte sie in Angst.
Die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne hatten bereits alle erforderlichen Nachrichten von dem Stubenmädchen Mascha erhalten: der Sohn des Ministers sei ein hübscher junger Mann mit roten Backen und schwarzen Augenbrauen; sein Papa habe sich nur mühsam mit seinen Beinen die Treppe hinaufgeschleppt, er aber sei wie ein Hirsch hinter ihm hergelaufen gekommen, immer drei Stufen mit einem Schritt. Als sie diese Nachrichten erhalten hatten, gingen die kleine Fürstin und Mademoiselle Bourienne nach dem Zimmer der Prinzessin, welche die lebhaft redenden Stimmen der beiden schon vom Korridor her hörte.
»Marja, sie sind angekommen, weißt du schon?« sagte die kleine Fürstin, ging mit dem watschelnden Gang, zu dem ihr Zustand sie nötigte, auf einen Lehnstuhl zu und ließ sich schwerfällig in ihn hineinsinken.
Sie trug nicht mehr den Morgenrock, in welchem sie vorher auf ihrem Zimmer gesessen hatte, sondern hatte eines ihrer besten Kleider angelegt; ihr Kopf war sorgfältig frisiert, und auf ihrem Gesicht lag der Ausdruck einer fröhlichen Lebhaftigkeit, die jedoch die erschlafften und blaß gewordenen Gesichtszüge nicht verbergen konnte. Bei dieser Toilette, die sie gewöhnlich auf Gesellschaften in Petersburg zu tragen pflegte, wurde es noch augenfälliger, wie sehr die kleine Fürstin an Schönheit verloren hatte. Auch Mademoiselle Bourienne hatte bereits an ihrem Anzug diese und jene leise Vervollkommnung angebracht, was ihrem hübschen, frischen Gesicht noch mehr Reiz verlieh.
»Nun, und Sie bleiben, wie Sie gerade waren, Prinzessin?« sagte sie. »Es wird uns gleich gemeldet werden, daß die Herren im Salon sind; wir müssen dann hinuntergehen, und Sie machen nicht einmal ein ganz klein bißchen Toilette!«
Die kleine Fürstin stand von ihrem Lehnstuhl auf, klingelte dem Stubenmädchen, entwarf fröhlich und eilig einen Plan für die Toilette der Prinzessin Marja und begann ihn zur Ausführung zu bringen. Prinzessin Marja hatte die Vorstellung, daß die Erregung, in welche die Ankunft dieses Bewerbers sie versetzte, ihrer eigenen Würde nicht entspreche, und dies war ihr peinlich; noch peinlicher aber war es ihr, daß ihre beiden Freundinnen eine derartige Erregung für ganz selbstverständlich hielten. Hätte sie ihnen gesagt, wie sehr sie sich wegen ihrer eigenen Gemütsverfassung und für sie beide schäme, so hätte sie damit ihre Erregung verraten; überdies hätte ein Sträuben gegen die ihr vorgeschlagene bessere Toilette nur zu längeren Neckereien und hartnäckigem Zureden geführt. Sie wurde rot, ihre schönen Augen trübten sich, ihr Gesicht überzog sich mit Flecken, und mit jener unschönen Miene eines Opferlammes, die ihr Gesicht am allerhäufigsten trug, gab sie sich ganz in die Gewalt ihrer Gesellschafterin und ihrer Schwägerin. Beide bemühten sich mit vollster Aufrichtigkeit, sie schön zu machen; denn sie war so häßlich, daß keine von beiden auf den Gedanken an die Möglichkeit einer Rivalität kommen konnte. Daher machten sich beide mit vollster Aufrichtigkeit daran, sie zu putzen, in der naiven, festen Überzeugung der Frauen, daß die Toilette ein Gesicht schön machen kann.
»Nein, wirklich, meine Liebste, Beste, dieses Kleid taugt nichts«, sagte Lisa, indem sie aus einiger Entfernung von der Seite her die Prinzessin betrachtete. »Du hast ja ein dunkelrotes, das laß dir geben. Wirklich! Wer weiß, vielleicht entscheidet sich dadurch das Schicksal deines Lebens. Aber dieses ist zu hell, das taugt nichts, nein, das taugt nichts!«
Der Fehler lag nicht an dem Kleid, sondern an dem Gesicht und der ganzen Gestalt der Prinzessin; aber dafür hatten Mademoiselle Bourienne und die kleine Fürstin kein Verständnis; sie meinten, wenn sie zu dem hinaufgekämmten Haar ein blaues Band hinzutäten und eine blaue Schärpe über das dunkelrote Kleid herabfallen ließen und mehr dergleichen, dann werde alles gut sein. Sie vergaßen, daß das ängstliche Gesicht und die ganze Gestalt sich eben nicht ändern ließen; und daher blieb, mochten sie auch in der Umrahmung und dem Schmuck dieses Gesichtes noch so viele Änderungen vornehmen, doch das Gesicht selbst kläglich und unschön. Nach zwei oder drei Umänderungen, denen Prinzessin Marja sich gehorsam fügte, war man fertig: das Haar war nach oben gekämmt (eine Frisur, die das Gesicht der Prinzessin völlig veränderte und entstellte) und um das elegante, dunkelrote Kleid eine blaue Schärpe geschlungen. Die kleine Fürstin ging ein paarmal im Kreis um die Prinzessin herum, legte mit ihrer kleinen Hand hier eine Falte am Kleid in Ordnung, zupfte dort an der Schärpe und betrachtete mit schiefgehaltenem Kopf das Werk bald von der einen, bald von der andern Seite.
»Nein, es geht nicht!« sagte sie in entschiedenem Ton und schlug die Hände zusammen. »Nein, Marja, das steht dir entschieden nicht. Du gefällst mir weit besser in deinem einfachen grauen Alltagskleid. Bitte, tue es mir zuliebe! Katja«, sagte sie zu dem Stubenmädchen, »bringe der Prinzessin das graue Kleid! Und dann sollen Sie sehen, Mademoiselle Bourienne, wie ich es zurechtstutzen werde«, sagte sie lächelnd, im Vorgeschmack der Künstlerfreude.
Aber als Katja das verlangte Kleid brachte, saß Prinzessin Marja, ohne sich zu rühren, vor dem Spiegel und blickte ihr Gesicht an, und Katja sah im Spiegel, daß der Prinzessin die Tränen in den Augen standen, und daß ihr Mund zitterte und sie nahe daran war, loszuschluchzen.
»Bitte schön, Prinzessin«, sagte Mademoiselle Bourienne, »jetzt nur noch eine kleine Anstrengung.«
Die