Karin Bucha Classic 39 – Liebesroman. Karin Bucha
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Die beiden alten Leute fahren überrascht herum. Ihre Abendbeschäftigung und wohl auch ihre grüblerischen Gedanken haben sie Bernds Kommen überhören lassen.
»Bernd – du?« Hermann Möckel kommt Bernd entgegen, er geht gebeugt. Viele Fältchen liegen um seine Augen, sein Haar glänzt im Lampenlicht wie Silber. »Es ist – es ist doch hoffentlich nichts geschehen?«
»Grüß Gott, Vater!« sagt er herzlich und schüttelt die welke Hand des alten Herrn. Dann steht er neben der noch fassungslosen alten Dame. »Grüß Gott, Mutter!«
Frau Sophie zieht ihn an den Tisch, nötigt ihn in den altmodischen Lehnstuhl.
»Ich war bei Maria«, sagt er unvermittelt.
Endlich ist es heraus. Bernd lehnt sich im Sessel zurück. Die Blicke der beiden Alten hängen voller Angst und Bangen an seinem Mund. Viel zu lange dauert ihnen sein Zögern.
Jetzt kommt es ernst und inhaltsschwer aus seinem Munde: »Marias Zustand ist unverändert.«
Alles wollen sie wissen. Bernd berichtet mit schwerem Herzen. Er geht schonend mit ihnen um, und doch ist sein Bericht voller Traurigkeit.
»Und nun willst du von uns einen Rat haben«, fragt Frau Sophie leise, nachdem Bernd mit seinem stockenden Bericht zu Ende gekommen ist.
»Ja, Mutter.«
»Du mußt wieder heiraten, Bernd«, sagt sie.
»Mutter!« Erschüttert beugt Bernd sich über die zitternden Altfrauenhände. Frau Sophies Worte nehmen ihm die letzte Hoffnung auf einen Ausweg. »Dann werde auch ich mich der Vernunft beugen«, sagt er mit seltsam harter Stimme.
»Nicht so, Bernd!« bittet Frau Sophie traurig. »Es gibt einen Menschen, dem steht dein Glück höher als das eigene; es gibt einen Menschen, der würde deine und Marias Kinder lieben, als wären es die eigenen.«
Betroffen weicht er zurück. »Mutter – kennst – du –?«
Sie unterbricht ihn rasch: »Charlotte Doehner wird dir eine gute Frau und deinen Kindern eine gute Mutter sein. Stände Maria an deiner Stelle, sie würde dir das gleiche raten; auch ihr stand dein Glück höher als das ihrige, ja, dein Glück stand über all ihrem Tun und Lassen.«
»Mutter!« Bernds Stimme klingt heiser. Er legt aufstöhnend das Gesicht in die Hände. So sitzt er lange da, und die beiden Alten stören seinen harten Gewissenskampf nicht.
Über Bernds geneigtem Kopf hinweg finden sich beider Blicke und ein stilles Übereinkommen liegt in ihren Augen.
Maria können sie mit all ihrer Liebe nicht wieder gesund machen, aber Bernds kranke Seele kann Genesung finden.
*
Wochen sind vergangen. Charlotte ist häufig Gast in der »Villa Maria« gewesen. Das Band innigen Verstehens und der Liebe schlingt sich immer fester um sie und die Kinder. Glücklich allein sind dabei jedoch nur die Kinder und Frau Hanna Imhoff.
Bernd schließt sich von diesem traulichen Beisammensein aus. Immer findet er einen wichtigen Grund, sein Fernbleiben zu entschuldigen.
Es ist bereits der 23. Dezember. In Charlottes Heim geht es ein wenig drunter und drüber. Da wird gebacken, werden Pakete gepackt, heimliche Wünsche aufgeschrieben, und Charlotte ist mit ihrem Zweisitzer viel unterwegs.
Die gute Delian steht ihr wie immer treu zur Seite. Sie ist selbst zu all den Leuten gegangen, die Charlotte ihr aufgeschrieben hat, um sich nach deren Wünschen und Nötigen zu erkundigen.
Als sie schüchtern Einspruch erhebt, wird ihr die Antwort zuteil:
»Lassen Sie mir doch die Freude! Mir ist es gerade, als könnte ich nicht genug Gutes tun, als müßte ich geben und wieder geben, um dafür etwas anderes Schönes einzutauschen.«
Unter den schlanken Händen des jungen Mädchens erhalten all die großen und kleinen Pakete ihre weihnachtlich-festliche Hülle. Bunte Bänder und würzig duftendes Tannengrün werden geschmackvoll angeordnet. Charlotte Doehner hat dabei glänzende Augen und glühende Wangen. Manchmal seufzt sie vor Glück tief auf.
Weihnachtsstimmung hat die Bewohner des Hauses erfaßt, vom Küchenmädchen bis zur Hausdame.
Auch in der »Villa Maria« freut man sich auf das heilige Christfest. Ingrid hüpft und jubelt durch das Haus und singt mit ihrem hellen Stimmchen: »Morgen kommt der Weihnachtsmann…!«
Klein-Monika, die schon stramm sitzen kann, ist selber anzuschauen wie ein kleiner Weihnachtsengel. Mit ihren dunklen glänzenden Löckchen und den runden Äuglein sieht sie aus wie die frohe Erwartung selbst, und weil Ingrid den ganzen Tag singt, wird auch ihr helles Stimmchen laut.
Frau Hanna weint heimlich, wenn sie diesen lauten Jubel hört. Immer muß sie an die arme Mutter der kleinen Geschöpfe denken, und das läßt sie gar nicht fröhlich werden.
Eines Tages ist mit der Mittagspost ein amtlich aussehendes Schreiben für ihren Sohn gekommen. Mit seltsamen Empfindungen hat Frau Hanna es auf seinen Schreibtisch gelegt. Nun beschäftigen sich ihre Gedanken, während sie ihrer Hausarbeit nachgeht, fortwährend mit dem Brief. Was für eine Bewandtnis mag es mit diesem Schreiben haben?
Abends kehrt Bernd, mit Paketen beladen, heim. Er ist heute sehr heiter, und als Ingrid ihm jubelnd entgegeneilt, zieht er sich rasch, mit geheimnisvollem Lächeln, zurück.
Frau Hanna wartet geduldig. Sie bringt inzwischen die Kinder zu Bett.
Merkwürdig schwer sind ihr die Glieder, als sie kurz darauf vor der Tür zu Bernds Zimmer steht. Fast lautlos tritt sie ein.
Ihr Sohn sitzt regungslos an seinem Schreibtisch, er hat die Arme aufgestützt und den Kopf in die Hände gelegt.
»Bernd!«
Er rührt sich nicht, aber er muß dennoch der Mutter Kommen gehört haben, denn ein tiefes Stöhnen entringt sich seiner Brust.
»Bernd – mein Gott, hast du eine schlechte Nachricht bekommen?«
Allmählich kommt Leben in ihn. Er läßt die Hände sinken und wendet ihr den Kopf zu. Sein Gesicht ist fahl, die Augen haben einen eigentümlichen Glanz, als habe er Fieber.
»Bitte, setz dich zu mir, Mutter«, sagt er und rückt einen Stuhl neben sich zurecht.
Bernd drückt ihr schweigend das Schreiben in die Hand, das sie in ihrer Aufregung kaum zu halten vermag.
»Mein Weihnachtsgeschenk, Mutter!« kommt es unendlich bitter von seinen Lippen.
Was sie hier schwarz auf weiß vor sich sieht, vermag sie kaum zu fassen. – Also das ist es gewesen, was Bernd die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt hat! In aller Stille hat er die Vorbereitungen getroffen, um niemandem weh zu tun. – Und nun tut es doch sehr weh, gerade so, als sei ihr ein Mensch gestorben, der ihrem Herzen sehr, sehr nahe gestanden hat.
Das Weihnachtsfest hat ihrem Jungen die Nachricht beschert, daß er wieder frei ist von der ehelichen Verbindung mit Maria.
Doch mit wieviel Herzeleid, mit wieviel Tränen diese Freiheit wohl errungen sein