Sophienlust - Die nächste Generation 4 – Familienroman. Ursula Hellwig
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Mit einem frischen Blumenstrauß in den Händen, den sie gerade draußen im Garten geschnitten hatte, betrat Carola Rennert ihre Wohnung, die im Seitentrakt des wunderschönen alten Herrenhauses lag, das an ein kleines Schloss erinnerte. Während sie wenig später die bunten Sommerblumen in eine große Glasvase stellte, fiel ihr Blick aus dem Fenster in den weitläufigen Park, der das Herrenhaus umgab. Dabei entdeckte Carola ihre drei Jahre alten Zwillinge, die mit einigen anderen Kindern auf der Wiese spielten. Die junge Frau wusste, dass sie sich um ihre noch recht kleinen Kinder keine Sorgen machen musste. Die Kinder dort draußen waren alle schon etwas älter und passten gut auf die Zwillinge Andreas und Alexandra auf. Außerdem war Schwester Regine immer in der Nähe, und den wachsamen Augen der erfahrenen Kinderschwester entging nichts.
Einen Augenblick lang geriet Carola ins Träumen, und ihre Gedanken wanderten weit in die Vergangenheit. Bei dem alten Herrenhaus, in dem sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern wohnte, handelte es sich um das Kinderheim Sophienlust. Sie selbst war seinerzeit in diesem privaten Kinderheim aufgewachsen. Sophie von Wellentin hatte das prächtige Anwesen einst ihrem Urenkel Dominik von Wellentin-Schoenecker vermacht und verfügt, dass künftig in Not geratene Kinder hier ein Zuhause finden sollten. Damals war Dominik, der von allen nur Nick genannt wurde, noch sehr klein gewesen. Seine Mutter, Denise von Wellentin, erfüllte aber gern den letzten Wunsch der alten Dame und verwaltete das Erbe für ihren Sohn. Daran änderte sich auch nichts, als Denise später den Gutsbesitzer Alexander von Schoenecker heiratete, der zwei Kinder mit in die Ehe brachte und Nick adoptierte. Nachdem dann auch noch der gemeinsame Sohn Henrik auf die Welt gekommen war, war das Familienglück komplett gewesen. Aber Denise hatte sich nie damit begnügt, ihr privates Glück zu genießen. Zwar lebte sie mit ihrer Familie auf dem ganz in der Nähe gelegenen Gut Schoeneich, aber meistens war sie in Sophienlust anzutreffen und jederzeit bereit, einem Kind zu helfen, das sich in einer Notsituation befand. So war es vor langer Zeit auch bei Carola gewesen. Nach Zeiten tiefer Verzweiflung hatte sie in Sophienlust endlich eine glückliche Kindheit genießen dürfen.
Als sie ihre Liebe zur Malerei entdeckte, hatte Denise sie unterstützt und ihr ermöglicht, ihr Talent weiter auszubauen und diese Kunst perfekt zu erlernen. Damals war Carola eigentlich fast schon erwachsen gewesen und hatte sich nicht nur in die Malerei, sondern auch noch in Wolfgang, den Sohn der Heimleiterin Else Rennert, verliebt. Er, der Musiklehrer, und sie, die Malerin, hatten schließlich geheiratet und waren schon bald Eltern von Zwillingen geworden. Carola war Denise von Schoenecker noch heute dankbar für ihre Unterstützung.
Inzwischen war Nick nun achtzehn Jahre alt und damit mündig geworden. Jetzt war er selbst für das Kinderheim verantwortlich, das er als kleiner Junge geerbt hatte.
Aber obwohl er alle Entscheidungen jetzt selbständig fällen durfte, bezog er stets seine Mutter mit ein, die ihn beraten konnte und natürlich über sehr viel Erfahrung verfügte. Demnächst wollte Nick ein Fernstudium beginnen und überlegte derzeit, ob Kinderpsychologie für ihn der richtige Studiengang sein könnte.
Als das Telefon läutete, wandte Carola sich vom Fenster ab und nahm den Anruf entgegen. Sie staunte nicht schlecht, als sich Ina Buchmacher meldete, eine Galeristin aus Frankfurt, die vor mehreren Jahren einige von Carolas Bildern ausgestellt hatte, die nachher einen Interessenten gefunden hatten, der die Gemälde für einen hohen Preis gekauft hatte. Seinerzeit war zwischen Carola und Ina Buchmacher eine sehr nette Bekanntschaft entstanden. Durch die große Entfernung waren die Kontakte dann leider allmählich weniger geworden und am Ende ganz eingeschlafen.
»Ina, das ist aber eine Freude, wieder einmal etwas von dir zu hören. Wie lange ist es her, seitdem wir zuletzt miteinander gesprochen haben? Es muss vor etwa drei Jahren gewesen sein. Damals waren unsere Zwillinge gerade auf die Welt gekommen.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte Ina. »Ich erinnere mich daran, dass du mir ganz begeistert erzählt hast, dass die beiden gerade die erste Nacht durchgeschlafen hätten und ihr beide damit auch endlich einmal eine ganze Nacht lang ungestört schlafen konntet. Wie geht es den Kindern denn heute, und wie geht es deinem Mann und dir?«
»Sehr gut. Andreas und Alexandra spielen gerade mit einigen Kindern draußen im Park, und Wolfgang übt mit einem Jungen ein Klavierstück ein, das der Kleine unbedingt lernen wollte. Na ja, und mir geht es auch bestens. Ich male noch immer fleißig, und meine Bilder verkaufen sich auch recht gut. Wie ist es denn bei euch? Aus Paulina muss inzwischen ja fast eine junge Dame geworden sein.«
»Junge Dame? Das ist wohl noch ein bisschen übertrieben«, erwiderte Ina lachend. »Paulina ist jetzt elf Jahre alt. Aber in den vergangenen drei Jahren ist sie natürlich gewaltig gewachsen. Carsten geht noch immer ganz in seinem Beruf als Restaurator auf. Im Augenblick arbeitet er für ein Schweizer Museum. Ein wertvolles Gemälde war bei einem Wasserrohrbruch beschädigt worden. Von diesem Schaden sieht man jetzt dank seiner Arbeit nichts mehr. Ich habe noch immer meine Galerie in Frankfurt und bin damit recht erfolgreich. Ach ja, Zuwachs haben wir vor gut zwei Jahren auch noch bekommen.«
»Tatsächlich?«, fragte Carola erfreut. »Das ist eine schöne Nachricht. Was habt ihr denn bekommen: Einen kleinen Sohn oder eine Tochter?«
Ina lachte herzhaft auf. »Nichts davon. Wir haben uns einen Hund angeschafft, einen schwarzen Labrador. Er heißt Rembrandt. Carsten hatte natürlich die Idee, den Hund nach dem berühmten Maler zu nennen. Rembrandt ist wirklich ein kluges Kerlchen. Paulina hat ihm eine Menge Tricks beigebracht und liebt ihn sehr. Das heißt, wir alle lieben unseren Rembrandt. Du lernst ihn demnächst bestimmt auch persönlich kennen. Wir haben nämlich vor, nach Wildmoos zu kommen und dich und deine Familie zu besuchen. Natürlich freuen wir uns auch auf Sophienlust, all die netten Kinder und Frau von Schoenecker. Unser letzter Besuch im Kinderheim liegt zwar schon lange zurück, ist mir aber noch sehr gut in Erinnerung geblieben. Ich hoffe, alle werden damit einverstanden sein, dass wir dich heimsuchen.«
»Du liebe Zeit, von einer Heimsuchung kann doch überhaupt keine Rede sein«, bemerkte Carola heiter. »Alle werden sich über euren Besuch freuen, am allermeisten natürlich ich und Wolfgang. Es ist schön, dass ihr kommt, und ich hoffe, dass ihr eine ganze Weile bleiben werdet.«
»Wir hatten an zehn bis zwölf Tage gedacht. Weißt du, in der Nähe von Maibach gibt es einen Kunstsammler, der mehrere alte Meister in seinem Besitz hat. Anfangs ist er sehr unerfahren gewesen, wie er uns gegenüber zugab, und hat die Werke nicht optimal behandelt. Dadurch sind Schäden entstanden. Es sind nur Kleinigkeiten, davon allerdings eine ganze Menge. Dieser Sammler möchte, dass Carsten die Bilder vor Ort restauriert. Er will seine Schätze nicht aus dem Haus geben. Da das Ganze in eurer Nähe ist, wollen wir euch natürlich unbedingt besuchen.«
Carola war begeistert. »Das ist schön. Noch schöner wäre es, wenn ihr euch entschließen könntet, in einem der Gästezimmer von Sophienlust zu wohnen. Dagegen wird hier sicher jemand einen Einwand haben, und nach Maibach ist es nicht weit. Ich nehme übrigens an, dass es sich bei dem Kunstsammler um Baron Wieland von Magenius handelt. Ich kenne ihn zwar nicht sehr gut, aber ich habe mir vor zwei Jahren einmal seine Sammlung ansehen dürfen, nachdem wir rein zufällig zusammengetroffen waren. Es sind wirklich wertvolle und kostbare Bilder dabei. Wann werdet ihr denn hier eintreffen? Das hast du mir bisher noch gar nicht gesagt.«
»Stimmt, das habe ich glatt vergessen. Wir würden gerne übermorgen kommen. Ist dir das recht?«
Carola bestätigte, dass ihr das sogar sehr recht war. Nachdem sie wenig später aufgelegt hatte, freute sie sich wie ein kleines Mädchen auf Ina Buchmachers Besuch und hoffte, dass diese mit ihrer Familie und dem Hund Rembrandt nicht in ein Maibacher Hotel oder den Gasthof in Wildmoos ziehen, sondern in Sophienlust bleiben und dort übernachten würden. Auf diese Weise blieb ganz bestimmt viel mehr Zeit, die sie zusammen verbringen konnten.
Für die elf Jahre alte Paulina würde es auch besser und interessanter sein, die Zeit in Sophienlust gemeinsam mit den hier wohnenden Kindern zu verbringen. In einem