Leni Behrendt Classic 52 – Liebesroman. Leni Behrendt
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Also saß Edna noch auf der Schulbank und plagte sich mit Dingen herum, die ihr gar nicht lagen.
Die Zeit in der Stadt war ja nur ein Übergang. Nach dem Tode des Erbonkels würde sich alles für sie mit einem Schlage ändern. Und nun war es endlich soweit: Leopold von Hellersen war tot. Eben hielt Frau Elisa das Telegramm, das sie vom Ableben des Schwagers in Kenntnis setzte, in der zitternden Hand. Ihre Kinder standen um sie herum, und in ihren klaren, gepflegten Gesichtern stand entschieden mehr Freude als Trauer.
Warum sollte der Tod des menschenscheuen, verbitterten Onkels ihnen auch nahegehen? Sie hatten ihn nur einige Male gesehen und sich dann vor seiner Mißgestalt gefürchtet.
»Kinder, nun gilt es, alles in Ruhe zu überlegen«, sagte Frau Elisa würdevoll. Sie verfügte über eine bewundernswerte Selbstbeherrschung, die sie auch ihren Kindern als erste Pflicht gegen sich selbst anerzogen hatte.
So gab es denn kein wirres Durcheinander. Alles das, was besorgt und bedacht werden mußte, wickelte sich in Ruhe ab.
»Ich bin dafür, daß wir im eigenen Auto nach Waldwinkel fahren«, bemerkte die Mutter, als sich die Mädel über die Zugverbindung unterhielten, in ihrer bestimmten Art, die keine Widerrede duldete.
»Bolko, du begleitest mich wohl zum Autohändler; du verstehst ja etwas von Wagen.«
So kam es denn, daß die Familie Hellersen zwei Tage später im neuen Auto, das ganz ihren verwöhnten Ansprüchen entsprach, nach Waldwinkel zur Beisetzung des Erbonkels fuhr. Ein Fahrer, der Frau Elisa zusagte, war auch gemietet worden und steuerte den teuren Wagen mit würdevoller Ruhe.
Während Frau Elisa und ihre Kinder Waldwinkel zufuhren, schmiedeten sie die schönsten Zukunftspläne. Viel zu rasch war für sie das Ziel erreicht, es hatte sich in dem weichgefederten Wagen so gut gesessen. Überhaupt war die schöne Autofahrt ein langentbehrter Genuß für sie alle gewesen.
Swen von Hellersen, der am Fenster des Gastzimmers stand, sah den kostbaren Wagen vor dem Portal des Schlosses halten und ahnte, wer ihm entsteigen würde. Ein Zug von Bitterkeit und Ironie trat in sein hartes Antlitz, als er sie alle, mit denen er vierzehn Jahre lang zusammen gelebt, nach fünfjähriger Trennung wiedersah.
Tante Elisa – ach ja, das war sie. Eine würdige, hochmütige Dame, die alles, was nicht mit ihren Anschauungen übereinstimmte, weit von sich schob. Bolko hatte sich so entwickelt, wie er sich als Sohn dieser Mutter ja nicht anders hatte entwickeln können. Er war sehr selbstbewußt und aufgeblasen.
Und Gerswint? Nun, die zweiundzwanzigjährige junge Dame hatte gehalten, was sie als siebzehnjähriges Mädchen schon versprochen, war zu einer beachtenswerten Schönheit herangereift. Allein Swens Geschmack war sie nicht; sie war ihm zu hochmütig und überheblich.
Edna sah der älteren Schwester sehr ähnlich, erschien jedoch nicht so unnahbar wie sie.
Reizend war die kleine Elke mit den langen blonden Zöpfen. Auch sie glich den Schwestern. Sie gab sich wohl alle Mühe, sich wie eine kleine Dame zu bewegen, wirkte aber trotzdem kindlich und lieb.
Augenblicklich hatten sie alle für nichts anderes Augen als für das Schloß und seine Umgebung; denn auch Frau Elisa und ihre Kinder waren nie in Waldwinkel gewesen. Leopold von Hellersen hatte die Schmarotzer, wie er seinen Bruder und dessen Familie immer genannt, nie um sich dulden wollen.
Also das war Waldwinkel, von dem sie alle schon so viel gehört. Es war größer und gediegener, als man es sich vorgestellt hatte. Man war sehr zufrieden, und der Justizrat, der unter dem Portal stand, um die Gäste willkommen zu heißen, wurde mit freundlicher Herablassung begrüßt.
»Sie waren wohl der Rechtsberater unseres lieben Verewigten?« fragte Frau Elisa und reichte ihm die Hand. »Dann werden Sie ja auch wissen, daß wir ihm am nächsten gestanden haben.«
»Gewiß, gnädige Frau. Die Zimmer sind zum Empfang bereit, der Diener wird die Herrschaften führen«, entgegnete der Anwalt höflich.
Ja, so gefiel es Frau Elisa, so hatte sie es erwartet. Sie fühlte sich schon ganz als Herrin und hielt es daher für selbstverständlich, daß man die Gastzimmer für sie und ihre Kinder gerichtet hatte.
Schön war es hier, wunderschön. Alles so vornehm, so ungemein harmonisch. Solche Räume konnte eine Stadtwohnung nie aufweisen, und wenn sie noch so elegant eingerichtet war.
Zuerst machten Frau Elisa und ihre Töchter sich daran, die Koffer auszupacken. Dann kleideten sie sich um, wobei sie die mollige Wärme, die dem Kamin entströmte, angenehm empfanden.
Später gingen sie dann hinunter, wo sie in der Halle den Justizrat vorfanden, der die Herrschaften zur Mittagstafel bat.
Das Mahl war köstlich zubereitet, die Bedienung tadellos, und Frau Elisa wurde immer zufriedener.
»Nun erzählen Sie uns mal Näheres über den Tod unseres lieben Onkels Leopold, Herr Doktor«, wandte sie sich freundlich an den Justizrat. »Er ist wohl unerwartet gestorben?«
»Nein, gnädige Frau. Er kränkelte schon seit dem Frühjahr.«
»Der Arme! Aber da wundere ich mich, daß er uns nicht zu sich gerufen hat. Wir waren doch seine einzigen nahen Verwandten, und er wird doch noch so manches auf dem Herzen gehabt haben?«
»Davon weiß ich nichts zu berichten, gnädige Frau.«
»Das finde ich aber merkwürdig. Waren Sie nicht sein Anwalt und Vertrauter, Herr Doktor?«
»Ich war sogar sein Freund«, setzte er hinzu. »Doktor Melch und ich gingen hier als einzige Fremde aus und ein.«
»Sonst hatte mein Schwager keinen Verkehr?«
»Keinen, gnädige Frau.«
Das war dieser Weltdame unverständlich, denn sie schüttelte mißbilligend den Kopf.
»Na ja, der gute Leopold war eben ein Einsiedler und Sonderling. Schuld daran war wohl seine Mißgestalt. Ist er etwa auch so allein gestorben, wie er gelebt hat?«
»Nei…n!«
»Also sind Sie dabei gewesen? Das ist mir eine außerordentliche Beruhigung, Herr Doktor. Hat er einen leichten Tod gehabt?«
»Einen beneidenswert leichten.«
»Das ist mir ein Trost. Aber wie ist es, Herr Doktor, müßte der Tote jetzt nicht aufgebahrt werden? Ist der Sarg überhaupt schon bestellt?«
»Alles ist aufs beste erledigt, gnädige Frau. Mein lieber Freund ruht bereits auf seinem letzten Lager.«
»Aber das geht doch nicht!« erregte sich Frau Elisa. »Ich meine, das ist doch Angelegenheit der Nächststehenden. Und das sind in diesem Fall doch ich und meine Kinder.«
»Der Verstorbene muß wohl anderer Ansicht gewesen sein«, meinte Glang schulterzuckend. »Denn er hat darüber anders verfügt.«
»So bitte ich, mir die Verfügungen auszuliefern!« verlangte sie kurz und glaubte nicht recht zu hören, als der Justizrat erwiderte,