Krise am Golf. Robert Fitzthum
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Die große Sorge Riads war weniger das iranische Atomprogramm. Die Saudis schätzten die Gefahr eines Nuklearschlags durch Teheran gering ein. Viel mehr bereitete ihnen die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran Kopfzerbrechen. Denn mit dem Erstarken der iranischen Wirtschaft und dem Ende der Isolation erhielt der Iran die finanziellen Mittel und Möglichkeiten, sich und seine Verbündeten im Irak, Syrien und Libanon mit modernen Waffen aufzurüsten. Der Atom-Deal würde in den Augen der Saudis daher die Hegemonie-Bestrebungen Irans befeuern, das seinen geopolitischen Einfluss auf Kosten der Golfmonarchie ausbauen könnte.55
Neben den Möglichkeiten, die der Atom-Deal dem Iran eröffnete, sahen die Saudis auch die Hinwendung der USA zum Iran mit großer Skepsis, die in einer Zeit geschah, als die USA sich schrittweise aus dem Nahen Osten zurückzuziehen begannen. Saudi-Arabien befürchtete daher, dass es sich in Zukunft nicht mehr vorbehaltlos auf die Militärhilfe der USA verlassen könnte. Um seine Abhängigkeit von den USA zu verringern, beschloss Riad daher, in der Außenpolitik unabhängiger zu agieren. Die Militärintervention im Jemen 2015 oder die Gründung der islamischen Militärkoalition zur Bekämpfung von Terrorismus im selben Jahr können vor diesem Hintergrund betrachtet werden.56
Als die USA sich im Mai 2018 aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran zurückzogen, war es wenig überraschend, dass Riad die Entscheidung begrüßte.57 Saudi-Arabien mag eine Sorge weniger haben. Für die Region ist mit dem Ende des Atom-Abkommens und den damit verbundene neuen Spannungen jedoch eine weitere Eskalationsstufe erreicht.
Der Katar-Konflikt
Die großen Konfliktlinien in der Region trennen nicht nur den schiitischen Iran vom sunnitischen Saudi-Arabien, wie die Spannungen innerhalb des Golfkooperationsrates (GCC) zeigen. Im Juni 2017 brach Saudi-Arabien, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain, seine diplomatischen Beziehungen zu Katar ab. Die GCC-Mitglieder Kuwait und Oman blieben neutral. Ägypten und einige weitere Staaten außerhalb des GCC brachen ebenfalls ihre offiziellen diplomatischen Beziehungen zu Doha ab. Die Hauptvorwürfe Saudi-Arabiens gegen Katar lauten auf Unterstützung von Extremismus, Dohas Beziehungen zum Iran und seine Finanzierung des Satellitensenders Al Jazeera.
Al Jazeera ist den Golfmonarchien schon länger ein Dorn im Auge. Gegründet 1996 mit der finanziellen Unterstützung des damaligen Emirs von Katar, entwickelte sich der Satellitensender in den 1990ern rasch zu einem der beliebtesten arabischen TV-Sender weltweit. Es war der erste arabischsprachige Satellitensender, der seinen Sehern Perspektiven außerhalb der zensurierten Staatsmedien eröffnete. Sein Programm wird heute in hundert Ländern ausgestrahlt und erreicht an die 310 Millionen Haushalte. Al Jazeera wurde aber auch schnell zum Feindbild zahlreicher arabischer Autokraten, die in dem Sender eine Konkurrenz zur eigenen Propaganda sahen. Kritiker von Al Jazeera sagen, der Sender habe in den vergangenen Jahren mehr und mehr islamistische Bewegungen unterstützt und sei dadurch ein Werkzeug von Katars Außenpolitik geworden.
Saudi-Arabiens Unmut entzündete sich nicht zuletzt an der medialen Unterstützung der Muslimbrüder durch Al Jazeera. In dem demokratisch gewählten Islamisten Mohammed Mursi, der in Ägypten 2012 an die Macht kam, sahen Saudi-Arabien und anderen Golfmonarchien eine Bedrohung ihres eigenen Herrschaftsmodells. Im Jänner 2014 unterzeichnen die sechs GCC-Staaten ein Abkommen, demzufolge keiner der Mitgliedsstaaten eine Organisation unterstützen dürfe, die die Sicherheit und Stabilität anderer GCC-Staaten gefährde. Da Doha weiterhin die Muslimbrüder unterstützte, zogen im März 2014 Saudi-Arabien, die Emirate und Bahrain ihre Botschafter aus Katar ab.58 Doha hatte, aus saudischer Perspektive, nicht zuletzt durch die den Muslimbrüdern geneigte Berichterstattung Al Jazeeras, den Vertrag gebrochen. Doch der Konflikt kochte auf kleiner Flamme. Bereits acht Monate später kehrten die Botschafter zurück. Katar folgte weiterhin der saudischen Linie in der Außenpolitik: So wie Doha bereits die saudische Intervention in Bahrain 2011 zur Niederschlagung der Proteste unterstützte, schloss es sich auch der Jemen-Offensive Saudi-Arabiens 2015 an. 2016 zog es seinen Botschafter aus dem Iran ab, nachdem ein Mob die saudische Botschaft in Teheran angegriffen hatte.
Der große Bruch kam 2017. Beim Abbruch diplomatischer Beziehungen blieb es diesmal nicht. Stattdessen verhängten Saudi-Arabien und andere Staaten ein Handelsembargo über Katar. Saudi-Arabien schloss die 65 Kilometer lange, gemeinsame Grenze, wodurch für Katar 40 Prozent seiner Lebensmittel-Importe ausfielen. Damit nicht genug setzten Saudi-Arabien, die Emirate, Bahrain und Ägypten ihre Flüge von und nach Katar aus und erließen ein Überflugverbot für katarische Airlines. Auch Al Jazeera bekam den Boykott zu spüren. Die Website des Senders wurde in mehreren Staaten blockiert, Jordanien ließ alle Al-Jazeera- Büros im Land schließen.59
Um die Blockade zu umgehen, intensivierte Katar seine Handelsbeziehungen mit der Türkei, Iran und Oman. Der Boykott gegen Katar erreichte daher das Gegenteil von dem, was die GCC-Staaten sich erhofften. Doha knickte nicht ein, indem es seine Beziehung zum Iran abbrach. Stattdessen wurde es durch den Warenengpass gezwungen, sich weiter dem Iran anzunähern. Katar sah sich dadurch in seiner Politik bestärkt, die schon länger auf eine Reduzierung der Abhängigkeit von Saudi-Arabien und seiner Vormachtstellung im GCC abzielte. Als Saudi-Arabien sich im dritten Golfkrieg weigerte, US-Truppen eine Basis für ihren Angriff auf den Irak zu bieten, sprang Katar an dessen Stelle ein. Das Abkommen zwischen den USA und Doha 2002 mündete in der Stationierung von US-Truppen in der Udeid-Militärbasis südwestlich von Doha. 2014 führte ein weiterer Vertrag mit der Türkei zur Errichtung einer türkischen Basis in Katar. Durch die ausländischen Militärbasen erhofft Doha sich militärischen Schutz, auch gegen mögliche Übergriffe von Seiten Saudi-Arabiens.60 Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar betrifft nicht ausschließlich die beiden Staaten. Indem drei Mitglieder des GCC Katar boykottieren, ist der Golfkooperationsrat gelähmt. Das sind keine guten Voraussetzungen für eine Entspannung in der Region. Wie Analysten befürchten, könnten in Zukunft die stabilen Allianzen, die der GCC ermöglicht hat, durch wechselnde Allianzen und tagespolitisch orientierte Koalitionen abgelöst werden.61
Eine Auswirkung des Drucks auf Katar und seine Hinwendung zu neuen Partnern spiegelt sich etwa in den Reaktionen auf den Einmarsch der Türkei in Nordsyrien wider. Während der GCC sich offiziell gegen die Offensive äußerte, begrüßte Katar den Einmarsch der türkischen Armee und ihrer Verbündeten in die Kurdengebiete.62 Und die Krise beschränkt sich nicht auf die Golfregion. Die Wellen des Konflikts reichen bis Ostafrika, wo Golfstaaten seit Jahrzehnten politisch und ökonomisch Präsenz zeigen. Die Spaltung im Golfkooperationsrat zwingt afrikanische Staaten, sich für eine Seite zu entscheiden, mit oft weitreichenden Auswirkungen für Sicherheit und Wirtschaft.
Wettlauf um Afrika
Gerade einmal 30 Kilometer trennen die Arabische Halbinsel vom afrikanischen Kontinent in der Meerenge Bab al-Mandab. Die Meeresstraße, die den Indischen Ozean über das Rote Meer und den Suezkanal mit dem Mittelmeer verbindet, ist eine der wichtigsten Schiffsrouten weltweit. 2018 sollen geschätzte 6,2 Millionen Barrel Rohöl pro Tag durch die Meerenge geschifft worden sein.63 Entsprechend hoch ist die strategische Bedeutung des Horns von Afrika und der in der Küstenregion gelegenen Staaten Eritrea, Dschibuti, Äthiopien und Somalia.
Saudi-Arabien, gemeinsam mit und in Konkurrenz zu anderen Golfstaaten, versucht auf verschiedenen Ebenen seinen Einfluss in der Region zu sichern. Mit saudischen Entwicklungsgeldern wird Infrastruktur finanziert, und Handelsabkommen knüpfen die Wirtschaft der Golfstaaten an jene der Horn-Region. Enge Kontakte gibt es auch auf politischer und kultureller Ebene. Die Golfmonarchie hat zwischen 2010 und 2018 sechs neue Botschaften in Afrika eröffnet64 und saudische Missionare predigen seit Jahrzehnten den wahhabitischen Islam in afrikanischen Koranschulen und Moscheen.