Familie Dr. Norden Classic 45 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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»Ich bin sehr froh, daß Sie wohlauf sind. Es wird gut für Mario sein.«
Er ist ein verängstigtes Kind. Jetzt denkt er, daß Karin seinem Papa etwas angetan hat. Er hat Angst vor ihr, das ist schrecklich. Wie kann ein Kind Angst vor seiner Mutter haben?«
»Das ist öfter der Fall, als man denkt. Kürzlich hatten wir den Fall eines mißhandelten Kindes. Es kam bei der Schuluntersuchung heraus. Verdächtigt wurde der Vater, doch es war die Mutter, die das Kind so zugerichtet hatte. Ich will Ihrer Schwiegertochter nicht unterstellen, daß sie Mario mißhandelt, wenigstens körperlich nicht, aber wie ist es mit der Kinderseele? Was bekommt er alles mit, ohne mit jemand darüber sprechen zu können?«
Roberta Hanson senkte den Blick. »Ich habe mich wohl zu sehr reserviert von allen. Es war feige. Ich hätte an den Jungen denken und mich damals auch schützend vor Nick stellen müssen, aber ich wollte die Fassade schützen, hinter der wir uns versteckten, mein Mann mit seinen Affären, Torsten mit seiner Arroganz und den Sticheleien gegen seinen Bruder, und ich, weil ich Gerede vermeiden wollte und nicht den Mut hatte, mich von meinem Mann zu trennen. Wenn ich in den Spiegel schaue, frage ich mich, was für ein Mensch
ich bin. Jetzt werde ich meinen Ältesten verlieren. Er war, wie ich jetzt weiß, auch ein sehr unglücklicher Mensch. Er dachte, er würde eine bequeme Frau bekommen, als er Karin aus ihrer bescheidenen Umgebung holte. Sie spielte ihre Rolle als dankbares Mädchen anfangs auch gut, aber sie entwickelte sich zu einem Vampir, der ihn aussaugte, ihn dem soliden Fundament entriß. Mein Mann war, trotz seiner Affären und sonstigen Schwächen ein guter Geschäftsmann mit Überblick, aber Torsten wollte das schnelle Geld und immer mehr Geld. Wenn Nick zurück kommt, weiß ich auch nicht, was er tun oder nicht tun wird, aber jedenfalls kann er nicht erfolgloser sein als Torsten, denn immerhin kann er den Flug selbst bezahlen.«
Sie sah Dr. Norden mit einem weltenfernen Blick an. »Es klingt wohl lächerlich, wie ich das sage, aber ich bin tatsächlich froh darüber, denn der Flug von Australien bis München kostet doch ein schreckliches Sümmchen.«
»Nick war also in Australien«, sagte Daniel nachdenklich.
»Jedenfalls die letzten sechs Jahre, und von dort aus bekam ich dann auch die erste Nachricht von ihm, wo er vorher war, weiß ich nicht, und was er überhaupt gemacht hat, sagte er nicht. Ich würde schon eines Tages alles erfahren, meinte er nur. Mir ist es auch egal, ich bin froh, daß er lebt und ich ihn wiedersehen darf.«
»Ich habe Nick immer gemocht«, erklärte Daniel. »Er ist bestimmt nicht einfach davongelaufen. Er hat es sich gut überlegt.«
»Hat Torsten erfahren, daß er kommt?«
»Ich habe es ihn wissen lassen. Darüber hat er sich bestimmt nicht aufgeregt. Er sagte, es sei gut, daß Nick käme. Er war deprimiert, aber ich glaube, daß Karin ihn aufgeregt hat. Mario sagte etwas von einem Peter, über den sie gesprochen hätten. Jedenfalls wird Nick bei seiner Heimkehr ein Chaos vorfinden. Damals wurde ihm keine Chance gegeben, sich irgendwie zu bewähren, jetzt wird er hier kaum noch Gelegenheit dazu haben. Ich fürchte, er wird nicht lange bleiben.«
»Sehen Sie jetzt nicht zu schwarz, Frau Hanson. Sie haben soviel überstanden, jetzt lassen Sie bitte den Mut nicht sinken.«
»Ich bin dankbar, daß ich mit Ihnen sprechen konnte. Es ist nicht einfach, wenn man niemanden hat, dem man vertrauen kann. In meinem Haus fühle ich mich fremd, es ist ja auch nicht mehr mein Haus.«
»Ich dachte, Sie fühlen sich wohl im Grund.«
»Das tue ich, aber ich vermisse doch viel, und die Leute dort haben alle große Familien, sind fröhlich beisammen, da kommt man sich erst recht einsam vor.« Ihr Blick schweifte zum Fenster hinaus, und ihre Augen waren feucht geworden.
»Sie sind doch noch so fit, Frau Hanson«, stellte Daniel fest.
»Aber den ganzen Tag mag ich auch nicht mehr herumlaufen und in die Berge gehen. Aber lassen wir das, ich stehle Ihnen nur kostbare Zeit.«
»Ich freue mich, daß Sie mal wieder den Weg zu mir gefunden haben.«
»Manchmal denke ich, wenn ich krank werde, wer sich dann wohl um mich kümmern würde.«
»Warum nehmen Sie sich denn nicht ein junges Mädchen ins Haus?«
»Wer will denn schon so einsam leben, wenn man jung ist? Ich verstehe es ja, daß sie das Leben genießen wollen. Die jungen Leute zieht es doch mehr in die Stadt. So, jetzt habe ich genug gejammert. Ich fahre zur Klinik und schaue nach Torsten, und dann kümmere ich mich um meinen Enkel. Karin paßt es zwar nicht, daß ich in der Stadt bleibe, aber das soll mir egal sein.«
»So ist es recht. Kopf hoch, Frau Hanson, freuen Sie sich auf Nick. Ich freue mich auch, wenn ich ihn wiedersehe.«
Es sah fast so aus, als wolle Roberta ihn umarmen. »Sie sind ein so lieber Mensch, Dr. Norden«, sagte sie mit soviel Wärme, daß er ein wohliges Gefühl dabei bekam.
*
Roberta Hanson mußte sich nach zwei Umleitungen erst auf den richtigen Weg zum Klinikum finden, und als sie endlich einen Parkplatz fand, der schon überfrequentiert war, entdeckte sie Karin, die auf einen Mann zuging, der auf sie wartete. Roberta konnte nicht hören, was sie sagte, aber die Umarmung und der Kuß sagten ihr genug. Ganz spontan faßte sie den Entschluß, den beiden nicht aus dem Weg zu gehen. Es bereitete ihr sogar eine Genugtuung zu erleben, wie Karin erschrak und entsetzt ihre Schwiegermutter ansah.
»Weiterhin viel Spaß«, sagte Roberta spöttisch und ging weiter.
Karin schnappte nach Luft.
»Das war meine Schwiegermutter«, stammelte sie. »Ausgerechnet jetzt muß sie kommen, das ist fatal.«
»Ich denke, Torsten wird sowieso sterben«, sagte Peter Porter zynisch.
»Aber er lebt noch. Weiß der Teufel, was ihr jetzt einfallen wird, um mich auszuschalten.«
»Was kann sie denn schon tun? Dir steht dein Erbe zu, daran ist nicht zu rütteln. Laß uns von hier verschwinden. Ich mag Krankenhäuser nicht.«
»Denkst du, mir gefallen sie? Und wie Torsten aussah, einfach schrecklich. Aber sein Arzt ist ein flotter Typ.«
»Wenn du meinst, du kannst mich eifersüchtig machen, irrst du dich. Wenn du abspringst, warten schon ein paar andere.«
Karin kniff die Augen zusammen. »Wenn du dich weiterhin so benimmst, kannst du dich anderweitig umschauen. Mir macht es nichts aus. Ich brauche nur mit den Fingern zu schnippen.«
Das war typisch für sie, charakterlos und ohne jedes Gefühl und kalt funkelten auch ihre Augen. Aber Peter Porter war aus dem gleichen Holz, er verstand es nur noch besser als sie, seine Vorteile zu nützen.
Roberta empfand bei aller Verachtung für Karin jetzt doch eine gewisse Genugtuung. Sie hatte jetzt den deutlichen Beweis, daß Karin Torsten betrog.
Wenn sie auch so manches Mal gedacht hatte, daß er es nicht anders verdiene, empfand sie jetzt doch Mitleid mit ihm. Ihr kamen die Tränen, als sie ihn so verfallen und dem Tode näher als dem Leben sah. Er hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem Torsten, den sie kannte.
Dr.