Fürstenkrone 80 – Adelsroman. Gabriela Stein
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»Gloria! Wie schön, dich zu sehen!« Rechtsanwalt und Notar Dr. Henry Kröger verließ mit raschen Schritten seinen Schreibtischbereich und eilte seiner ernsten jungen Mandantin entgegen. Seine Freude wirkte echt, aber auch prüfend-besorgt.
Nach der freundschaftlichen Umarmung hielt er die hübsche junge Frau dann auch ein wenig von sich ab, ihre Augen findend. Und nach einem Moment trat tatsächlich ein verhaltenes Lächeln auf ihre Lippen.
»Geht es dir gut, mein Kind?«, forschte er väterlich-besorgt, die Trauer in ihrem offenen Gesicht noch erkennend, um dann gleich die Frage anzuschließen: »Wie ist die Auktion gelaufen?«
»Gut, Onkel Henry! Für die Sommerzeit sogar überraschend gut. Der Kunsthandel zeigt sich erstaunlich stabil.« Gloria de Vries war die Erleichterung anzumerken. Ihre erste Auktion, für welche sie verantwortlich zeichnete, hatte sie erfolgreich hinter sich gebracht!
»Wunderbar!« Der agile ältere Herr mit dem weißen Haar und der zurückhaltenden hanseatischen Noblesse nickte zufrieden. Wie gut, dass die Kleine, wie er sie gedanklich immer noch nannte, einen guten Einstieg in die alleinige geschäftliche Verantwortung gehabt hatte.
Er wollte sie im Moment nicht nach den erzielten Erlösen befragen. Den Wert der Dinge würden die beiden langjährigen Mitarbeiter des Kunsthandels de Vries im Auge behalten, da war er sich sicher. Charlotte von Bellwange und Hans Christensen waren erfahrene Kunsthistoriker und seit Jahrzehnten in dem renommierten Haus für hochwertige Kunst tätig.
»Komm, nimm Platz, mein Kind«, sagte er daher, sie mit zu jenem ausladenden Mahagonischreibtisch nehmend, welcher das Herzstück in dem weiten Arbeitsraum darstellte. Mit den kostbaren Holzvertäfelungen an Decken und Wänden, den eingebauten hohen Aktenschränken und antiken Ledersesseln wirkte das Büro wie ein hanseatisches Kontor alter Kaufmannschaft.
Und während er ihr einen Sessel zurückrückte und selbst am Tisch gegenüber Platz nahm, bekam dieses Treffen etwas Formelles.
Gloria de Vries registrierte diese Tatsache gefasst. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte es viele solcher Termine gegeben. Auch die notarielle Überschreibung des Kunsthauses de Vries auf sie als Erbin hatte Henry Kröger als rechtlicher Beistand der Familie in die Wege geleitet. Seine umsichtige Hand und freundschaftliche Verbundenheit waren Halt gewesen – und waren es noch. Das Leben würde weitergehen und allmählich helfen, jene Selbstsicherheit aufzubauen, welche man im Geschäftsleben brauchte.
»Tee oder Kaffee?«, fragte er mit einem Blick auf die freundlich wartende Kanzleiangestellte, die noch dienstbereit in der offenen Tür stand.
»Tee, bitte!« Glorias Lächeln begleitete den Wunsch, bevor sich ihre Aufmerksamkeit wieder dem Familienfreund zuwandte. Dabei bemerkte sie zum ersten Mal das helle Kuvert, welches ziemlich allein in der Tischmitte lag. Ein freundlich wirkendes Rechteck, seltsam unschuldig und wenig schicksalsschwer.
Henry Kröger plauderte derweil Unverbindliches, locker um eine entspannte Atmosphäre bemüht. Sein joviales Altherrengesicht signalisierte Gelassenheit und jenen Hauch von Altersweisheit, welche einem jungen Menschen noch fremd war.
Der Tee kam, und sein Genuss wurde zelebriert, als sei im Moment nichts wichtiger. Zwischen Teetassen, Silberkännchen und Salzgebäck aber lag immer noch der Brief. Fast schien es so, als sei sein Inhalt das Warten gewohnt.
Vielleicht aber war er auch ganz einfach dort vergessen worden. Eine Unwichtigkeit des Lebens ohne besonderen Inhalt. Eigenartig, sich darüber Gedanken zu machen.
Gloria de Vries verrührte das braune Kandisstückchen im Tee, horchte auf dessen helle Laute, als es gegen die zarte Porzellantasse trieb – und sah immer noch auf das helle Kuvert.
»Bring etwas Zeit mit«, hatte Henry Kröger gesagt, als er sie zu einem weiteren Termin in seine Kanzlei gebeten hatte. Und genau diese Worte wiederholte er jetzt als Frage:
»Hast du etwas Zeit mitgebracht, mein Kind?«
Und während sie dies lächelnd bestätigte, trat wieder das Prüfende in seinen Blick.
»Fühlst du dich auch ein wenig entspannter als noch vor Wochen?«, forschte er weiter, sich unsicher fragend, ob der heutige Zeitpunkt für eine höchst brisante Mitteilung richtig gewählt war.
»Ja, sicher …« Unruhe trat in Glorias Blick. Was, um alles in der Welt, gab es noch, welches den Tod ihrer geliebten Mama noch übertreffen konnte an Schwere und Schmerz?
Erstaunt erkannte sie eine Mischung aus Unsicherheit und Zweifel im Verhalten des sonst so lebenssicheren Beraters und Freundes. So sah sie, wie er sich nervös erhob, ein eleganter schlanker Herr im feinen blauen Nadelstreifenanzug, der scheinbar jeder Lebenssituation gewachsen war. Jetzt aber schien er um Worte zu ringen.
»Onkel Henry, geht es immer noch um das Erbe?«
»Nein, nein, mein Kind, das geht alles seinen Gang«, winkte er ab. »Ich habe noch eine ganz andere Mission zu erfüllen.« Er nahm wieder Platz, und sein Blick richtete sich nun gezielt auf den hellen Umschlag. Auf dieses schwerwiegende Geständnis, welches seit nunmehr fünf Jahren in seinem Tresor lag, als sei es nur hinter gepanzerten Wänden gut aufgehoben.
An meine Tochter Gloria, stand darauf und dazu das Datum der Abfassung. Weiter unten der Vermerk: Spätestens nach meinem Tode auszuhändigen.
Seine Hände zogen das letzte Vermächtnis Elise de Vries’ zu sich heran, strichen nachdenklich darüber hin. Warum war es so schwer, Wahrheiten auszusprechen, welche unbedingt ausgesprochen werden mussten?
»Onkel Henry?«, fragte Gloria de Vries irritiert, auf den unspektakulären Umschlag sehend, der so wenig schicksalsschwer aussah. »Geht es um etwas Unangenehmes?«
»Wie?« Dr. Kröger schreckte auf, und sein heller Blick pendelte zwischen ihr und dem Brief ihrer Mutter. »Unangenehm?«, wiederholte er ihre Frage und bewegte leicht den Kopf. »Nein, es geht um ein grundsätzliches Wissen, um Identitäten und Lebenswurzeln, wie sie jeder kennen sollte, um sich selbst zu begreifen.«
Seine Stimme klang nachdenklich, und sein vornehmes Altherrengesicht überzog sich mit großem Ernst.
»Du machst mich neugierig, Onkel Henry. Wessen Lebenswurzeln müsste ich denn kennenlernen? Denn meine eigenen sind doch recht klar – oder?«
Gloria neigte sich etwas vor, zunehmend beunruhigter und den so unschuldig wirkenden Umschlag plötzlich als Bedrohung empfindend.
Henry Kröger, welcher sich eine Weile überlegt hatte, ob er seiner jungen Mandantin den Inhalt des Briefes nahebringen sollte, indem er ganz bestimmte Wahrheiten aussprach, entschied sich ganz plötzlich anders.
Diese junge Frau war kein Kind mehr und wollte so auch ganz sicher nicht behandelt werden.
So schob er ihr mit einem etwas zwanghaften Lächeln den hellen Umschlag entgegen und sagte:
»Liebe Gloria, lies erst einmal, was deine Mutter dir zu sagen hat. Wir reden dann darüber …«
Das helle Rechteck kam auf sie zu. Seine optische Makellosigkeit, verbunden mit der geradlinigen Schrift ihrer Mutter Elise.
Alles an diesem Umschlag wirkte klar – so klar, wie auch der Mensch Elise zu Lebzeiten gewirkt hatte – nämlich aufrichtig und zu keinen Geheimnissen fähig. Dann hielt sie das leichte Kuvert in der Hand und las nun aus nächster Nähe:
An meine Tochter Gloria