Metamorphosen. Ovid

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Metamorphosen - Ovid Reclam Taschenbuch

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nur! Du wirst keine Zurückweisung erfahren. [290] Und damit du mir noch mehr glaubst, soll auch die Gottheit des stygischen Sturzbachs meinen Eid hören. Sie ist der Schrecken sogar der Götter und ihr Gott.« Froh ihres Unheils, allzu mächtig und todgeweiht durch die Ergebenheit des Geliebten, sprach Semele: »Wie Saturnia dich zu umarmen pflegt, wenn ihr den Bund der Liebe schließt, [295] so schenke du dich mir!« Der Gott wollte ihr die Lippen verschließen, während sie noch sprach; doch schon war das übereilte Wort in die Lüfte entflogen. Er seufzte auf; denn es war weder möglich, ihren Wunsch noch seinen Schwur ungeschehen zu machen. Also stieg er todtraurig zur Höhe des Äthers empor und zog durch ein Nicken die folgsamen Wolken zusammen, [300] nahm Platzregen hinzu und, mit Winden vermischt, Wetterleuchten, Donnerschläge und den Blitz, vor dem es kein Entrinnen gibt. Doch so gut es irgend geht, versucht er seine Kraft zu verringern. Und er bewaffnet sich nicht mit dem Feuerstrahl, mit dem er den hundertarmigen Typhoeus niedergeworfen hatte – zu gewaltig ist diese Waffe. [305] Es gibt noch einen anderen, leichteren Blitz, dem die Hand der Cyclopen weniger Grausamkeit, Feuer und Wut mitgegeben hat: »Zweites Kaliber« nennen’s die Götter. Er nimmt diese Waffe und betritt Agenors Haus. Der sterbliche Leib ertrug nicht den ätherischen Sturm und verbrannte an den hochzeitlichen Gaben. [310] Das noch nicht ausgetragene Kind wird aus dem Leibe der Mutter gerettet und, zart wie es ist, in den Schenkel des Vaters eingenäht – wenn man es glauben darf –, bis seine Zeit erfüllt ist. Ino, die Schwester seiner Mutter, zieht es heimlich auf, solange es noch klein in der Wiege liegt; später übergibt sie es den Nymphen vom Berg Nysa. [315] Sie versteckten es in ihren Grotten und nährten es mit Milch.

      Tiresias

      Während dies auf Erden nach dem Gesetz des Schicksals geschah und die Wiege des zweimal geborenen Bacchus in sicherer Hut war, soll Iuppiter einmal, vom Nektar erheitert, die ernsten Sorgen beiseite geschoben haben. [320] Mit Iuno, die für ihn Zeit hatte, scherzte er entspannt und sprach: »Größer ist in der Tat die Lust, die ihr empfindet, als diejenige, die den Männern zuteil wird.« Sie streitet es ab. Man beschloß, den erfahrenen Tiresias um seinen Schiedsspruch zu bitten; kannte er doch die Liebe von beiden Seiten. Er hatte nämlich im grünen Walde zwei große Schlangen, die sich paarten, [325] mit einem Stock geschlagen und verletzt. Aus einem Manne, o Wunder, zur Frau geworden, hatte er sieben Herbste erlebt; im achten sah er wieder dieselben Schlangen und sprach: »Wenn ein Hieb auf euch so große Macht besitzt, das Geschlecht des Schlagenden ins Gegenteil zu verkehren, [330] will ich euch jetzt wieder schlagen.« Er versetzte den Schlangen, die in der Tat dieselben waren, einen Hieb; seine frühere Gestalt und seine angeborene Erscheinung kamen zurück. Ihn wählt man also zum Schiedsrichter für den scherzhaften Streit. Er bestätigt Iuppiters Spruch. Saturnia soll sich dies mehr als billig zu Herzen genommen haben und nicht, wie es der Sache entsprochen hätte. [335] So verurteilte sie die Augen ihres Richters zu ewiger Nacht. Doch der allmächtige Vater – darf doch kein Gott die Handlungen eines Gottes rückgängig machen – gab ihm anstelle des verlorenen Augenlichtes das Wissen um die Zukunft und milderte die Strafe durch diese Ehre.

      Narcissus und Echo

      In Aoniens Städten hochberühmt, [340] gab Tiresias dem Volk, das ihn aufsuchte, unfehlbare Orakelsprüche. Die erste Probe seiner Zuverlässigkeit und der Erfüllung seiner Weissagungen machte die wasserblaue Nymphe Liriope, die einst der Cephisus mit den Windungen seines Stromes umschloß; der so in seinen Wellen Gefangenen tat er Gewalt an. Aus ihrem schwangeren Schoß gebar die wunderschöne [345] Nymphe ein Kind, das schon damals voller Liebreiz war; sie nennt es Narcissus. Befragt, ob diesem Knaben ein langes, reifes Alter beschieden sei, sprach der schicksalverkündende Seher: »Wenn er sich nicht selbst kennenlernt.« Lange schien das Wort des Wahrsagers bedeutungslos. Doch der tatsächliche Ausgang, [350] die Todesart und die Neuheit seines Wahnsinns bringen die Bestätigung. Denn der Sohn des Cephisus war schon sechzehn Jahre alt geworden und konnte noch als Knabe und schon als junger Mann gelten. Viele Männer, viele Mädchen begehrten ihn. Aber solch hartherziger Hochmut wohnte in der zarten Gestalt! [355] Kein Mann, kein Mädchen konnte ihn rühren. Ihn erblickt, während er aufgescheuchte Hirsche in die Netze jagt, die stimmbegabte Nymphe, die nie eine Antwort schuldig bleibt und nie als erste sprechen kann, Echo, die Stimme des Widerhalls. Echo war noch ein Wesen, kein leerer Schall; [360] doch hatte die Schwätzerin schon damals keine andere Möglichkeit zu sprechen als jetzt. Sie konnte nämlich von vielen Worten nur die letzten wiederholen. Das hatte Iuno so angeordnet, weil Echo oft, wenn Iuno auf den Bergen Nymphen in ihres Iuppiters Armen hätte ertappen können, die Göttin wohlweislich mit langen Gesprächen hinhielt, [365] damit die Nymphen unterdessen entwischen konnten. Nachdem Saturnia dies durchschaut hatte, sprach sie: »Über diese Zunge, die mich genarrt hat, sollst du von nun an nur wenig Macht haben und deine Stimme nur noch ganz kurz gebrauchen dürfen.« Ihre Drohung macht sie wahr. Immerhin kann Echo die Laute am Ende einer Rede wiederholen und Worte erwidern, die sie gehört hat.

      [370] Kaum hat sie also Narcissus erblickt, der abseits vom Wege durchs Gelände streifte, entbrannte ihr Herz in Liebe. Sie folgt verstohlen seinen Spuren, und je länger sie ihm folgt, desto mehr läßt seine Nähe sie erglühen, nicht anders, als wenn der leicht entzündliche Schwefel, mit dem die Fackeln an der Spitze bestrichen sind, eine Flamme an sich reißt, die man in die Nähe bringt. [375] O wie oft wollte sie sich ihm mit schmeichelnden Worten nähern und ihn durch Bitten erweichen! Ihr Wesen verbietet’s! Es erlaubt ihr nicht, den Anfang zu machen. Doch eines steht ihr frei: Sie ist bereit, Laute abzuwarten, auf die sie antworten kann. Zufällig hatte der Knabe, vom treuen Gefolge entfernt, [380] gerufen: »Ist jemand hier?«, und »hier« hatte Echo erwidert. Er staunt, läßt den Blick überallhin schweifen und ruft mit lauter Stimme: »Komm!« Sie ruft ihn, wie er sie ruft. Er blickt zurück und spricht, da wieder niemand kommt: »Was fliehst du vor mir?« Und ebenso viele Worte, wie er gesprochen hatte, erhielt er zurück. [385] Er beharrt; getäuscht durch den Widerhall der antwortenden Stimme, spricht er: »Laß uns hier zusammenkommen«, und keinen Laut gab es, auf den sie jemals lieber geantwortet hätte. »Zusammenkommen«, wiederholt Echo, vertraut auf ihre eigenen Worte, verläßt den Wald. Schon ging sie auf ihn zu, um den ersehnten Hals mit den Armen zu umschlingen [390] – er aber flieht; und während er flüchtet, ruft er: »Hände weg, laß die Umarmungen! Eher will ich sterben als dir gehören.« Sie antwortet nichts als »dir gehören«. Die Verschmähte hält sich im Walde versteckt, verbirgt schamhaft das Gesicht im Laub und lebt von nun an in einsamen Höhlen. [395] Doch die Liebe bleibt und wächst noch aus Schmerz über die Zurückweisung. Sorgen gönnen ihr keinen Schlaf und zehren den Leib jämmerlich aus; Magerkeit läßt die Haut schrumpfen, in die Luft entschwindet aller Saft des Körpers, nur Stimme und Gebein sind übrig. Die Stimme bleibt, das Gebein soll sich in Stein verwandelt haben. [400] Seitdem ist sie in Wäldern verborgen und läßt sich auf keinem Berg blicken. Alle können sie hören. In ihr lebt nur der Klang.

      So hatte Narcissus diese enttäuscht, so auch andere Wasser- und Bergnymphen, so vorher den Umgang mit Männern gemieden. Daher hatte einer von ihnen, der verschmäht worden war, die Hände zum Äther erhoben und gesagt: [405] »So soll es auch ihm in der Liebe ergehen, so soll auch er, was er liebt, nicht bekommen.« Sprach’s, und Rhamnusia gewährte die gerechte Bitte.

      Es gab einen klaren Quell mit silberglänzendem Wasser, den keine Hirten berührt hatten, keine Ziegen, die auf Bergen weiden, und auch sonst kein Vieh. Kein Vogel, [410] kein wildes Tier hatte ihn getrübt, nicht einmal ein Ast, der vom Baume gefallen wäre. Ringsum wuchs Gras, dem das nahe Gewässer Nahrung gab, und Gehölz, das keinem Sonnenstrahl erlaubte, den Platz zu erwärmen. Hier ließ sich der Knabe nieder, vom eifrigen Jagen und von der Hitze erschöpft; denn die Anmut des Ortes und die Quelle zogen ihn an. [415] Und während er den Durst zu stillen trachtete, wuchs in ihm ein anderer Durst. Während er trinkt, erblickt er das Spiegelbild seiner Schönheit, wird von ihr hingerissen, liebt eine körperlose Hoffnung, hält das für einen Körper, was nur Welle ist. Er bestaunt sich selbst und verharrt unbeweglich mit unveränderter Miene wie ein Standbild aus parischem Marmor. [420] Am Boden liegend, betrachtet er seine Augen – sie gleichen einem Sternenpaar –, das Haar, das eines Bacchus oder eines Apollo würdig wäre, die bartlosen Wangen, den Hals wie

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