Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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schwingen lässt, sie halb füllt und halb leert, ist da draußen im Grunde der einzig Zurechnungsfähige,

      nur um Ihre Frage zu beantworten, was Sie mit dem Rest der Nacht anfangen sollen, aber ich möchte noch etwas anderes beantworten (etwas das Schneidermann, er fragte mich das mal nach einem Matineefilm, welchem hab ich vergessen, vielleicht einem von diesen Homosexuelle-Gleichstellungs-Matineefilmen, die in den letzten drei bis fünf Jahren so beliebt geworden sind):

      warum sind Homosexuelle nie arm? (hast du schon mal einen schwulen Obdachlosen gesehen?, pflegte er zu fragen, ein lesbisches Zimmermädchen?)

      Schneidermann zu mir: Ich denke zunehmend an Homosexualität als eine Methode, mein Verdienstpotenzial zu steigern.

      Schneidermann zu mir: Wenn ich voll und aktiv schwul werde, schaffe ich es bestimmt in eine günstige Lohnsteuerklasse – ich meine, warum sind die denn immer gut genährt und wie aus dem Ei gepellt? oder sind sie das nur im Kino und in der Glotze?

      auch so ein Stereotyp (Schneidermann, er hatte den Apparat von mir, einen PANASONIC, nie eingestöpselt),

      genau, warum wirken Homosexuelle, okay, aber jedenfalls homosexuelle Männer, immer freier als ich? glücklicher und ehrlicher? natürlicher? angepasster?

      und jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit diesem weiblichen, weibischen Argument, wie es so exemplarisch just der hiesige Management-Chef versinnbildlicht, der im Zweiten Rang manisch mit der manikürten Hand herumfuchtelt, als wäre er im letzten Jahr Miss America geworden oder der Papst, oder säße in einem abfahrenden Zug, der gerade ins 19. Jahrhundert abdampft,

      Leon, ich liebe dein Haar! dir steht dieser Anzug so wundervoll!

      was wollen Sie? Sie möchten was? ich kann Sie nicht halb so gut hören wie mich selbst.

      Hören Sie zu, das erste Mal hab ich von ihm gehört,

      hab mich entschlossen, heute Abend darüber zu sprechen, statt die beiden Kadenzen zu spielen, die für dieses Werk schon geschrieben worden sind,

      Herrgott! ist mein Ellbogen heute Abend schlecht drauf,

      meine erste Chance hab ich bekommen, als Szigeti, er wurde krank (Austern), ich bin für ihn und in der sprichwörtlich letzten Minute bei Beethovens Violinkonzert eingesprungen,

      Sie, die Sie aufbrechen, sich von ihren plattgeknitterten Tickets hochwuchten und die Garderobe ansteuern, im Begriff sind, hier zu verschwinden, ich, ich weiß, dass ich abschweife, mich in Unsinnigkeiten ergehe, aber warten Sie! bitte, nur einen Augenblick! langsam,

      stumm,

      pscht: wir wissen alle, wie viel Sie hierfür bezahlt haben, für mich (ich bekomme zehn Prozent), warum bleiben Sie also nicht sitzen und versuchen, die Show zu genießen, sofern Sie nicht schon exodussiert und geflüchtlingt sind? und ich weiß nicht mal, ob ich Ihnen dann Vorwürfe machen würde, weil ich

      (obwohl DAS,

      was geschehen war, muss schlimmer gewesen sein, als es mir jetzt geht),

      denn ich selbst bin rausgekommen, bin weggekommen, hab mich auf den letzten Drücker enteuropäisiert und mit meinem Vater, aber ohne meinen Schneidermann (der mein Vater hätte sein sollen),

      denn Schneidermann, er war ein jüdischer Sturkopf, und ohne meine Mutter, denn die war da schon tot, war schon über den Jordan, tot wie meine ältere und in alle Ewigkeit jüngere, als Kind gestorbene Schwester, tot wie eins meiner Kinder (aber das war später, und da, also da möchte ich nicht drüber reden),

      tot wie Schneidermann jetzt vielleicht, wahrscheinlich ist, weiß ich nicht, auch wenn ich ihn begraben hab,

      tot wie ich bald,

      tot wie die Frau, die nicht tot ist, weil ich ihr das Leben gerettet habe, denn ihr, wenn vielleicht auch nicht ihrem Mann zufolge habe ich ihr das Leben gerettet, denn sie macht geltend, meine Musik (die eigentlich ja nicht mir gehört), dass die ihr das Leben gerettet hat – diese Frau möchte ich Ihnen anvertrauen, nein, eigentlich nur ihren Brief, den einer Mutter, einer Ehefrau, nicht meiner, können sie ja nicht alle sein, einen Brief, den ich hier in der Hosentasche habe, gestatten Sie, dass ich ihn zu meiner Verteidigung auseinanderfalte.

      Wo ist denn meine Brille?

      Er stammt von einer Frau, der ich nie begegnet bin, der Brief – meine jetzige Frau, was und wer immer sie sein mag, hat keinerlei Grund für ihre stets griffbereit liegenden Vorwürfe

      und ist ihr Anwalt zugegen?

      gönnt sich wahrscheinlich eine Pause, genehmigt sich draußen einen Drink, hat morgen früh wahrscheinlich einen Achtzehnlöchertermin mit meiner

      und meine gehört mir, und ich will ihr achtzehn Löcher stechen!

      Verweise führen immer zu neuen Verweisen (krempelt die Ärmel hoch)! und so möge der Hinweis genügen, dass ich diesen Brief erst vor drei Tagen von meinem Agenten bekommen habe, der zwar nicht viel tut, aber eben meine Post sichtet. Und diesen Brief weitergereicht hat. Meinen Dank entgegengenommen hat. Und natürlich seine Provision.

      Die Anrede erspar ich Ihnen, lass ein paar persönliche Details weg, die an all die Teile rühren könnten, an denen Sie nicht gerührt zu werden wünschen, und die Krux bei der Sache,

      abgeleitet vom lateinischen cruciare,

      martern, jedenfalls laut Schneidermann, lautet:

      Nach dem Verlust meiner Aufgaben im leitenden Marketing machte ich eine höllische Depression durch:

      Pam – so heiße ich! – schluckte PAMELOR, PARNATE, PHENELZINSULFAT, PROZAC,

      SELEKTIVE SEROTONIN-WIEDERAUFNAHMEHEMMER

      und aß nichts als Zahnpasta (SENSODYNE COOL GEL, BREATH BOMB)

      und Choco-Moccha-Eiscreme und ab und zu ein paar Becher Rocky Road, also wurde ich dick und schlief nicht mehr, dabei schluckte ich händeweise

      dachte ernsthaft an Suizid und Sie,

      Ihr Beethoven-Konzert, das ich letzte Woche in Los Angeles mitbekommen habe, als mein Mann, mit dem ich seit einem Jahr verheiratet bin, mich da hingeschleift hat, im Nerz über T-Shirt und Jogginghose,

      es klingt vielleicht verrückt, aber seitdem will ich wieder leben, Sie haben das geschafft, und Gott segne Sie dafür.

      Herrgott! wer schreibt noch Briefe? wer kann noch schreiben? wer liest noch? wer weiß noch, wie das geht? hat dafür noch Zeit? besonders wenn man im Kino sitzt, dem einzigen Ort und der einzigen Zeit, wo Schneidermann je las, und Schneidermann, er las viel, las alles, und nicht nur, aber das meiste in seinen späten Jahren in SPIELBERG-Filmen,

      STEVEN-SPIELBERG-Matineefilme waren die einzigen Zeiten und Orte, wo Schneidermann in seinen letzten Jahrzehnten genug innere Ruhe fand, das stille psychische Refugium, wo er sich dem Lesen widmen konnte und zwar immer im Original:

      Damaskios während des Films mit dem Archäologen mit dem Hut,

      Herodot im Film mit dem Juden Dreyfuss und den Außerirdischen,

      und wo er gerade dabei war, alle großen Hs des Hellenismus: Herodot, Hesiod, Hekataios,

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