Solo für Schneidermann. Joshua Cohen
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Er war grau. Schwarz und Weiß kämpften. Juden starben. Ich aß Minzbonbons. Mein linkes Bein schlief ein.
Der Matineefilm kam für einen Monat neu in die Kinos, war aber eigentlich fast ein Jahrzehnt alt, von 1993, glaube ich, es war eine Neuveröffentlichung anlässlich des zehnjährigen Jubiläums, ein Film, der im Jahr darauf einen goldenen Götzen namens OSCAR für den BESTEN FILM gewonnen hatte (1994, ich glaube, es war die 66. Vergabe der Academy Awards durch die Afroamerikanerin, die sich für eine Jüdin hält und Whoopi heißt, glaube ich, aber ich krieg sie immer mit Oprah durcheinander) und noch sechs weitere Schmarotzerpreise für praktisch alles andere absahnte,
und den Film über das Klavier ausstach, der hieß DAS PIANO, den haben Schneidermann und ich gesehen und konnten ihn nicht ausstehen, weil die Schlampe, die der Star vom PIANO war und die auch das titelgebende Klavier spielte, furchtbar war, fand Schneidermann, sie war hoffnungslos, hatte weder Gehör noch Technik.
Der Holocaust-Matineefilm, der bei den Preisen so absahnte, war jedenfalls ein Film von einem Mann mit einem Bart.
Manchmal trägt er auch einen Hut über dem Bart.
Der Film war von einem Mann, der so gut träumt, dass wir alle nicht mehr träumen müssen, wie Schneidermann, er sagte das oft und eifersüchtig,
ein Film vom Lieblingsregisseur meines verschwundenen Freundes, den Sie vielleicht unter dem Namen SPIELBERG kennen.
Es war ein Film über die Juden und die Nazis und über das, was die Nazis den Juden angetan haben, ein Film über einen Mann, der ein Nazi war, der etwas bewirkte, wie alle Menschen auf die eine oder andere Weise etwas bewirken, ein Nazi, der seine Seele rettete, und der Talmud sagt und dieser Film erinnert uns, wer nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt – ach, falls Sie das interessiert: Dieses Sprichwort, das sich der Holocaust-Matineefilm für seine Zwischentitel aneignet, steht in den Sanhedrin 37A, wie meine Tochter, die Rabbinerin, mir letzte Woche erklärt hat, in der Mischna, um genau zu sein, und wörtlich lautet es, wer eine Seele Israels rettet und so weiter und so fort, aber das ist wohl nichts für ein Publikum aus Familienmenschen, wie Schneidermann sagen würde, das ist wohl kaum etwas, das die ganze Familie genießen würde.
Glauben Sie mir, es war SCHINDLERS LISTE:
ein Holocaust-Matineefilm über einen Mann namens Schindler (oder Szyndler)
und seine Liste – Musik von Williams, der im 19. Jahrhundert ein großer Komponist gewesen wäre, Geigensolos von meinem Freund, dem poliomyelitischen Wunderkind, Maestro Itzhak Perlman, meine Damen und Herren:
der Sound ist bombastisch, schwitzig und gichtgeschwollen, dabei ist die Musik noch nicht mal das Schlimmste daran.
Passen Sie auf: Ich möchte gar nicht erst in die Debatte einsteigen, ob das nun eine Dokumentation – oder ein Doku-Drama, wie man das heute wohl nennt – oder reine Unterhaltung ist. WAHR oder FALSCH oder einfach bloß Fiktion, wie Spinoza die Sache kategorisiert; der Wert einer Schilderung des Holocaust von einem, der nicht darin gelitten hat, darunter, danach, aus erster Hand, für Leute wie mich, und im Gegensatz zu Schneidermann, der, wir haben den Terror nie erfahren, wir können also auch alle zusammen nur Annäherungen schaffen, unweigerliche Verfälschungen, und dann geben wir das Entsetzen auf der Leinwand weiter, das Entsetzen dessen,
was geschah, dessen,
was geschehen war – nein, ich werde all diese sinnlosen und so zeitlosen Kontroversen garantiert nicht wieder aufwärmen, und warum? habe ich Angst?
weil sie wertlos sind, weil das ein Film war, weil er so schlecht und so gut wie alle Filme war, weil alle Filme und speziell alle Matineefilme ästhetisch unmittelbar zu Gott sind, zumindest unmittelbar zu mir – dieser Film eroberte und zerstörte über sieben Stunden meines Lebens:
die Laufzeit des Films plus die U-Bahn-Fahrt zum Kino und nach der Vorführung noch mal drei Stunden im Regen von New York, Verschwinden im polnischen Schnee auf der Suche nach dem verschwundenen Schneidermann in Uptown und Downtown,
Erkundigungen bei Platzanweiserinnen, Management, Kartenverkäuferin,
raus aus dem Kino und immer wieder um den Block, aber an welcher Stelle ist Schneidermann denn gegangen, fragen Sie oder auch nicht?
in der Szene mit dem verloren herumlaufenden Mädchen in der roten Jacke?
der Szene, in der Untersturmführer Amon Göth Knall auf Fall anfängt, von der Terrasse seines Hauses in Płaszów aus wahllos auf Menschen zu schießen?
der Szene an jenem prachtvollen Frühlingsmorgen 1943, an dem das Ghetto aufgelöst wird, ein SS-Mann auf dem Klavier eines Juden spielt, ein anderer SS-Mann die behelmte Fresse zur Tür reinstreckt und als der Idiot, der er vom Drehbuch her nun einmal ist, fragt:
Was ist das? Ist das Bach?
lautet die Antwort, Nein, Mozart, dabei ist es die Englische Suite Nr. 2 in a-moll,
aber es war nichts so Dramatisches, nichts mit so bombastischer Tragweite:
es war eine vertrauliche Szene mit dem, ich glaube, das ist ein Ire, und dem glatzköpfigen Tommy, Ben Kingsley, der seinen besten Gandhi raushängen lässt und die Liste abtippt, da ist er gegangen.
Hudes, Isak, stand auf der LISTE,
Feber, Ludwig, stand auf der LISTE, und Schneidermann, er ging,
denn warum hätte Schneidermann sich das ansehen sollen? Er musste das leben. Er hatte das überleben müssen, um das zu leben. Aber ein Paar hinter uns – nein, nicht am Rumknutschen –, die einzigen Kinobesucher außer uns, sie mussten das nicht leben, und daher war die Inkarnation oben auf der Leinwand so entsetzlich,
und erhoffen Sie sich von mir keine Erbaulichkeit, nein, ich werde nicht einmal meinen eigenen Schmerz preisgeben:
Schneidermann, er war nicht in Tränen aufgelöst, nein, Schneidermann, er war nicht einmal aufgewühlt – Tatsache war, dass Schneidermann einfach aufstand und ging, Tatsache war, dass wir beide die einzigen Kinobesucher waren,
Matineejunkies,
die zwei Zeugen, die der Talmud für die erfolgreiche Anklage eines Straftäters vorschreibt (aber der eine war gegangen, und SPIELBERG lebt drüben in L.A.),
in Wahrheit habe ich das Paar hinter uns erschaffen, um eine Reaktion zu erschaffen, ein Gegenüber: wir brauchen immer ein Publikum.
Schneidermann und ich gingen jeder für sich zu dem letzten Matineefilm, sahen ihn aber zusammen am Ende seiner Wiederaufführung zum zehnjährigen Jubiläum, als er wieder in ausgewählte Kinos kam, keine Ahnung, nach welchen Kriterien sie die auswählen, aber,
um seine zehn Jahre als Film zu feiern, seine zehn Jahre des Filmseins, der Filmizität, seine zehn Jahre als Kunstwerk, als OSCARGEWINNER,
OSCAR, übrigens auch Schindlers Vorname, nur anders buchstabiert, urheberrechtlich geschützt, Markenartikel, egal – neun Jahre nachdem er gewonnen und abgesahnt hatte, alles abgeräumt, oder fast alles, glaube ich, sogar den Oscar für die MUSIK, glaube ich oder bilde ich mir ein, weil es meiner Beweisführung dienen würde, der Film etablierte Mittelmäßigkeit als Standard,
etablierte den Dreck, den Scheiß als nicht nur für uns