Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

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Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen

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zweiten und letzten Satzes, die ohne ihre Orchestrierung, ohne Anerkennung, Danksagung oder auch nur einen vordatierten persönlichen Scheck an Arnold Schönberg aus Der biblische Weg des Meisters von 1926/27 entnommen wurden, in dem sich schon das spätere Opernmeisterwerk Moses und Aron ankündigt, wobei die beiden Tafelbrüder zu einer Figur verschmelzen, einem Max Aruns, ein Name, den Schneidermann als Pseudonym benutzte, als er in den Fünfzigern und Sechzigern in dem von Kakerlaken befallenen und rattenschissverspachtelten Stehplatz an der Westside lebte, bevor ich dort einzog,

      oder dass Schönberg, wie er sich ursprünglich schrieb, in seinen neuen Papieren Schoenberg, in Los Angeles, im schönen Kalifornien, das Ding nicht vollenden konnte, sich nicht überwinden konnte, seine letzte und einzige Oper zu vollenden, allem zum Trotz den dritten und letzten Akt nicht vollenden konnte, wie Keine-Lyrik-nach-Auschwitz-Adorno aufzeigte, der selbst dem Schweigen, der Formlosigkeit und dem Nichts zum Opfer fiel; Zunichtewerden als Strafe für den Verstoß gegen das zweite Gebot gegen die Anfertigung oder Neugestaltung von Götzenbildern, die Moses da irgendwann irgendwo zerschlägt, während Schönberg jahrelang! jahrelang! – in Amerika, am Pazifik, dem falschen Ozean – er zögerte, die erste und einzige Szene von Akt III, dem letzten Akt, zu vertonen, oder dass er kurz vor seinem Tod doch einwilligte – oder einlenkte? – jedenfalls erklärte er sich einverstanden, dass der dritte Akt seines Meisterwerks »ohne Musik, bloß gesprochen aufgeführt wird«, falls er die Komposition in seinen letzten Tagen nicht vollenden könne, was er nicht konnte und was sie waren,

      die ersten beiden Akte des besagten Werks funktionieren aber, zumindest in meinem Ohr (oder in meiner Erinnerung, denn die ersten, letzten und einzigen Male hörte ich es einmal von Schneidermann und einmal in der Met, wo ich während der Szene ums Goldene Kalb mit einer Kuh von Komparsin schlief),

      sie hören sich absolut wie ein absolut unironisches Plagiat in ganz und gar böser Absicht an – wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, denn Schneidermann, er war oft mein Gedächtnis, und in einem seltenen Augenblick der Stärke fasste er sich ein Herz und stellte klar: dass jene Oper in der Tat großenteils ein Takt-für-Takt- und oft sogar Note-für-Note-für-Note-Diebstahl von seiner, Schneidermanns, eigener und einziger Oper war, Die Ziege von 1932/33,

      La Capra, wie sie in der alten Sprache der Oper geheißen hätte, war seine einzige, erste und letzte Oper: ein Bombenerfolg, durch den sich für ihn alles veränderte, was sich ein paar Jahre später, sieben, sechs, erneut verändern sollte, ihm haufenweise Ruhm und Geld einbrachte, was er durch den Krieg schnell wieder einbüßte, mit dem Libretto eines gewissen Zed Hofmeister (mit einem f, wie er einem einschärfte), einem vor Schönheit aufgeblasenen Salonlöwen aus Berlin, der Schneidermann erst seine Schwester und dann seine Frau umwerben ließ, während er selbst loszog und Ärsche lutschte oder jedenfalls alles Mögliche anstellte, außer an der Ziege zu arbeiten (durch die Post brauchte er drei Jahre),

      sein Libretto handelt von einem ausgeleierten wenn nicht damals schon total abgedroschenen jüdischen Thema, wobei das natürlich alle Themen sind und absolut alles jüdisch ist, wenn man zu dem Typ Jude gehört, aber Sie werden verstehen, dass wir – sie – auch damals, was zumindest den meisten von Ihnen hier wie eine Ewigkeit her vorkommen muss, von einem sinaihohen Gipfel der Weltkultur herab die gesamte Schtetl-Ästhetik ausschlachteten,

      genau wie der schmalzige Chagall

      und später der Nobel-Singer,

      um damit unser eigenes Süppchen zu kochen, unseren eigenen Aberglauben auf die Schippe zu nehmen, derweil wir die Gojim als Moderne überholten, ihren Nationalismus aushebelten oder zumindest verurteilten, während wir uns an unseren klammerten, in allen vier zehn Szenen langen Akten der Ziege und darüber hinaus in der Welt (die Ouvertüre war beliebt und wurde damals oft ausgekoppelt aufgeführt), in der, ich hasse Zusammenfassungen und Sie sollten das auch:

      in der also ein reicher Herzog, der nichts anbrennen lässt, und andere gibt es ja wohl auch gar nicht, nein, Moment, das ist ein Baron, van oder von Irgendwas,

      könnte gut ein kleines halb deutsches, halb österreichisches Blaublut namens Gregor van Vonvon gewesen sein, das Libretto hatte jedenfalls den entsprechenden Reifegrad,

      dieser Baron van oder von Baron verliert jedenfalls seine Männlichkeit, der Typ verwelkt einfach, ein laublütiges Blaublut, und es muss wohl nicht eigens erwähnt werden, dass das lange vor dem Aufkommen der kleinen blauen Pillen ist, eine kleine Unendlichkeit vor den 100 mg pro Dosis oder sind das Tabletten von PFIZER? also er bringt jedenfalls keine Leistung, keine Kur schlägt an, nichts, auch wenn er im ersten Akt alles ausprobiert: beten und noch mal beten, den Verzehr der verschiedensten Wurzeln und Knollen, primitive Saugtherapien, bei denen hinter den Kulissen gedämpfte Posaunen zum Einsatz kommen, einmal geht der Vorhang vor dem ganzen Zinnober auf und zeigt ihn im Bett mit einer seiner vielen Frauen, einem Bauernmädchen, das ihn bloß auslacht, lacht und lacht, »ihr Lachen bauscht den Damastbaldachin des eichenen Himmelbetts zu Wolken, die die untergehende Sonne purpurn färbt« – so viel zu Hofs Regieanweisungen! Das ist die erste und meines Wissens einzige reine Lacharie im gesamten Opernrepertoire, eine Arie, in der eine heitere Hetäre, Das Bauernmädchen (in diesem Fall, ihrem Debüt, ein Mezzosopran mit Glupschaugen, Pferdefresse und schlagringharten Nippeln), zur Musik einfach nur lacht, gewiss, in festgelegten Tonhöhen, aber das war ästhetisch und formal gesehen die einzige Neuerung gegenüber der sogenannten Sprechstimme, mit der Schönberg im Pierrot Lunaire zwei Jahrzehnte zuvor Neuland betreten hatte,

      aber nicht nur diese Arie, die schon den formalen, wenn nicht ästhetischen Höhepunkt der Technik darstellt, sondern alle Zeilen, die gesamte Rolle dieses tuberkulösen, schwindsüchtigen, spitzknochigen Mezzos besteht nur aus Lachen, eigentlich sind alle Zeilen aller Frauen des Barons (mit Ausnahme seiner Ehefrau, der Baronin), und deren gibt es viele (Frauen, nicht Zeilen), nur Lacher auf einer festgelegten Tonhöhe, der gute alte Hof stand nicht gerade auf harte Arbeit, daher dieses ständige Lachen, Lachen, Lachen, Mann, wie ich Opern hasse!, und ein seltsamer alter jüdischer Arzt, nein Rabbi, überzeugend dargestellt von einem Debütanten namens Hans irgendwas mit K, der geht eines Tages spazieren, sagen wir, er will seine notleidende Schwester besuchen oder ist zu einem Sabbatauftritt meinetwegen in Kasrilevke unterwegs und wird fast überfahren, der Baron macht ihn mit seiner Kalesche fast platt, seiner Kutsche, keiner ungarischen kocsi, auf die das Wort zurückgeht – MADE IN KOCS –, eher einem deutschen Landauer, auf Schneidermanns Drängen hin unterwegs zu einem therapeutischen Serail, was Hof nicht weiter ausgestaltet hatte, denn der musste die Überarbeitung abbrechen, weil er in Davos einen dringenden, wenn auch verfrühten Termin mit dem Tod hatte, und der Baron vertraut dann dem Rabbi – bei dem er sich für den um ein Haar tödlich ausgegangenen Unfall natürlich nicht entschuldigt, und außerdem lässt er erst noch die Peitsche mit sexuellem Unterton an seinem Postillion, einem Mohren, aus – prompt sein winziges Impotenzproblemchen an, und der Rabbi rät ihm, sich eine Ziege zu besorgen, ganz recht, eine Ziege, sie in seinem Zimmer einzuquartieren, nur sie und sich im baronalen Bett im baronalen Schlafzimmer schlafen zu lassen und zwar bis zum Anbruch des jüdischen Monats Nisan, um Ostern herum, wie der Rabbi erklärt, rund drei Monate nach der fast tödlich ausgegangenen Kollision mit dem Tötungsfahrzeug, dann werde er geheilt sein, und der Baron kommt dem Rat nach – was bleibt ihm auch anderes übrig? –, lässt sich aus den Stallungen eine Ziege kommen, liebevoll aufgezogen und jetzt die einzige Freundin eines armen Stalljungen, der bloß den ganzen Tag Flöte spielt (pantomimisch, aber aus dem Orchestergraben hört man dazu eine Piccoloflöte, eine normale Querflöte, eine Altquerflöte und in einem denkwürdigen, 24 Takte langen Solo eine mit Flatterzunge gespielte Bassflöte, ein Instrument, das von Rudall Carte & Company erst ein Jahr zuvor perfektioniert worden war, und zwar auf Grundlage des Böhm-Griffsystems, dessen Patentinhaber mit dem Flötisten der Uraufführung irgendwie verschwägert war),

      dieser so arme wie junge, Flöte spielende Stalljunge liebt jedenfalls die Herzogin (die Femme fatale der verfemten Kunst),

      und die Baronin liebt ihn auch, und es ist natürlich schon seit Jahren ein offenes

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