Ein Zimmer für sich allein. Virginia Woolf

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Ein Zimmer für sich allein - Virginia Woolf Gatsby

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den Innenhof strich, veränderte durch eine Zufallsregung des unbewussten Intellekts das emotionale Licht für mich. Als hätte jemand ein Rouleau heruntergelassen. Vielleicht ließ die Wirkung des vorzüglichen Weißweins nach. Natürlich, als ich zusah, wie die Manx-Katze mitten auf dem Gras anhielt, als würde auch sie das Universum in Frage stellen, schien etwas zu fehlen, schien etwas anders zu sein. Aber was fehlte, was war anders, fragte ich mich, während ich der Unterhaltung zuhörte. Und um diese Frage zu beantworten, musste ich mich aus dem Zimmer hinausdenken, zurück in die Vergangenheit, sogar bis in die Zeit vor dem Krieg, und mir das Muster einer anderen Lunchgesellschaft vor Augen führen, die in nicht weit entfernt gelegenen, aber anderen Zimmern stattgefunden hatte. Alles war anders. Inzwischen ging die Unterhaltung unter den Gästen weiter, die zahlreich und jung waren, die einen diesen, die anderen jenen Geschlechts; sie ging geschmeidig weiter, sie ging einvernehmlich weiter, frei, lebendig. Und während sie weiterging, hörte ich sie vor dem Hintergrund dieser anderen Unterhaltung, und als ich beide übereinanderlegte, hatte ich keinen Zweifel, dass die eine die Nachfahrin der anderen war, ihre rechtmäßige Erbin. Nichts hatte sich gewandelt; nichts war anders, außer – hier hörte ich mit großen Ohren nicht ausschließlich auf das, was gesagt wurde, sondern auf das Raunen oder die Strömung dahinter. Ja, das war es – das war der Wandel. Vor dem Krieg hätten die Leute bei einer Lunchgesellschaft genau die gleichen Dinge gesagt, aber sie hätten sich anders angehört, denn damals wurden sie von einer Art Summen begleitet, nicht deutlich, aber melodisch, aufregend, das den Wert der Worte veränderte. Könnte man dieses Summen in Worte fassen? Mithilfe der Dichter könnte man das vielleicht. Ein Buch lag neben mir, und als ich es aufschlug, blätterte ich eher unabsichtlich zu Tennyson. Und stieß auf etwas, was Tennyson sang:

      Von Passionsblumenranken am Tor

      Rinnt eine Träne ins Moos.

      Ah, sie kommt, die mein Herz sich erkor,

      Sie kommt, mein Leben, mein Los.

      Rotrose ruft: »Sie ist nah, sie ist nah«,

      Weißrose weint: »Verspätet sie sich?«

      Rittersporn lauscht: »Sie ist da, sie ist da«,

      Lilie flüstert: »Gedulde dich.«

      War es das, was Männer vor dem Krieg bei Lunchgesellschaften summten? Und die Frauen?

      Mein Herz ist wie ein Vogel heut’

      Dem dichtes Laub sein Nest umflicht;

      Mein Herz ist wie ein Apfelbaum,

      Dem jeder Ast von Früchten bricht;

      Mein Herz ist wie ein Muschelhaus,

      Das schwimmt im tiefdurchsonnten Meer,

      Und noch viel froher ist mein Herz,

      Mein Liebster kam zu mir daher.[4]

      War es das, was Frauen bei Lunchgesellschaften vor dem Krieg summten?

      Die Vorstellung, dass vor dem Krieg Menschen solche Dinge, wenn auch nur unter vorgehaltener Hand, bei Lunchgesellschaften gesummt hatten, war so skurril, dass ich auflachte und mein Gelächter erklären musste, indem ich auf die Manx-Katze zeigte, die tatsächlich ein wenig absurd aussah, armes Tier, ohne Schwanz, mitten auf dem Rasen. War sie wirklich so geboren worden, oder hatte sie ihren Schwanz bei einem Unfall verloren? Die schwanzlose Katze ist seltener, als man denkt, obwohl es einige von ihnen auf der Isle of Man geben soll. Sie ist ein eigenartiges Tier, eher bizarr als hübsch. Es ist seltsam, was ein Schwanz für einen Unterschied bedeutet – Sie wissen schon, was man so sagt, wenn sich die Lunchgesellschaft auflöst und die Leute sich ihre Hüte und Mäntel holen.

      Diese hatte dank der Großzügigkeit des Gastgebers bis weit in den Nachmittag hinein gedauert. Der schöne Oktobertag verblasste, und die Blätter fielen von den Bäumen der Allee, die ich entlang ging. Hinter mir schien sich ein Tor nach dem anderen mit sanfter Endgültigkeit zu schließen. Unzählige Pedelle steckten unzählige Schlüssel in gut geölte Schlösser; das Haus der Schätze wurde für eine weitere Nacht gesichert. Von der Allee kommt man auf eine Straße – ich vergesse immer ihren Namen –, die, wenn man richtig abbiegt, weiter nach Fernham führt. Aber es war noch viel Zeit. Dinner gab es nicht vor halb acht. Nach einem solchen Mittagessen wäre man auch gut ohne Dinner ausgekommen. Es ist seltsam, wie der Fetzen eines Gedichts in Gedanken arbeitet und die Beine im Takt dazu die Straße entlanggehen lässt. Diese Worte –

      Von Passionsblumenranken am Tor

      Rinnt eine Träne ins Moos.

      Ah, sie kommt, die mein Herz sich erkor –

      sangen mir im Blut, als ich schnell in Richtung Headingley ging. Und dann, in das andere Versmaß umschaltend, sang ich beim aufgewühlten Wasser am Wehr:

      Mein Herz ist wie ein Vogel heut’

      Dem dichtes Laub sein Nest umflicht;

      Mein Herz ist wie ein Apfelbaum …

      Was für Dichter, rief ich laut aus, wie man es in der Dämmerung eben tut, was für Dichter sie waren!

      Mit Blick auf unser eigenes Zeitalter fragte ich mich wohl mit einer gewissen Eifersucht, so albern und absurd solche Vergleiche auch sind, ob man tatsächlich zwei lebende Dichter von der Größe nennen könnte, die Tennyson oder Christina Rossetti einst hatten. Es ist offenkundig unmöglich, sie zu vergleichen, dachte ich, während ich ins schäumende Wasser blickte. Der Grund, warum uns diese Lyrik so maßlos, so überschwänglich begeistert, liegt darin, dass sie ein Gefühl feiert, das man einmal hatte (etwa bei Lunchgesellschaften vor dem Krieg), und demzufolge leicht und in vertrauter Weise darauf reagiert, ohne sich die Mühe machen zu müssen, das Gefühl zu überprüfen oder es mit einem zu vergleichen, das man jetzt hat. Die lebenden Dichter dagegen drücken ein Gefühl aus, das gerade im Entstehen ist und uns augenblicklich entrissen wird. Zuerst ist es nicht zu erkennen; oft fürchtet man es aus irgendeinem Grund; beobachtet es scharf und vergleicht es eifersüchtig und argwöhnisch mit dem alten Gefühl, das man kannte. Daher die Schwierigkeit moderner Lyrik; und aufgrund dieser Schwierigkeit erinnert man sich an nicht mehr als zwei aufeinanderfolgende Zeilen eines beliebigen guten modernen Dichters. Aus diesem Grund – dass mein Gedächtnis mich im Stich ließ – ging meinem Argument wegen Mangel an Material die Luft aus. Aber warum, fuhr ich fort, während ich in Richtung Headingley weiterging, haben wir aufgehört, bei Lunchgesellschaften leise vor uns hin zu summen? Warum singt Alfred nicht länger

      Ah, sie kommt, die mein Herz sich erkor.

      Warum hat Christina aufgehört zu erwidern

      Und noch viel froher ist mein Herz,

      Mein Liebster kam zu mir daher.

      Sollen wir dem Krieg die Schuld geben? Als die Geschütze im August 1914 zu feuern begannen, zeigten sich da die Gesichter von Männern und Frauen so deutlich in den Augen der jeweils anderen, dass die Romantik ausgelöscht wurde? Sicher war es ein Schock (besonders für die Frauen mit ihren Illusionen über die Bildung und so weiter), die Gesichter unserer Herrscher im Licht des Granatfeuers zu sehen. Wie hässlich sie aussahen – deutsche, englische, französische –, wie dumm. Aber wem oder was immer man die Schuld gibt, die Illusion, die Tennyson und Christina Rossetti dazu beflügelte, so leidenschaftlich die Ankunft der Geliebten zu besingen, ist heute viel seltener geworden als damals. Man braucht nur zu lesen, sich umzuschauen, zuzuhören, sich zu erinnern. Aber warum von »Schuld« reden? Warum, wenn es eine Illusion war, nicht die Katastrophe preisen, welche

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