Wo die Liebe ist, da ist auch Gott. Leo Tolstoi

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Wo die Liebe ist, da ist auch Gott - Leo Tolstoi

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Flasche gesessen hatte, war er zwar nicht betrunken, ging aber doch etwas angeheitert aus dem Wirtshaus und redete dummes Zeug, schrie die Leute an und sprach schlecht von ihnen. Jetzt war dies alles ganz von ihm abgefallen. Sein Leben war still und freudevoll. Frühmorgens setzte er sich an die Arbeit, arbeitete seine bestimmte Zeit, nahm dann das Lämpchen von der Wand, stellte es auf den Tisch, holte das Buch vom Regal, schlug es auf und fing an zu lesen.

      Und je mehr er las, desto mehr verstand er, und desto heller und froher wurde es in seinem Herzen.

      Einmal geschah es, dass Martin bis spät in die Nacht gelesen hatte. Er las im Evangelium des heiligen Lukas, las das sechste Kapitel und kam an die Verse: »Und wer dich schlägt auf einen Backen, dem biete den anderen auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem wehre nicht auch den Rock. Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, da fordere es nicht wieder. Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, also tut ihnen gleich auch ihr.« Und weiter las er die Verse, in denen der Herr spricht: »Was heißt ihr mich aber Herr, Herr, und tut nicht, was ich euch sage? Wer zu mir kommt und hört meine Rede und tut sie, dem will ich auch zeigen, wem er gleich ist. Er ist gleich einem Menschen, der ein Haus baute und grub tief und legte den Grund auf den Fels. Da aber Gewässer kam, da riss der Strom zum Hause zu und konnte es nicht bewegen, denn es war auf den Fels gegründet. Wer aber hört und nicht tut, der ist gleich einem Menschen, der ein Haus baute auf die Erde ohne Grund; und der Strom riss zu ihm zu, und es fiel alsbald, und das Haus gewann einen großen Riss.«

      Als Awdejitsch diese Worte gelesen hatte, wurde er froh in seinem Herzen. Er nahm die Brille ab, legte sie aufs Buch, stützte die Ellbogen auf den Tisch und versank in Nachdenken. Und er fing in Gedanken an, sein Leben mit diesen Worten der Schrift zu vergleichen. Und er dachte bei sich also: ›Wie ist mein Haus gebaut – auf Felsen oder auf Sand? Gut, wenn es auf Felsen gebaut ist. Es scheint so leicht: man sitzt allein und glaubt, man hätte alles getan, was Gott befiehlt – aber wie leicht lässt man sich zerstreuen und versündigt sich wieder. Ich will mich noch immer weiter bemühen. Es ist ja so schön! Hilf mir dazu, Herr Gott!‹

      So dachte er und wollte zu Bett gehen, aber er konnte sich nicht von dem Buch losreißen. Und er fing noch das siebente Kapitel an zu lesen. Er las die Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum, vom Sohn der Witwe zu Nain, von der Antwort, die den Jüngern des Johannes erteilt wurde, und kam an die Stelle, wo der reiche Pharisäer den Herrn zu sich zu Gast geladen hatte. Er las, wie die Sünderin dem Herrn die Füße salbte, sie mit ihren Tränen netzte und wie er ihr die Sünden vergab. So gelangte er bis zum vierundvierzigsten Vers und las:

      »Und er wandte sich zu dem Weibe und sprach zu Simon: Siehest du dies Weib? Ich bin gekommen in dein Haus; du hast mir nicht Wasser gegeben zu meinen Füßen; diese aber hat meine Füße mit Tränen genetzt und sie mit den Haaren ihres Hauptes getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben, diese aber, nachdem sie hereingekommen ist, hat nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salbe gesalbt.«

      Als er diese Verse gelesen hatte, dachte er bei sich: ›Wasser zu den Füßen hast du mir nicht gegeben, einen Kuss hast du mir nicht gegeben, das Haupt nicht mit Öl gesalbt …‹

      Und wieder nahm Awdejitsch die Brille ab, legte sie aufs Buch und versank wieder in Nachdenken. ›Der Pharisäer war gewiss so wie ich … hat auch wie ich nur an sich selber gedacht. Wie er gemütlich seinen Tee trinken und warm und wohl sitzen könnte, ohne dabei viel an seinen Gast zu denken. Nur an sich selber hat er gedacht, nicht die geringste Mühe hat er sich mit seinem Gast gegeben. Wer aber war sein Gast? Der Herr Gott selber. Wenn er nun zu mir käme, würde ich es wohl auch so machen?‹ Und Awdejitsch stützte sich auf beide Ellbogen und saß da und merkte nicht, wie er einschlummerte.

      »Martin«, flüsterte es plötzlich dicht an seinem Ohr. Er fuhr aus seinem Halbschlaf auf: »Wer ist da?« Er blickte um sich, sah nach der Tür – niemand. Da duselte er wieder ein. Plötzlich hörte er ganz deutlich: »Martin, he, Martin! Sieh morgen auf die Straße hinaus, ich will zu dir kommen.«

      Awdejitsch wachte auf, erhob sich vom Stuhl, rieb sich die Augen. Und er wusste nicht, ob er diese Worte im Traum oder in Wirklichkeit gehört hatte. Da drehte er die Lampe aus und ging schlafen.

      Am anderen Morgen vor Tagesanbruch erhob sich Awdejitsch, sprach sein Morgengebet, machte Feuer im Ofen, setzte die Krautsuppe und die Grütze auf, brachte den Samowar in Gang, band seine Schürze um und setzte sich ans Fenster an seine Arbeit.

      Awdejitsch saß da und arbeitete und dachte dabei unablässig an das gestrige Erlebnis. Und er dachte zweierlei: einmal, dass er geträumt habe, und dann wieder, dass er die Stimme wirklich gehört habe. ›Warum nicht?‹, dachte er. ›So etwas ist ja schon vorgekommen.‹

      So saß Awdejitsch am Fenster und schaute immer wieder hinaus. Und wenn jemand vorbeiging, der Schuhe anhatte, die er noch nicht kannte, dann reckte er sich und guckte aus dem Fenster, um nicht nur die Füße, sondern auch das Gesicht zu sehen. Der Hausknecht in neuen Filzstiefeln ging vorüber, dann der Wasserträger, dann ein alter Soldat aus Kaiser Nikolaus’ Armee in alten, geflickten Filzstiefeln mit einer Schaufel in der Hand. Awdejitsch erkannte ihn an den Filzstiefeln. Der Alte hieß Stepanytsch und wohnte nebenan beim Kaufmann, der ihn aus Gnade und Barmherzigkeit aufgenommen hatte. Er half dem Hausknecht bei seiner Arbeit. Nun fing Stepanytsch an, vor Awdejitschs Fenster den Schnee wegzuschaufeln. Awdejitsch sah ihm eine Zeit lang zu und machte sich dann wieder an seine Arbeit. »Ich bin wohl närrisch geworden auf meine alten Tage«, spottete er über sich selbst, »Stepanytsch schippt Schnee, und ich bilde mir ein, der Herr Christus käme zu mir. Bist ganz dumm geworden, alter Tropf!«

      Aber kaum hatte Awdejitsch ein Dutzend Stiche gemacht, da zog es ihn wieder zum Fenster. Wieder schaute er hinaus und sah, dass Stepanytsch die Schaufel an die Mauer gestellt hatte und sich wärmte oder einfach ausruhte.

      Er war ein alter, gebrechlicher Mann, und man sah es ihm an, dass das Schneeschippen über seine Kräfte ging. Da dachte Awdejitsch: ›Soll ich ihm vielleicht Tee geben? Mein Samowar kocht ja schon über!‹ Er steckte die Ahle ein, stand auf, stellte den Samowar auf den Tisch, brühte den Tee auf und klopfte mit den Fingern ans Fenster. Stepanytsch drehte sich um und trat zum Fenster. Awdejitsch winkte ihm und ging hinauf, ihm die Tür zu öffnen.

      »Komm herein und wärme dich ein bisschen«, sagte er, »du frierst doch sicher.«

      »Gott lohn’s dir, mir tun wahrhaftig alle Knochen weh«, sagte Stepanytsch und trat ein. Er schüttelte den Schnee ab, wischte sich die Füße, um den Fußboden nicht zu beschmutzen, und taumelte dabei.

      »Bemüh dich nicht, ich will schon aufwischen. Bei uns ist das mal nicht anders. Komm nur herein, setz dich«, sagte Awdejitsch. »Da, trink Tee.«

      Awdejitsch schenkte zwei Gläser ein, schob eins dem Gast hin, goss den Inhalt des seinen auf die Untertasse und pustete.

      Stepanytsch trank sein Glas leer, drehte es um, legte den Zuckerrest drauf und bedankte sich. Man sah es ihm aber an, dass er gerne noch getrunken hätte.

      »Trink nur noch«, sagte Awdejitsch und goss sich und dem Gast ein zweites Glas ein. Awdejitsch trank seinen Tee und guckte dabei immer wieder zum Fenster hinaus.

      »Du erwartest wohl jemand?«, fragte der Gast.

      »Ob ich jemand erwarte? Fast schäme ich mich zu sagen, wen ich erwarte. Ich warte nicht eigentlich, aber ein Wort hat mir ans Herz gegriffen. Siehst du wohl, mein Lieber, gestern habe ich im Evangelium unseres Herrn und Heilands gelesen, wie er litt und wie er auf Erden wandelte. Hast wohl auch davon gehört?«

      »Freilich«, antwortete Stepanytsch, »aber wir sind ja ungebildete Leute, wir haben lesen nicht gelernt.«

      »Na,

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