Schärengrab. Carsten Schütte

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Schärengrab - Carsten Schütte

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Armen direkt auf die spielenden Kleinkinder im Sandkasten zu, die ängstlich schreiend zu ihren Müttern tapsten. Väter sprangen auf und verharrten in der skurrilen Szene.

      Abwarten war nicht der Stil von Thomas Schulte. Er stürzte sich auf den Riesen, trat ihm in die Kniekehlen und schrie in englischer Sprache: „Stop, police! Don’t move!“

      Der kräftige Troll fiel im Sandkasten nach vorn um wie ein Baum. Thomas hatte eigentlich mit einem heftigen Kampf gerechnet, in dem er seinem Gegenüber körperlich völlig unterlegen war und hatte auf rasche Verstärkung der norwegischen Kollegen gehofft. Es kam anders.

      Der Troll drehte sich demütig auf den Rücken, riss beide Arme schützend vor sein Gesicht und schrie ängstlich wie ein Kind: „Nei! Ikke slå!“, was auf Deutsch etwa „Nein! Nicht schlagen!“ bedeutete.

      Thomas wurde von uniformierten Polizisten von dem kreischenden Riesen gerissen. Maik zog seinen Kollegen am Ellenbogen eingehakt weg.

      „Wolltest du nicht auf uns warten?“, warf er Thomas vor.

      „Was sollte ich tun? Er hat plötzlich Kinder angegriffen. Hast du die Unterarme und Hände gesehen? Das ist mit Sicherheit Blut“, rechtfertigte sich der junge Profiler.

      Einer der Beamten der Polizei Bergen klärte die beiden deutschen Polizisten vorwurfsvoll auf, dass der Troll hier ein amtsbekannter, geistig behinderter junger Mann namens Børre Thorsen war. „Er ist täglich hier und gehört zum Inventar. Der tut keiner Fliege was“, kritisierte er den Einsatz der deutschen Polizisten.

      Maik sprach seinen uniformierten Kollegen auf die Blutanhaftungen an den Händen und Armen an, was der Polizist nur mit einem Augenrollen kommentierte. Als ihn der Fallanalytiker weiter bat, einen Blick in die bunte Damentasche werfen zu dürfen, reagierte der Beamte fast aggressiv und forderte die beiden deutschen Kollegen auf, sich zu entfernen. Ansonsten drohte er an, ein Verfahren wegen des Angriffs auf Børre Thorsen einzuleiten. Eine Polizistin half dem Riesen auf, strich ihm tröstend über den Kopf und redete beruhigend auf ihn ein. Thomas hatte seinen Chef telefonisch über die Situation auf dem Spielplatz informiert, der in Begleitung der beiden Politibetjents aus Oslo unmittelbar dazustieß.

      Sie ließen sich kurz die Lage erklären. Magnus Andersen wies den abweisenden Beamten aus Bergen an, die Damentasche an sich zu nehmen und deren Inhalt zu überprüfen. Der Troll schrie bei diesem Versuch wieder laut auf und vergrub die Tasche unter seinen mächtigen, vor der Brust verschränkten Oberarmen. Die tröstende Polizistin sprach weiter besänftigend auf Børre Thorsen ein, bis er ihr die bunte Handtasche überließ.

      Im Inneren fand sich ein rosafarbenes Handy der Marke Samsung Galaxy S 10 sowie eine Geldbörse samt Ausweis einer 19-jährigen jungen Frau mit langem blonden lockigen Haar.

      Magnus Andersen nahm das Zepter der Ermittlungsführung an sich. „So, Kollegen, Børre Thorsen ist wegen Mordverdacht festgenommen. Ingrid, fahr bitte mit in die Bergener Dienststelle und veranlasse alles Notwendige. Sicherstellung seiner Klamotten, rechtsmedizinische Untersuchung, Sicherung der Blutspuren, erkennungsdienstliche Behandlung samt Speichelabstrich zum DNA-Abgleich. Versucht, ihn in psychologischer Begleitung zu vernehmen. Vielleicht gibt es schon einen Betreuer, der euch unterstützen kann. Bitte das volle Programm.“

      Ingrid Larsen nickte nur und bat die uniformierte Polizistin: „Sie haben einen guten Draht zu ihm. Würden Sie uns bitte begleiten?“

      Erst nach einem vorwurfsvollen Blick des bulligen Beamten aus Oslo, legte der genervte Polizist dem Tatverdächtigen Handschellen an und führte ihn zum Einsatzwagen.

      Die sichergestellte Tasche wurde in einer transparenten Spurensicherungstüte transportiert und am Tatort den Kriminaltechnikern übergeben.

      Während die Spezialisten den Tatort weiter akribisch abarbeiteten, fuhren Carlotta und Thorsten mit Politibetjent 1 Larsen in die Bergener Dienststelle, dem Hordaland Politidistrikt, und ließen sich als Zeugen zum Leichenfund und der Verfolgungssituation am Tatort vernehmen.

      Das restliche Profilerteam hatte sich zwischenzeitlich beraten, zur Talstation zu fahren, um sich im Zentrum von Bergen die Beine zu vertreten und auf die beiden Kollegen zu warten.

      In der Mittagssonne schlenderte das Viererteam aus Hannover durch die schmalen Gassen und engen Passagen des beeindruckenden Hafenviertels Bryggen, in dem die Vergangenheit Bergens wieder lebendig zu werden schien.

      Im Jahre 1702 waren die meisten Bauwerke in Bryggen durch einen Großbrand zerstört worden. Beim Wiederaufbau hatte man den alten Baustil wieder hergerichtet, sodass die Architektur mit aktuell 61 denkmalgeschützten Gebäuden heute noch wie im 12. Jahrhundert wirkt und zu einem der bekanntesten Mittelaltervierteln Norwegens zählt.

      Sie erwarteten jederzeit den Anruf von Thorsten und Carlotta und waren nicht nur gespannt, was die Ermittlungen ergeben hatten. Die vier Profiler hatten die Befürchtung ihres Leiters nicht ernst genommen und mussten akzeptieren, dass sich die Entspannungsphase ihrer Kreuzfahrt dem Ende zuneigte.

      Carlotta und Thorsten wurden von unterschiedlichen Beamten des Hordaland Politidistrikts zeitgleich als Zeugen vernommen. Die Politibetjents Larsen und Andersen hatten sich aufgeteilt. Sie unterstützten nicht nur als Dolmetscher, sondern konnten auch ihre Informationen zum Mord von Oslo in die aktuellen Ermittlungen mit einbringen. Ingrid war bei der Befragung der Psychologin und Magnus bei der des OFA-Leiters zugegen.

      Die Vernehmung führte ein junger dynamischer Politiadvokat in Uniform, der offensichtlich der Leiter der hiesigen Mordermittlungen war. Nach den allgemeinen Fragen zu seinen Beobachtungen versuchte Thorsten Büthe seine Vermutung zu begründen, dass sein Profilerteam durch die ihm zugesteckte Skizze gezielt zum Leichenfundort geführt werden sollte. Weiter führte er aus, dass das Tötungsdelikt in Oslo unbedingt mit in einen vermutlichen Serienkontext einbezogen werden sollte. Schließlich wiesen nicht nur das Opferbild, sondern auch die Tötungsart sowie die Ablagesituation starke Übereinstimmungen auf. Sowohl die aktive Einbindung seiner Person in Form eines Koffertransporteurs als auch das Deponieren einer Tatortkarte mit gezieltem Hinführen zu dem Leichnam im Trollskogen spreche für Parallelaspekte inszenierten Täterhandelns.

      „Woher wissen Sie denn von der Fundsituation des Leichnams, der Tötungsart und dem Opferbild in Oslo, Herr Büthe? Waren Sie nicht selbst tatverdächtig?“, fragte der Politiadvokat mit einem vorwurfsvollen Blick in Richtung der Politibetjents 1.

      Andersen verzog eine Augenbraue und erahnte, von wem der LKA-Beamte diese Information erhalten hatte. Aber Magnus ließ sich nichts anmerken und setzte seine Unschuldsmiene auf.

      Die provozierte Ruhe wurde von einem Telefonklingeln gestört. Der Ermittlungsführer nahm den Anruf an, machte sich Notizen und beendete das Gespräch mit einem Lob für eine super Arbeit.

      „So, die Tat ist wohl schnell geklärt. Børre Thorsen hat sich in seiner Befragung in erhebliche Widersprüche verwickelt. Die Tasche gehörte dem Opfer. Das Blut an seinen Händen, Armen und der Kleidung auch. Das reicht vollkommen“, resümierte der Polizeichef aufatmend.

      „Magnus, glaubst du das im Ernst? Frage deinen Chef bitte, ob er das wirklich denkt. Warum, wann und wo sollte Børre Thorsen mir eine Skizze des Tatorts zugesteckt haben? Warum sollte er das Opfer töten, skalpieren und dann nackt in einer derart degradierenden Position ablegen? Dieser Täter versendet Botschaften. Erst in Oslo und dann in Bergen. Ach ja, eine kleine Prognose vom deutschen Touristen: Er wird weitermachen! Ich würde mich sogar noch weiter festlegen: Und zwar im nächsten Hafen, in dem die ,Norwave‘ festmacht. Verdammt! Lasst uns endlich zusammenarbeiten!“, flehte er Politibetjent 2, Magnus Larsen, an.

      An

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