Der Schreckenswald des Hoia Baciu. Marie Kastner
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Das UFO hätte demnach einen Durchmesser von mehr als dreißig Metern haben müssen. Es sei in sechshundert Metern Höhe erst langsam Richtung Nordost, zum Schluss in südwestlicher Richtung davon geflogen und hierbei leicht gesunken, hielten die Techniker in ihrem Abschlussbericht fest.
Zweimal traf sich Emil Barnea mit dem rumänischen Ufologen Ion Hobana, einmal 1968 und einmal 1970. Dieser fand in Befragungen heraus, dass weder Emil Barnea noch seine Freundin Zamfira Mattea viel über UFOs wussten und die Geschichte somit wohl kaum erfunden haben konnten, um sich interessant zu machen. Zu dieser Zeit wurden in Rumänien schließlich auch noch keinerlei Bücher über UFOs verkauft.
Hobana hielt das Ereignis über dem Baciu-Wald für eine der wichtigsten UFO-Sichtungen überhaupt. Die vierte Fotografie reichte Barnea ihm und seinem Bekannten Gheorghita mit erheblicher Verspätung nach. Auf diesem war das mutmaßliche Fluggerät wegen der erheblich größeren Entfernung viel kleiner festgehalten, es verschwand gerade in einer Wolkenbank.
Der Name Emil Barnea sollte für immer mit dieser Sichtung in Verbindung stehen, später massenhaft durch eine Erfindung namens Internet geistern und, über Jahrzehnte hinweg, weiterhin für Diskussionsstoff bei Skeptikern und Ufologen sorgen. Aber das konnte er damals natürlich nicht voraussehen.
Kapitel 3
Zeitloses Mädchen
Kreis Cluj, 29. April 1975
»Mama, wann gibt es endlich Abendessen? Ich habe schon einen Bärenhunger«, rief die fünfjährige Marta über den Gartenzaun. Der kleine Wirbelwind hopste fröhlich den schmalen Feldweg entlang, der unmittelbar an das Grundstück des recht kleinen, etwas baufälligen Hauses grenzte. Bei jedem Hüpfer flogen ihre braunen Zöpfe in die Höhe.
Ihre Mutter lächelte, richtete sich stöhnend auf. Sie hatte im Gemüsebeet schon den ganzen Vormittag lang Unkraut gejätet. Beide Hände ins schmerzende Kreuz gestützt, antwortete sie:
»Das wird noch gut eine Stunde dauern. Ich muss das hier erst fertig machen, sonst erstickt mir die Queckenplage meine jungen Salatpflänzchen. Iss derweil einen Apfel, oder geh noch ein bisschen auf die Wiese spielen. Das Wetter ist heute so schön. Man mag gar nicht glauben, dass es in der vergangenen Woche kalt war und geregnet hat!«
»Au ja, mach ich. Ich hole gleich meinen Ball!«, lachte Marta vergnügt und verschwand im Schuppen. Anna Ionescu blickte ihr versonnen nach. Ihr ging das Herz auf. Was für ein aufgewecktes Kind! Und so hübsch anzusehen mit ihrem herzförmigen Gesichtchen, den Sommersprossen auf der Stupsnase und seinen großen, braunen Rehaugen. Es bereitete der stolzen Mutter viel Freude, der Kleinen ausgefallene Kleidchen zu nähen. Heute trug sie ihr Lieblingskleid. Jenes zartgelbe mit den großen, weißen Margeriten am ausgestellten Saum, das sie erst am vergangenen Wochenende fertiggestellt hatte.
»Aber bleib in Rufweite! Mach dich nicht schmutzig und geh keinesfalls in den verwunschenen Wald, hörst du?«, rief Anna ihrer Tochter noch hinterher. »Ja ja, Mama«, tönte es fröhlich über die Wiese – und schon war das quirlige Mädchen über den Hügel und außer Sicht.
Anna war fest überzeugt, dass Marta sich zuverlässig von diesem verfluchten Waldstück fernhalten werde. Schließlich hatte sie sämtliche Märchen, in denen Kindern irgendetwas Schlimmes zustieß, kurzerhand an genau diesen Schauplatz verlegt. Die kleine Maus liebte Schauergeschichten über Hexen, verschleppte Prinzessinnen, Zwerge und böse Schwiegermütter. Es grenzte an ein Wunder, dass sie danach allabendlich, selig wie ein Engel, mit ihrem Stoffbären im Arm einschlief.
Als Annas Ehemann dieses Häuschen am Ortsrand von Baciu vor einigen Jahren geerbt hatte, war sie alles andere als begeistert gewesen, hier einzuziehen. Alleine schon in einer Ortschaft leben zu müssen, die nach einem spurlos verschwundenen Schäfer benannt war, jagte ihr auch nach acht Jahren noch eiskalte Schauer über den Rücken. Aber sie hatte damals ihm zuliebe zugestimmt. Er hatte im Grunde ja recht – man brauchte nur den merkwürdigen Wald zu meiden. Der Boden dieser Gegend war fruchtbar, das Haus in einem noch annehmbaren Zustand. Was wollte man mehr? Nun ja, sie konnte und wollte das Kind nicht einsperren. Marta musste wie alle anderen Kinder lernen, dass der Wald tabu war. Dann wäre dieser Wohnort so sicher wie jeder andere auch.
Und doch … immer wieder tauchten haarsträubende Geschichten auf. Mal war in der Nachbarschaft die Rede von verwirrten Wanderern, die jede Orientierung verloren hatten, mal wurden nachts grüne Lichter beobachtet, die geisterhaft zwischen den Bäumen zu schweben schienen. Im vergangenen Herbst gar hatte der alte Ciprian beim Pilze suchen am Waldrand angeblich fünf metallische Zylinder entdeckt, die kreisförmig aufgestellt gewesen waren. Realität oder Einbildung? Wie auch immer … diese Entdeckung musste den Achtundsiebzigjährigen so sehr aufgeregt haben, dass er einen Tag später an einem Schlaganfall verstarb.
Während Anna nachdenklich jätete, übte sich ihre kleine Tochter im Weitwerfen. Sie stellte sich dazu auf einen Felsblock, hob den Ball über den Kopf und versuchte, ihn über die mit einem Stock gekennzeichnete Markierung zu befördern. Hurra, wieder ein neuer Rekord!
Ein wenig außer Atem gekommen, legte Marta ihren Stock gut einen halben Meter weiter in Richtung des Waldrandes. Immer wieder schielte sie mutig dorthin. Zwischen den Bäumen sah es doch eigentlich ganz normal aus, überhaupt nicht gefährlich. Jetzt, am späten Nachmittag, war der verhexte Ort in ein warmes goldgelbes Licht getaucht, das ließ ihn wunderschön aussehen. Zartgrüne Blätter knospten an den Bäumen, Vögel sangen.
Marta stellte sich wieder auf ihrem Felsen in Position, holte tief Luft und strengte sich ganz besonders an. Weit flog der Ball, viel weiter, als sie es für möglich gehalten hätte. Sie jauchzte vor Freude, beschirmte ihre Augen gegen die tief stehende Sonne und suchte aufmerksam die Wiese ab. Verflixt – wo war der knallrote Ball mit den weißen Punkten bloß gelandet? Wenn er im Gras lag, sah er immer wie ein großer Fliegenpilz aus. Aber sie konnte nichts dergleichen erkennen.
Zehn Minuten später standen dem Mädchen Tränen in den großen Augen. Ihr geliebtes Spielzeug war beim besten Willen nicht auffindbar, obwohl sie die Umgebung sorgfältig abgesucht hatte. Tante Baba hatte ihn ihr zu Weihnachten geschenkt. Ob sie vielleicht lieber nach ihrer Mutter rufen sollte? Aber Mama hatte doch schon so viel Arbeit und musste nachher noch kochen …
Wieder ein großer Schritt Richtung Waldrand. Nichts geschah, auch der Ball blieb verschwunden. Mittlerweile grummelte Martas Magen. Sie blieb stehen, drehte grübelnd ein Zopfende um ihren rechten Zeigefinger.
Da, was war denn das? Sie kannte diesen wunderschönen Anblick seit dem letzten Sommer, als die Familie Oma Ionescu in den Bergen besucht hatte. Ein Strauch mit dicken, roten Himbeeren leuchtete zwischen zwei schlanken Birkenbäumen hervor! ›Hmmm … diese Beeren schmecken sooo lecker … man muss nur aufpassen, dass kein Würmchen darin wohnt, bevor man sie in den Mund steckt‹, erinnerte sich das Kind.
Marta lief beim Gedanken an die fruchtigen Köstlichkeiten augenblicklich das Wasser im Mund zusammen. Ihr Bäuchlein zwickte, als wolle es sie zum Naschen auffordern.
Ach, was sollte da schon passieren? Von hier aus konnte sie schließlich den kleinen Hügel noch sehen, der direkt gegenüber ihrem Elternhaus lag. Wenn sie kurz dorthin ginge, wäre sie ja eigentlich noch nicht im Wald, sondern nur an dessen Rand … und da – genau vor dem Himbeerstrauch lag auch der gesuchte Ball! Martas Entschluss stand fest. Sie würde ihn holen gehen, schnell ein paar der saftigen Beeren pflücken und dann wie der Wind zurück nach Hause laufen.
Dass