Die Erleuchtung der Welt. Johanna von Wild

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Erleuchtung der Welt - Johanna von Wild страница 14

Die Erleuchtung der Welt - Johanna von Wild

Скачать книгу

Augenlicht war schwach, daher konnte er den Reiter nicht gleich erkennen. Erst als dieser sein Pferd im letzten Moment zügelte und vor ihm zum Stehen brachte, wusste der Bauer Bescheid. Die Flanken des Pferdes bebten von dem scharfen Ritt, die Nüstern waren bis aufs Äußerste gebläht, der Körper schweißbedeckt und vom Maul troff weißer Schaum.

      »Wo ist sie?«, herrschte Cuntz den Tagelöhner an und stieg vom Pferd. Ein stechender Schmerz durchfuhr sein linkes Bein.

      »Wo ist wer? Ich fürchte, ich kann dir nicht ganz folgen«, antwortete Wigbert und bekam weiche Knie, als er den Zorn in Cuntz’ Augen sah.

      »Stell dich nicht dümmer, als du bist. Helena, dieses kleine Biest.«

      »Aber wieso, du hast sie doch mitgenom…« Wigbert dämmerte, was geschehen sein musste. Seine Tochter hatte offenbar die Beine in die Hand genommen und das Weite gesucht. Und natürlich schlussfolgerte Cuntz, Helena wäre nach Hause gerannt.

      »Sie ist nicht hier, Cuntz.«

      Cuntz rammte ihm die Faust ins Gesicht. Wigberts Lippe platzte auf, und er taumelte zurück. »Das sehe ich selbst, du Nichtsnutz. Wo ist sie?«

      Siegfried war herbeigeeilt, als er sah, wie Cuntz seinen Vater schlug. »Was ist hier los, Vater?« Tapfer stellte sich der Junge vor ihn.

      Wigbert wischte sich mit dem Handrücken das Blut vom Mund. »Deine Schwester ist wohl abgehauen.«

      »Aber, Herr«, wandte sich Siegfried mit dünner Stimme an Cuntz, »sie ist nicht nach Hause gekommen. Seit sie mit Euch fort ist, haben wir sie nicht wiedergesehen.«

      Cuntz ging nicht darauf ein und würdigte den Jungen keines Blickes. »Deine Schulden, Wigbert, sind noch längst nicht beglichen. Ich werde dafür sorgen, dass ich zu meinem Recht komme.« Mit Mühe erklomm Cuntz sein Pferd, wendete und galoppierte davon. Irgendwo musste sich diese kleine rothaarige Hure doch verstecken, und er würde sie finden, ganz gleich, wie lange es dauerte. Derweil konnte er Anstrengungen unternehmen, Wigbert das Leben schwer zu machen.

      1429

      Dilsberg, August

      Schwester Katharina verließ einmal in der Woche gemeinsam mit zwei weiteren Ordensschwestern das Kloster, um im nahe gelegenen Dilsberg die kranken Kinder des Waisenhauses zu versorgen. Zu gerne wäre Helena mitgekommen, doch nach wie vor hielt die Äbtissin ihr Verbot aufrecht, und Helena sah ihren Mitschwestern sehnsüchtig hinterher.

      Seit Helenas Ankunft im Kloster Lobenfeld war inzwischen mehr als ein Jahr ins Land gegangen. Der Sommer neigte sich dem Ende, und die Tage wurden allmählich kürzer. Einvernehmlich arbeitete die junge Laienschwester Seite an Seite mit Schwester Katharina. Aus Efeublättern stellten sie einen Extrakt her. Das Elixier wirkte besonders gut gegen Husten, und nun, da die kältere Jahreszeit vor der Tür stand, legten sie einen Vorrat an. Zu dem Efeutrank gaben sie ein wenig Honig, um den bitteren Geschmack abzuschwächen. Im Frühjahr hatten sie Lindenblüten gesammelt und getrocknet. Auch davon würden sie in der kalten Jahreszeit einiges brauchen, denn aufgebrüht wirkten die getrockneten Pflanzenteile fiebersenkend.

      Jetzt im August gab es noch jede Menge anderer Kräuter zu suchen: Beinwell gegen Blutergüsse und Verstauchungen, Frauenmantel gegen, wie der Name schon vermuten ließ, Frauenbeschwerden, und Eisenkraut, ein wahres Wunderkraut gegen vielerlei Beschwerden, das man äußerlich und innerlich anwenden konnte. Und natürlich Weidenrinde. Davon konnte man nie genug haben, denn sie half bei Fieber, Schmerzen und Entzündungen. Vergangenen Winter hatte Helena die meiste Zeit im Skriptorium verbracht und geholfen, die bisher kopierten Seiten des Buches von Hildegard von Bingen zu illustrieren.

      »Helena«, plötzlich stand die Äbtissin neben ihr, Helena zuckte erschrocken zusammen, war sie doch in ihre Arbeit vertieft gewesen, »morgen wirst du Schwester Katharina und Schwester Innocentia zum Waisenhaus begleiten.«

      Helena sah auf, starrte sie ungläubig an. Hatte sie das richtig verstanden? Sie durfte morgen die Klostermauern verlassen?

      »Ehrwürdige Mutter, ich …«, stotterte sie.

      Ein feines Lächeln glitt über das Gesicht der Äbtissin. »Ja, mein Kind, du wirst den Schwestern morgen zur Hand gehen. Ich denke, es ist an der Zeit, dich mitgehen zu lassen.«

      Helena sank auf die Knie, griff nach Maria Ignatias Hand, küsste den Ring. »Ich danke Euch, ehrwürdige Mutter.«

      Die Äbtissin half ihr hoch. »Du hast eine außergewöhnliche Auffassungsgabe. Du lernst schnell, bist gehorsam und fleißig. Dies ist nun der Lohn dafür, dass du dich so schnell in unsere Gemeinschaft eingefügt hast. Also, enttäusche mich nicht, wenn du morgen mit zum Waisenhaus gehst.«

      »Das werde ich nicht, ehrwürdige Mutter. Ganz bestimmt nicht.«

      In der Nacht fand Helena vor Aufregung keine Ruhe, wälzte sich auf ihrem Lager hin und her, bis sie endlich in einen unruhigen Schlaf fiel. Das Aufstehen zur Hore kurz nach Mitternacht war noch schwerer als sonst, und zur Laudes bei Tagesanbruch kam sie kaum aus dem Bett. Doch als sie endlich mit den Schwestern aufbrach, fühlte sie sich munter.

      Ein alter Bauer, den Rücken krumm von jahrelanger harter Arbeit, kam mit einem Ochsengespann, um sie abzuholen. Die regelmäßigen Fahrten nach Dilsberg waren seine Gegenleistung für das Entgegenkommen der Äbtissin. Vor wenigen Monaten hatte sie Kuniberts einzige Tochter als Magd in den Dienst des Klosters aufgenommen. Das Mädchen, das mit einem verkrüppelten Fuß zur Welt gekommen war, half beim Waschen und Putzen. Arbeiten, die keine der Schwestern gerne versah. Kunibert war dankbar gewesen, denn er bezweifelte, dass jemals irgendein junger Bursche den Wunsch verspürte, ein hinkendes Mädchen zu heiraten, und so hatte der Bauer ein Maul weniger zu stopfen.

      Bei strahlender Sonne rumpelte der Ochsenkarren los. Helena saß auf einer Decke zwischen Säckchen, Krügen und irdenen Töpfen, die getrocknete Arzneipflanzen, Elixiere und Salben enthielten und in zwei großen Weidenkörben gut verstaut waren. Trotz der holprigen Fahrt genoss sie die kurze Reise nach Dilsberg. Auf den Feldern wurden Dinkel, Roggen und Emmer geerntet. Zahlreiche Männer schnitten das Korn, welches die Frauen und älteren Kinder zu Garben bündelten, die sie aufstellten, damit sie in den nächsten Tagen in die Scheunen gebracht werden konnten. Helena dachte an ihre Familie. Auch ihr Vater und Siegfried würden vermutlich nun auf den Feldern arbeiten und hoffen, dass es nicht regnete, bevor das Getreide trocken in den Scheunen lagerte. Feuchte Halme faulten, und das bedeutete einen Winter voller Hunger. Wenigstens ging es ihrer kleinen Schwester Greta gut, die immer noch bei Anna lebte. Das hoffte sie zumindest.

      »Heute ist Markt in Dilsberg«, erzählte Kunibert, der auf dem Kutschbock saß, und blickte über die Schulter zu den Frauen. »Wenn Ihr etwas braucht, Schwester Katharina, dann kann ich es besorgen, solange Ihr im Waisenhaus Euren Dienst verseht. Das verkürzt mir die Wartezeit.«

      »Das trifft sich gut, Kunibert. Bring uns gerauchten Fisch, gepökeltes Fleisch und Käse«, antwortete die Nonne. Sie griff unter ihre schwarze Kukulle, knotete einen ledernen Beutel von ihrem Gürtel, der die Tunika hielt, und ließ einige Münzen in ihre Hand gleiten.

      »Schwester Innocentia, du wirst Kunibert begleiten«, sie reichte ihrer Mitschwester die Münzen, »Helena kommt mit mir.«

      »Sieh nur, Helena, dort oben liegt Dilsberg«.

      Helenas Blick folgte staunend Schwester Katharinas ausgestrecktem Zeigefinger. Die beeindruckende Burgfeste lag auf einer Kuppe an einer Neckarschleife. Der sechseckige Bergfried, der die Burg überragte, war schon von Weitem für jedermann sichtbar. Helena

Скачать книгу